Günter Grass und die Gefahrenzonen

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Israelkritik in Deutschland? Nein, leicht ist es nicht, und Günter Grass ist niemand, dem dies entgangen ist. Wir erinnern uns zu gut an Möllemann und seine Israelkritik im Wahlkampf. Er bediente die Figur der eigenen Schuld der Juden am Antisemitismus, um am rechten Rand zu sammeln und die FDP auf 18 % zu hieven. Kritik an Israel ist immer einer der zentralen Projektionsflächen des rechtsradikalen Randes der Bundesrepublik gewesen; derjenigen, die den Juden den Holocaust nie verziehen haben, die sich ihren imperialen Biographien geraubt fühlten. Erst die totalen Niederlage, und dann die historische Aufarbeitung und die Erinnerungskultur des singulären Verbrechens des Holocaust verhinderten jede Großmachtphantasie. Dieser Rand war es, der ihren antisemitischen Ressentiments, ihre Verschwörungstheorien von mächtigen Juden, die eine Weltordnung dominieren, in der die Deutschen zu kurz kommen, als Tabubruch inszenierte.

Diese alte Sehnsucht nach Größe verließ den Rand und wurde in der Frankfurter Paulskirche rituell mit Standig Ovations gesegnet, als Martin Walser nach einem Schlussstrich rief, um „den Deutschen“ wieder ihren „normalen“ herausgehobenen Position ohne Scham ermöglichen sollte. Während die intellektuelle Elite, ausgenommen der großartiger Ignaz Bubis, hier Beifall klatschte, war man sich bei einer anderen Version der Geschichtsdeutung wiederum einig: der neue Staatsräson der geläuterten 68er an Macht legitimierte den deutschen Militarismus und Kriegspolitik aus einer scheinbar aufgeklärten Aufarbeitung der Geschichte. Die Schwur aus Buchenwald „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ wich einem Geschichtsbewusstsein, das in die Bombardierung Jugoslawiens mündete, um angeblich einen Völkermord zu verhindern. Gepanzert mit dem neuen Menschenrechtsimperialismus marschierte man wieder mit den westlich-imperialen Truppen für die Durchsetzung der Aufklärung gegen die fundamentalistischen Barbaren am Rande des Imperiums.

Das Gedicht vom Günter Grass hat mit dem oben genannten inszenierten Tabubruch nichts zu tun. Er ist höchsten im ästhetischem Sinne konservativ, weil es die Figur des Dichters als Mahner bedient, aber nicht in einer zynischen Abwendung von der Welt, sondern eines politischen Weckrufs. Die Welle der Ablehnung, die er in der Elite der Meinungsmacher dieses Landes erfährt, bestätigt die von ihn angesprochene, sicher auch biographisch bedingte Scheue, sich auszusprechen, aber auch die Notwendigkeit seiner Intervention, die ins Herz eines westlich-imperialen Diskurses getroffen hat. Wir haben es ja nicht mit einem konstruierten Sinnzusammenhang, sondern einer realen unmittelbaren Kriegsgefahr zutun, an dem sich die Bundesregierung mittels Waffenlieferungen beteiligt. Das Verschweigen, von dem Grass spricht, ist die produzierte Blindheit der Öffentlichkeit gegenüber den Gefahren dieses Krieges, ein wichtiger Moment in der Kriegsvorbereitung. Er behauptet nicht, Israel sei die größte, aber die aktuelle Gefahr für den Frieden, und dies ist eine bittere Wahrheit. Man weiß nicht, wie katastrophal dieser Krieg enden wird, aber viele der Katastrophen sind vorhersehbar. Allen voran stirbt die Hoffnung auf einem demokratischen Wandel und Annäherung der Kulturen in der Region. Die Kairoer Rede Obamas, als er den Kampf der Kulturen für beendet erklärte und der muslemischen Welt die Hand gereicht hat, kann dann als historisches Dokument in den Archiv. Eine neue Runde religiöser Hass wird aufflammen, die radikalen Fundamentalisten werden von westlichen Grenzen Nordafrikas bis in südlichen Provinzen Russland und den hinteren Ecken in China mit neuem Auftrieb zum Widerstand gegen die imperialen Truppen blasen und sich eines neuen großen Beifalls sicher sein. Der kleine, zarte aber so wirkungsmächtige Kern des Aufbruches aus dem arabischen Frühling wird unter den Kriegsgeheul genauso zertrampelt werden, wie die neue oppositionelle Jugend in Israel, die im Sommer die Plätze belagerte. Kampfpiloten, Laserraketen und Milizen werden wieder das Bild bestimmen, die Tahrir-Kids werden schnell vergessen sein, das alles ist sicher. Wie groß die ziviler Opfer sein werden, wieviel vom Iran atomar verstrahlt wird, wieweit noch andere Parteien in den Konflikt hineingezogen werden, wie stark der Strom von Öl gestört wird, was mit der labilen Weltwirtschaft und mit der Balance zwischen den den großen imperialen Blöcken passiert; das alles lässt sich nicht voraussagen, liefert aber viel Stoff für apokalyptische Bilder.

Nein, es ist nicht die iranische Atombombe, die den Weltfrieden bedroht. Iran ist eine schlimme Diktatur, deren Folterkeller ihres Gleichen auf der Welt suchen, und deren Sicherheitsorgane der ägyptischen oder lybischen weit überlegen sind. Aber das iranische Atomprogramm, ohne Zweifel auch militärisch motiviert, ist defensiver Natur. Grass Figur des „Maulhelden“ trifft ins Schwarze, weil das iranisches Regime sich mit der Option auf die Atombombe einer Lebensversicherung gegen die alten Pläne Pentagons für einer militärischen Regimechange von Außen besorgt, aber ein Angriff auf Israel ist trotz der ideologischen Maulhelderei gegen deren Staatsräson. Das Reime im Iran ist entgegen plumpen Darstellungen alles anderer als irrational und verrückt. Das politische System im Iran ist nach Israel und Türkei das modernste in der Region gewesen: eine Diktatur mit Elitenpluralismus und eine relativ hohe institutionelle Diversität. Jeder hier auch aus der 3. Reihe weiß, bevor eine ungenaue Rakete den iranischen Boden verlassen hat, werden 40 der besten Atombomben auf dem Iran regnen. Iran kann von dem militärischen Potenzial in unserer Lebenszeit Israel nicht auslöschen, Israel könnte aber den Iran, und einige weitere Länder mit einem Fingerdruck.

Dieser Perspektivenwechsel auf die Gefahrenzonen, ist der große Verdienst vom Günter Grass. Die iranische Diktatur hat in den letzten Jahren massiv an Unterstützung verloren und ist in der eigenen Bevölkerung weitesgehend isoliert, Druck von Außen kommt ihnen da gerade recht. In der westlichen Öffentlichkeit werden sie zu einer mächtigen Drohkulisse aufgebaut, um davon abzulenken, dass das Bündnis der Rechten mit den rechtsradikalen in Israel eine große Gefahr für eine kriegerische Eskalation in dieser Periode der Weltpolitik darstellt.

Die Aufgabe liegt hier nicht in falscher Scheue, sondern in der internationalen Isolation dieser Kräften in Israel, um den progressiven Stimmen dort zu verhelfen, eine ernsthafte humane Wende in der Politik und eine Annäherung an die Nachbarn zu beginnen. Die Vorzeichen sind nach dem Hauch der Hoffnung in Washington und dem arabischen Frühling so gut wie nie, aber auch die Gefahr, die Hoffnung auf einem Schlag auf Jahre zu vernichten.

pedram-shahyar.org

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Geschrieben von

Pedram Shahyar

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