Die Konterrevolution schläft nicht

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Malik begleitet mich und die Mädels aus Kristins WG zum Tahrirplatz. Es ist der 8. März, und wir folgen einem überregionalen Aufruf zur Frauendemonstration. Auf Talaat Harb, der Hauptstraße in Downtown, verteilen Frauen Flugblätter. Doch schaut man auf den Platz, kann man kaum von einer große Masse sprechen - es befinden sich dort höchstens 2000 Leute mit Transparenten für die Gleichstellung von Mann und Frau und für einen säkularen Staat. Die knappe Mehrheit der Menschen sind Männer, von den Frauen trägt etwa die Hälfte Kopftuch. Ich will meine Kamera rausholen, doch Malik gibt mir ein Zeichen: „Warte mal, in dem Laster vor uns sind komische Leute“. Die Demo wird permanent von einer kleineren Menge gestört: „Geht nach Hause kochen“, oder „Ihr solltet auch in den Militärdienst“ rufen die „Thugs“. Das sind kriminelle und kontrarevolutionäre Banden. Malik sagt, dass bei den Thugs auch Islamisten dabei seien, welche die Frauen weiterhin unterdrücken wollten. Er meint, sie seien nicht zufällig hier, vielmehr sähe es nach einer geplanten Störaktion aus. Am Rande der Kundgebung finden heftige Diskussionen statt, Geschrei ertönt und es entstehen Aggressionen. Das verängstigt viele die Leute; sie bleiben nicht lange.

Enttäuscht gehe ich mit Malik zu meinem Treffen mit jungen linken Aktivisten. Sie sind im Borsa, das ist eine enge Straße mit vielen Cafés, der Treffpunkt für Intellektuelle und Künstler. „Wir waren früher immer hier, es ist der Think-Thank der politischen Szene in Downtown“ sagt Malik lächelnd.

Naghib und Pahir sind von der „Jugend für Freiheit und soziale Gerechtigkeit“, eines der 4 wichtigen Netzwerke, die während des Aufstands am 25.1. eine zentrale Rolle gespielt haben. Die Mehrheit des Netzwerkes kommt aus verschiedenen linken Strömungen. Sie erzählen mir viel und geduldig über ihre Bewegung, während die Handys permanent klingeln; die nächsten Treffen warten schon auf die beiden. Naghib beschreibt mir auch die Geschichte ihrer netzwerk-förmigen Struktur. Ihre Gruppe ist ein nicht einmal ein Jahr alt. Sie entstand nach Aktionen am 6. April 2010 im Gefängnis, wo 20 der Inhaftieren die Idee dieses Netzwerken entwickelten. Sie bezeichnen sich als „Demokratische Linke“. Pahir hat viele radikale Ansichten, sagt er sei Kommunist, meint aber auch, dass Schweden eine Art kommunistische Gesellschaft sei. Als ich ihn sage, in Schweden gäbe es zwar einen Sozialstaat, aber immer noch Klassenspaltungen, ist er recht schockiert.

Beide schildern mir detailliert, dass die Konterrevolution seit zwei Wochen wieder eine neue Offensive startet. Die zentrale Strategie dabei sei, religiöse Konflikte zu schüren. Die State-Security, die sie hier alle „SS“ nennen, würde Teile der radikalen Salafisten anstiften, Kirchen anzugreifen. „Gegenüber den Salafisten sind die Muslimbrüder wie Engel“ sagt Naghib. In einer kleinen Stadt im Norden hätten die Salafisten zwei Tag zuvor versucht, alle Christen zu vertreiben. Seitdem demonstrieren Leute aus der christlichen Gemeinde in Kairo vor der zentralen Fernsehstation. Am Abend gibt es viele Twitter-Meldungen über Angriffe auf Kirchen, doch wir wissen nicht, was davon wahr ist. „Sie streuen auch falsche Nachrichten, um die Leute aufzuheizen, damit sie dann erst recht aufeinander losgehen“, erzählt mir später Kiro, ein junger Atheist aus einer christlichen Familie. Die Muslim-Brüder würden bei sowas zwar nicht mitmachen, aber sie würden immer mehr einen politischen Block mit dem Militär und dem alten Apparaten des Regimes bilden, um die Dynamik der Revolution zu beenden. Am nächsten Morgen meldet Aljazeera, dass es bei den Zusammenstößen zwischen Christen und Islamisten mindestens 11 Tote gegeben hätte.

Das andere große Problem ist die die ökonomische Lage. Nicht nur der Tourismus ist kolabiert. In der poschen „Bar 28“ in der Upper-class-Gegend Zamalek erzählt uns ein erfolgreicher Geschäftsmann, dass sie gerade nichts zu tun hätten. Alle großen Geschäfte seien erstmal gestoppt, sie würden mit Freunden nachts durch die Bars ziehen und sich die Zeit vertreiben. Alle Investitionen würden zurückgehalten, die Börse sei immer noch geschlossen, die Leute würden an Lebensmitteln nur noch das kaufen, was dringend nötig sei. Man wisse nicht, was die Währung in zwei Wochen noch wert sei.

Auf dem Weg zurück nach Downtown sind die Brücken zum Tahrirplatz gesperrt. Der Taxifahrer sagt mir in sehr gebrochenem Englisch, dass die Leute auf dem Tahrir verrückt seien. Er sei ja auch dafür gewesen, dass Mubarak weg müsse, aber jetzt reiche es ihm. Das Leben müsse weiter gehen, er müsse schließlich eine Familie von fünf Leute ernähren. „Wenn es so weiter geht“, sagt er ruhig, aber sichtbar genervt, „gibt es hier einen Krieg“. „Wirklich?“, „Ja, wenn es so weiter geht“. Viele ausländische Unternehmen sind quasi stillgestellt, die Mitarbeiter wurden ausgeflogen. Der Mubarak-Clan schafft so viel wie möglich außer Landes. Permanent gibt es Streiks. Die Leute wollen höhere Gehälter, und die Betriebs-Chefs, die dem Mubarak-Clan angehören, absetzen. Wegen dem Bürgerkrieg in Libyen werden über eine Millionen Flüchtlinge erwartet, ein weiterer großer Strom von armen Menschen wird die Öffnung der Gazza-Blockade auslösen.

Jobs zu finden sei gerade komplett unmöglich, sagt Kiro, der Graphikdesigner ist. Weder er, noch seine Freundin Heidi, die Pharmazie studiert hat, hätten irgendeine Aussicht, und überhaupt kein Geld mehr. Es ist schon nach 2:00 Uhr in dieser lauwarmen Mitternacht. Wir haben uns eine Pause genommen und sind in der WG von Kirstin. Wir trinken Bier, lachen viel und unterhalten uns gerade über offene Beziehungen. Auf einmal hören wir laute Geschreie, und die Leute in der Gasse unter unserem Balkon rennen. Es sind Thugs, die den Tahrirplatz angreifen. Ich schließe mich meiner wunderbaren Ex-Pat Freundin Kristin an. Schnell wird gepackt: Wasser, Zigaretten, Turnschuhe. Ein komisches Kreischen vom Metall bricht die Ruhe in der leeren Gasse. Langsam kommen mehr Leute auf die Straßen, sie haben Metal und Holzlatten dabei, und ziehen diese hinter sich her. Sie sammeln sich vor den Kreuzungen und den wichtigen Gebäude, um diese zu schützen. Nach einer Weile kommen Militärjeeps und die Lage beruhigt sich. Wir gehen wieder zurück. Auf Facebook gibt es Videos, wie die Thugs Molotow-Cocktails auf den Tahir werfen, aber auch vetrauenswürdige Twitter-Meldungen, dass der Platz jetzt sicher ist.

Hier ist nichts, aber auch gar nichts ausgestanden. Ich erinnere mich an Naghibs Zahlen: Das Netzwerk hatte vor dem 25.1. einen Kern von 150 Aktive, danach sind 4000 neue Leute dazu gekommen, und sie haben Verbindungen zu bis zur 40.000 Leuten aus den lokalen Komitees. May the Forces be with You.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Pedram Shahyar

Blog aus den Metropolen des globalen Aufstandes

Pedram Shahyar

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