Maikel in Brazil suchen

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An diesem Morgen werden wir von Magit abgeholt, er ist engagiert für in der Kampagne für Maikel Nabil, und ihn zu besuchen steht ganz oben auf der Agenda. Maikel war ein langjähriger Antimilitarist, aktiv in der ganzen Revolte und hatte mich beim letzten Besuch hier sehr wohl aufgenommen, und fantastisch gebrieft. Er kannte sich wirklich gut aus, und obwohl er ein Liberaler ist , hatte er mir beste Kontakte zu den linken Netzwerken hergestellt. Als ich dann Mitte März Kairo verließ, erzählte er mir von seinem Artikel über die Rolle der Armee in den Aufstandstagen, den er gerade fertig schreibt. Später bekam ich diesen Artikel auf Facebook, habe es natürlich geteilt, und eine Woche später hörten wir von Maikels Festnahme. Binnen Tage wurde er vor dem Militärtribunal gestellt und zu drei Jahren Haft verurteilt.

Als Ausländer eine Genehmigung für Gefangengenbesuche zu bekommen, ist recht kompliziert. Magit fährt uns Richtung Ramses Platz, zum zentralen Gefängnisadministration. Dort angekommen bleibt er stehen und stöhnt kurz: wir sehen ein 6-7 stöckiges langes Neubaugebäude, der komplett abgebrannt ist! Ich und Kristin lachen lauthals los, während Magit um die Ecke schaut. Etwas weiter in einem Hof hat die Armee eine provisorische Stelle für Gefangenenbesuche eingerichtet. Es sind viele ältere Frauen hier, aber auch junge Männer. Die Stimmung ist recht entspannt. Ein Typ mit einem Walkie-Talkie spricht uns an, und nimmt uns mit. Er ist sehr freundlich und hilfsbereit, doch nach 2 Büro-Besuchen scheint es so, als ob wir hier nicht weiter kommen. Wir folgen Magit und gehen in einem riesigen Gebäude mit einer markant imperialen Architektur. „Das ist das größte Gerichtsgebäude Ägypthens“ sagt Maget. Doch da drin, ist die Szenerie surreal. Die Gänge sind voll mit Menschen, die hin und her laufen. Das Gebäude ist so hoch, dass erst im Nachhinein mir auffällt, in den Gängen nie die Decken wahrgenommen zu haben. Alte vollgestaubte Regale sind aneinander gereiht, auf denen viele Ordner gelagert sind. Aus Manchen Wänden kommen riesige Kabelsalate heraus. Wir fragen uns durch, und der Spießroutenlauf beginnt. Erst laufen wir vom Gang A zu B, dann von B zu C, da schicken uns Leute zu A zurück, während die gleichen Leute meinen, wir müssten zum D, dann in den Keller, dann wieder hoch usw. Die Büros sind vollgestopft mit Angestellten, in einem mit ca. 20 qm sitzen 7 Leute, alle vor riesigen Büchern, Computer sind hier selten. Ich fühle mich in dem Film „Brazil“ versetzt, ein leider nicht sehr bekannt gewordener Sciene-Fiktion, in der eine Bürokratie die komplette Kontrolle übernommen hat. Die enge der Büros ist wirklich sagenhaft, in manchen Gängen haben sie größere Wandschränke auch zu Büros umgebaut, in denen 2 Leute sitzen. Vor den wichtigen Büros sitzen immer einige Leute, manchmal 2-3 die nur für das Bringen von Tee und Wasser zuständig sind, und Polizisten, die den Einlass kontrollieren. Schlussendlich kommen wir in so einem der wichtigen Büros an. Es ist ein Raum mit hohen Decken, recht noble antike Sesseln und viel Dekoration. Einen Computer gibt’s hier natürlich auch. Vor einem großen Tisch aus massivem Holz sitzt die Bürochefin, eine sehr selbstbewusste Frau um die 50, die wie alle anderen hier Kopftuch trägt. Obwohl, nein, im Hof sah ich zwischendurch 2 Frauen ohne Kopftuch beim Rauchen. Wie nehmen auf den Sesseln Platz. Vor uns ist eine andere dran, eine ältere Frau unter einer schwarzen Tschador, die eng an der Bürochefin am Tisch steht. Sie spricht leise und flehend zu ihr, während die Chefin recht Ausdruckslos sie anschaut. Sie sagt immer wieder, sie könne nichts machen, während die alte Frau einfach weiter auf sie einredet, leise und flehend. Am Schluss holt sie ein Bild raus, es ist ein sehr hübscher junger Mann, und auf Foto ist eine Rose dran geklebt. Sie sucht ihren Sohn, der eines von den Hunderten Verschwundenen zu sein scheint. Während sie spricht kommen ihr die Tränen, die Chefin pickt schnell eine Serviette und gibt es ihr, bemüht freundlich aber immer noch recht ausdruckslos, ganz geradeaus und professionell.

Die alte Frau verlässt den Raum, Magit steht auf und erklärt der Chefin unseren Wunsch nach Gefangenenbesuchsgenehmigung für Ausländer. Sie meint recht schnell und sehr bestimmt, dass hier nichts geht und wir zum Innenministerium müssen. Wir gehen raus. „Jeder sagt was Anderes, der Andere vorher meinte wir müssen zum Hauptsitz der Armee nach Madine Nasr“ sagt Maget. „Keiner von denen hat die Mut, uns diese Genehmigung zu geben, also schicken die uns einfach weiter“. Er ruft einen Anwalt an, nach drei Stunden Büro-Hopping empfiehlt Magit es für heute aufzugeben, und darauf zu warten, was die Anwälte sagen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Pedram Shahyar

Blog aus den Metropolen des globalen Aufstandes

Pedram Shahyar

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