Die meisten Menschen stellen sich eine Bank als Institution vor, die das von Sparern bei ihr deponierte Geld an Kreditnehmer als Darlehen verleiht. Der erste Grund, Das Ende der Banken zu lesen, ist daher die sich rasch einstellende Einsicht, dass dieses Bild mit Banken ungefähr so viel zu tun hat wie ein von Kinderhand gezeichneter lachender gelber Strahlenkreis mit der thermonuklear beheizten Plasmakugel der Sonne.
Der Kniff, der Banken zu dem macht, was sie seit 500 Jahren sind, jenes „Banking“ also aus dem Originaltitel des schon 2014 auf Englisch erschienenen Buches, ist ja der, dass Banken Geld verleihen, das sie selbst gar nicht haben: dass sie Geld aus dem Nichts schöpfen. Natürlich drucken Banken kein Bargeld, aber sie erzeugen „Innengeld“, Giralgeld, als Kredit. Der Kniff des Bankings ist also, dass Banken Geld als Kredit erschaffen. Sie können das tun, indem sie es jemand – mit einer neuen Zeile in ihrer Bilanz – gutschreiben. Möglich macht das die doppelte Buchführung: eine Erfindung, die nach Ärmelschonern klingt, aber nicht weniger wirkmächtig als die des Schießpulvers ist.
Dank doppelter Buchführung konnten Banken während der Industrialisierung Unternehmen im großen Stil dazu verhelfen, sich ihre Fabriken und Maschinen auf Pump zu bauen und zu kaufen und über Jahrzehnte abzubezahlen. Zugleich ist die Geldschöpfung aus Kredit aber die Achillesferse der Banken: Wenn Sparer etwa daran zu zweifeln beginnen, dass ihre Einlagen sicher sind, erfüllt sich genau diese Befürchtung. Sobald Sparer ihre Einlagen auf einmal und in größerem Umfang zurückfordern, fällt die Bank zusammen wie ein Kartenhaus. Dieses Risiko lässt sich nur dadurch begrenzen, dass der Staat die Einlagen garantiert, und so einen bank run verhindert. Im Gegenzug erlegt er den Banken Regeln auf, die ihre Stabilität sichern sollen.
Das Autorenduo, das sich hinter dem Pseudonym Jonathan McMillan verbirgt und aus einem anonymen Investmentbanker und dem Wirtschaftsredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Jürg Müller, besteht, fordert zwar nicht das Ende der Banken, aber ein Ende des Bankings, eben der Geldschöpfung durch Kredit. Und auch das nicht, weil sie damit grundsätzlich ein Problem hätten. Sondern weil sie nachdrücklich darlegen, dass ebendieses Banking im Zeitalter der Digitalisierung nicht länger regulierbar sei.
Erst die Digitalisierung des Bankensektors hat ermöglicht, dass ein ganzer auf Banking gegründeter Geschäftsbereich entsteht, der sich genau dadurch auszeichnet, dass er sich der Bankenregulierung entzieht: der Schattenbanksektor. Ab den 1960ern dank Digitalisierung entstanden und seitdem gewachsen, überflügelt er – vor Beginn der Finanzkrise 2007/2008 – den konventionellen und regulierten Bankensektor deutlich.
Die Radikalität des Buches erwächst nicht aus politischer Ideologie, sondern aus dem Fazit, dass Banking wesentlich unregulierbar geworden ist. Der Schluss, den die Autoren daraus ziehen: die Geldschöpfung aus Kredit beenden. Wie sie das schaffen wollen, ist recht technisch (durch die Einführung einer „systemischen Solvenzregel“) gehalten. Dass es möglich wäre, mag man aus dem Munde von zwei – ganz schweizerisch – allem Radikalen abgeneigten Bank-Handwerkern umso gewinnbringender lesen: indem etwa Kreditvermittlung durch Peer-to-Peer-Netzwerke geleistet, Preisstabilität durch Digitalgeld garantiert und ein bedingungsloses Grundeinkommen als geldpolitisches Instrument etabliert wird.
Info
Das Ende der Banken. Warum wir sie nicht brauchen Jonathan McMillan Jan W. Haas (Übersetzer), Campus 2018, 271 S., 26 €
Kommentare 4
Leider bringt dieser Artikel nicht sonderlich viel Information, denn der Satz "Wie sie das schaffen wollen, ist recht technisch (durch die Einführung einer „systemischen Solvenzregel“) gehalten.", lässt den Leser fragend zurück. Es wäre leserfreundlicher gewesen, eben diese technischen Details wenigstens in den Grundzügen darzustellen.
Ein vergleichweise einfache Möglichkeit, die "gewöhnliche" Geschäftstätigkeit (Überweisungen, Kleinkredite, durch Hypotheken und Bürgschaften abgesicherte Darlehen usw.) der Banken von der spekulativen Tätigkeit, den sogenannten "Investmentgeschäften" abzukoppeln, wäre die strikte formalrechtliche Trennung zwischen den Geschäftsfeldern.
Das löst naturgemäß nicht alle Probleme, vor allem dann nicht, wenn alle Investmentbanker bei ihren Pferdewetten auf ein und denselben Gaul setzen und sich verspekulieren, weil dieser gedopte Gaul 10 Meter vor dem Ziel zusammenbricht wie bei der Pleite der Lehman-Brothers.
Allerdings würden erst einmal die Spekulanten, Börsenzocker und Aktionäre der Investmentbanken ihr Geld verlieren und nicht die Allgemeinheit bzw. der gemeine Steuerzahler, weil die "notleidenden" Banken intern das Risiko verlagern.
Das bekannte Gegenargument, das von Neoliberalen an dieser Stelle gerne vorgebracht wird, auch das gewöhnliche Kreditgeschäft wäre mit Ausfallrisiken verbunden und die Banken könnten die Risiken dadurch ausgleichen, verzerrt ganz erheblich die Realität, weil die Risiken der Spekulationstätigkeit naturgemäß wesentlich größer sind als die Risiken der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit. Bitte welches spekulative Investment wird mit einer Hypothek oder einer persönlichen Bürgschaft abgesichert?
Warum sollen die Allgemeinheit der Steuerzahler, die Kunden mit ein paar Euro auf dem Tagesgeldkonto und die Häuslebauer mit ihren Hypothekenkrediten für die Spekulanten und Börsenzocker haften und am Ende zahlen?
Und was sagt "Mutti Merkel", die Kanzlerin "aller" Deutschen dazu? Auch dafür hat "Mutti Merkel keine Zeit. "Mutti Merkel" hat heute einen Termin beim Zahnarzt und dann trifft sie sich zum Small-Talk mit dem französischen Ministerpräsidenten. Anschließend ist sie zum Abendessen beim Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Immobilienspekulanten e.V. eingeladen. Auch heute hat "Mutti Merkel leider keine Zeit für die Sorgen und Nöte des gemeinen Pöbels.
Etwas kleinlicher Hinweis zu Ihrem Profilbildchen: Seien Sie achtsam bei der Verwendung des Bundesadlers. Die ist i.d.R. genehmigungspflichtig.
http://www.bva.bund.de/DE/Themen/Ordnungsaufgaben/Bundesadler/bundesadler-node.html
Da sich Zentralbankgeld genauso ex nihilo herstellen lässt wie Giralgeld, ist ein Bankenrun wirklich die geringste aller drohenden Gefahren. Liquiditätsmangel ist nicht das Ergebnis der Mechanik des Geldsystems oder des Missverhältnisses von Giral- und Zentralbankgeld, sondern einer machtpolitischen Entscheidung. Den einen dreht man den Geldhahn zu (Griechenland, Lehman), anderen nicht (AIG, Irland). Finanzkrisen in einem Fiat-Geldsystem sind (auch wenn sie in Liquiditätsmangel ihren Anfang nehmen) im Kern immer Solvenzkrisen. Anders gesagt: das System ist nicht gerade nur nicht flüssig, sondern pleite.
Eine Pleite, in der sich wenige so üppig einrichten können wie Sonnenkönig Louis XIV., während die meisten Menschen darben.
Eine Lösung für dieses Problem findet man ganz sicher nicht in einer Privatisierung des Geldsystems in „Peer-to-Peer-Netzwerken“, vulgo "Markt" genannt. Sowieso ist „Kreditvermittlung in Netzwerken“ nur die Umleitung von Bestandsgeld und beantwortet doch die Fragen der Geldherstellung („Schöpfung“) nicht: wer hat das Recht, wann wieviel Geld herzustellen, es wie an welche Menschen weiterzuleiten und die Gewinne aus diesem Prozess einzustreichen? Dies sollten wir meines Erachtens weder den Banken noch dem Markt überlassen, sondern demokratischer Kontrolle unterworfen werden. Auch wenn die Diskussion sich nur schleppend entwickelt, ein paar sinnvolle Stichworte gibt es doch: die Bemühungen um ein paralleles Zahlungssystem in Griechenland, Helikoptergeld und garantiertes Mindesteinkommen ...