Der Diskurs der Mahnwachen für den Frieden

Mahnwachen Die neue Friedensbewegung entwickelt einen eigenen Deutungsrahmen, der durch die unsachliche Kritik bisher medial kaum erfasst ist.

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Trotz des massiven Gegenwinds in den Medien und der großen öffentlichen Ablenkung während der Fußball-Weltmeisterschaft sind die Mahnwachen für den Frieden weiter gegangen und haben sich auf inzwischen über 100 Orte im deutschsprachigen Raum ausgeweitet. Die öffentliche Wahrnehmung der Mahnwachen war geprägt von einer ideologischen Abgrenzung, die sich auf einzelne Passagen von einzelnen Rednern stützte. Die Studie von der TU Berlin brachte zum ersten Mal eine methodisch haltbare Untersuchung, auch wenn die Fragen noch zu wenig den eigentlichen Deutungsrahmen und Diskurse der Bewegung erfassten.

Jenseits von links und rechts

Die Mahnwachen identifizieren sich jenseits der gesellschaftlichen politischen Lagerbildungen zwischen Rechten und Linken. Dies ist kein so neues Phänomen. Anders als die Arbeiter/innenbewegung, die traditionell in der politischen Linken verwurzelt war, entwickelten die Neuen Sozialen Bewegungen seit den 1960er Jahren eigene Deutungen von sich selbst, die sich stärker an ihren Werten und Handlungsformen orientierten, als an den Identitäten von politischen Lagern. Im neuen Zyklus von globalen Protestbewegungen seit 2011 ist das Ablösen der eigenen Deutungsrahmen von den politischen Lagern noch stärker und expliziter geworden. In Europa waren die Indignados in Spanien hierfür der Vorreiter. Dem liegen grundsätzliche Veränderungen in der politischen Landschaft und eine schwere Krise der politischen Repräsentation zu Grunde, die beide große Lager betreffen.

Mit der SPD und den Grünen waren es die politischen Kräfte, die links der Mitte zugeordnet sind, die in den letzten Jahren in Deutschland für den schlimmsten sozialen Kahlschlag und die aggressivste Außenpolitik verantwortlich waren. Gerade die Militarisierung der Außenpolitik wurde aus scheinbar linker und liberaler Gesinnung des Antifaschismus (Kosovo-Krieg) oder der Menschenrechte (Afghanistan) begründet.

Gleichzeitig erleben wir tiefe Veränderungen im konservativen Lager. Mit dem allgemeinen Niedergang der traditionellen festen Milieus brechen alte Grenzen und Vorbehalte gegen andere Lebenswelten auf. Auf der anderen Seite ist die neoliberal-imperiale Hegemonie seit der Finanzkrise auch in ihrer Anhängerschaft stark brüchig geworden. Konservative Werte, die sich auch mit Menschenrechten und Humanismus begründet haben, geraten zusehends in Widerspruch zur herrschenden Ordnung.

Somit ist quer durch die klassischen Lager eine neue Bündnisfähigkeit entstanden. Gerade an der ökologischen Frage und der Debatte um Wachstumskritik wird diese gemeinsame Grundlage von Menschen aus verschiedenen politischen Lagern sehr deutlich.

Der innere Frieden

Die Überwindung der Lager wird im Diskurs der Mahnwachen affirmativ überhöht als ein Moment der Versöhnung. Frieden muss von innen kommen, mit sich selber, mit dem Gegenüber und mit der Natur. Lagerbildung heißt immer die Definition eines konfliktorischen Gegenübers. Man will loskommen von konfliktorischen kollektiven Identitäten. Die Songs „Wir sind eins“ (Morgaine) oder „Nationalität Mensch“ (Killez More) waren die Hits auf den Mahnwachen. Die Rückbesinnung auf sich selbst

lässt sich auch an einem starken verhaltenskritischen Diskurs feststellen: die Veränderung des eigenen Verhaltens, des eigenen Konsums, die Erringung des eigenen Friedens.

Hier liegt das Potenzial zur Bildung alternativer Kulturen. Dieser Impuls ist ebenso ein Ausdruck der Krise der etablierten formalen Demokratie. Es fehlt an einer vertrauenswürdigen vermittelnden Instanz, die für die gewünschte Veränderung in Frage kommt, also fokussiert man stärker auf sich selber. Oft wird dieser Trend mit dem Begriff Spiritualität erfasst. Das Leitbild ist eine Balance zwischen dem eigenen Individuum mit den Mitmenschen und der Natur. Es ist offen, ob hieraus ein neues politisches Projekt formuliert wird oder eine Generation nach den ersten Frusterfahrungen den inneren Frieden als eine Option für den Ausstieg aus dem Politischen nimmt.

Verschwörung als Regierungshandeln

Die Medienkritik der Mahnwachen geht auf die Schockerfahrung der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt zurück. Der einseitige antirussische Ton zeigte wieder mal, dass in Zeiten des Krieges die Wahrheit zuerst stirbt. Die Krise der Repräsentation betrifft auch die etablierte mediale Wahrheitsproduktion. Hieraus ergibt sich ein neuer investigativer Trend, die Wahrheit selber zu suchen.

Das Schlüsselereignis hierfür war 9/11. Es gab zu viele Ungereimtheiten in der offiziellen Darstellung, was das Bild einer funktionierenden Welt für viele zusammenbrechen ließ. Dieser Vertrauensbruch hinsichtlich der etablierten öffentlichen Meinung und Wahrheitsproduktion wurde durch den Skandal um den Verfassungsschutz bei den Nazimorden von NSU und dann noch mal viel stärker durch die Spähaffäre der NSA und des BND verschärft. „Verschwörung als Regierungshandeln“ (Assange) ist allgegenwärtig und wahrnehmbar geworden, die Suche nach dem, was wirklich geschah, wird zu einer oppositionellen Aufgabe, da die etablierten Medien mehr und mehr und insbesondere in Zeiten der Zuspitzung konformistisch und geschlossen das imperiale Wissen darstellen. Auf der anderen Seite ist die Netzgeneration im Stande, durch das Internet interaktive Nachrichtenproduktion und Rezeption für alle zu ermöglichen.

Die gängige Figur, diesen Trend als „Verschwörungstheorien“ zu brandmarken, ist eine Keule, um die Tiefensuche in konkreten Funktionsweisen des Imperiums zu blockieren. Sicher gibt es hier in der oppositionellen Bewegung einen Rand, der verschrobelt-katastrophistische und nicht belegbare Welterklärungsansätze präsentiert und sich in ein geschlossenes Weltbild einnistet, das vom Wahnsinn nicht fern ist. Aber der Kern dieses Trends zur eigenen Wahrheitssuche und der Versuch, Verschwörungen als Regierungshandeln zu entziffern, ermöglicht diese zu sabotieren und öffentliche Empörung und Protest zu organisieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Pedram Shahyar

Blog aus den Metropolen des globalen Aufstandes

Pedram Shahyar

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