Betriebsrat-GAU für N26

Direktbank Eines der erfolgreichsten deutschen Start-ups will die Bildung einer Arbeitervertretung verhindern – vergeblich
Ausgabe 34/2020
„Du musst immer zum nächsten Level gehen“, sagte CEO Valentin Stalf einmal. Jetzt ist das nächste Level eine Betriebsratsgründung
„Du musst immer zum nächsten Level gehen“, sagte CEO Valentin Stalf einmal. Jetzt ist das nächste Level eine Betriebsratsgründung

Foto: Doris Spiekermann-Klaas/Imago Images

Am Ende der Woche fraß der CEO Kreide. Reichlich. Und öffentlich. Valentin Stalf, Mitgründer und Geschäftsführer der Direktbank N26, immerhin eines der erfolgreichsten deutschen Start-ups, gab in einem Interview zu Protokoll: „Ich will noch einmal klarstellen: Wir unterstützen eine Betriebsratswahl.“

Stalfs Ankündigung, von nun an die deutsche Arbeitsrechtsgesetzgebung zu respektieren, war nichts anderes als das Eingeständnis einer Niederlage. Mit allen Mitteln hatte N26 versucht, eine Betriebsratswahl unter den eigenen Beschäftigten zu sabotieren, und das so lange, bis der Reputationsschaden zu groß geworden war. Für ein Unternehmen, das monatlich mehrere Millionen Euro für Marketingzwecke ausgibt, ist es ein GAU, wenn Jan Böhmermann auf Twitter die Geschäftswoche so zusammenfast: „N26 – die Arschlochbank“.

Die Art und Weise, wie N26 sich verzockt hat, ist ein Lehrstück über die deutsche Start-up-Szene. Und darüber, wie eine Handvoll Beschäftigter ein sogenanntes Einhorn der Fintechbranche aufmischen konnte.

N26 ist eine Direktbank – also eine Bank, die über keine Filialen verfügt und deren Kund:innen alle Bankgeschäfte über ihr Smartphone abwickeln. Gegründet 2013 von zwei jungen Wienern, Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal, wuchs das Unternehmen rasch; anfangs nutzte man die Banklizenz der nunmehr insolventen Wirecard AG und sammelte bei dem Paypal-Gründer Peter Thiel und Managern von Zalando Geld ein. Im Januar 2020 berichtete N26, mehr als 5 Millionen Kunden in 25 Ländern zu haben; mit einer Bewertung von 3,5 Milliarden Euro zählte N26 zu den größten deutschen Start-ups.

Fünf Millionen Kund:innen

Dabei stellt sich die Frage, ob die Direktbank überhaupt noch ein Start-up ist. Dafür spricht die Ausrichtung auf schnelles Wachstum, also der Umstand, dass N26 hohe Verluste einfährt und versucht, möglichst rasch möglichst viele Kund:innen in möglichst vielen Ländern zu gewinnen. Dagegen spricht der Umstand, dass das Unternehmen mittlerweile 1.500 Beschäftigte zählt, davon 1.300 in Deutschland, von denen viele im Kundenservice tätig sind, ähnlich wie bei anderen Banken. Und vielleicht klingt ja der Seifenblasen-Start-up-Jargon, den die Gründer von N26 sprechen, besonders hohl, wenn man im Schichtbetrieb unzufriedene Kunden telefonisch versorgen muss?

Ende 2019 wurde Mitgründer Valentin Stalf, 34, in einem Podcast zur Unternehmensgeschichte interviewt. Er sagte: „Es ist wichtig, die eigenen Horizonte ständig herauszufordern. Du musst immer zum nächsten Level gehen.“ Ein dreiviertel Jahr später wurde Stalfs Horizont dann wirklich gefordert: Das Fintech-Branchenmagazin Finance Forward berichtete, dass eine Gruppe von N26-Beschäftigten einen Betriebsrat wählen wolle. Die „N26 Employees for the establishment of a Works Council“ hatten eine eigene Webseite aufgesetzt, in der sie schrieben, das Vertrauen in die Geschäftsführung sei auf einem „historischen Tiefstand“. Das habe auch eine Umfrage unter der Belegschaft gezeigt. Die Antwort des Unternehmens darauf, die Einsetzung eines „Employee-Experience“-Teams, sei nicht ausreichend. Stattdessen brauche es eine Institution, in der Anliegen ohne Druck von Seiten der Geschäftsführung erörtert werden könnten, einen „Works Council“, zu deutsch: einen Betriebsrat.

Oliver Hauser, Gewerkschaftssekretär bei Verdi, hat den Prozess begleitet. „Das Organizing bei N26 geht von den Beschäftigten aus“, sagt er, „wir von Verdi unterstützen den Prozess nur.“ Eine steigende Anzahl von N26-Angestellten sei bei Verdi eingetreten, ohne dass die Gewerkschaft Werbung gemacht oder Veranstaltungen im Betrieb abgehalten habe. Auch Hauser stellt sich die Frage, „ob N26 überhaupt noch ein Start-up ist, und nicht vielmehr einfach nur eine Bank wie viele andere auch.“ Aus seiner Sicht sind die Gründe dafür, dass ein Teil der Belegschaft einen Betriebsrat einrichten will, „die Art der Kommunikation im Unternehmen, die Arbeitsbedingungen, die vielen befristeten Verträge und die Entgeltungleichheit.“

Die anfängliche Reaktion der Geschäftsführung von N26: Man finde es besser, dass „alle Mitarbeiter die Möglichkeit einer Partizipation selbst wahrnehmen, anstatt sie auf einige wenige Leute zu delegieren“. Aber wenn die Belegschaft einen Betriebsrat wünsche, dann werde man das „respektieren“. Tatsächlich unternimmt das Management alles Mögliche, um den ersten Schritt in Richtung Betriebsrat, die Bestimmung eines Wahlvorstandes, zu verhindern. Das dafür einberufene Treffen im bayerischen Wirtshaus Hofbräu am Berliner Alexanderplatz versucht man mithilfe einer gerichtlich erwirkten einstweiligen Verfügung zu sabotieren. Die fadenscheinige Begründung: Der Veranstaltungsort habe kein geeignetes Hygienekonzept vorgelegt, auch seien Versammlungen von mehr als 500 Personen in Coronazeiten nicht zulässig. Damit verzockt sich N26 allerdings: Verdi springt in die Bresche und beruft die Versammlung anstelle der Beschäftigten ein. Das Unternehmen setzt zum selben Zeitpunkt ein „All-Hands-Meeting“ an, in dem es sein eigenes Mitarbeiter-Mitbestimmungskonzept vorstellen will. Trotzdem erscheinen rund 45 Mitarbeiter im Hofbräu, der Wahlvorstand kann bestimmt werden, N26 hat verloren. Am nächsten Tag wiederholt sich dasselbe Spiel in Bezug auf einen anderen Unternehmensteil, auch hier kann ein Wahlvorstand bestimmt werden, obwohl ein Vertreter des Managements versucht, auf der Versammlung gegen einen Betriebsrat zu agitieren.

Der CEO frisst Kreide

Das Vorgehen von N26 ist für das Unternehmen schon schlimm genug, auch weil Finance Forward jeden Schritt des Debakels akribisch begleitete. Das größte Eigentor schossen die beiden Gründer, Stalf und Tayenthal, allerdings selbst. Das Onlinemagazin zierte aus einer ihrer E-Mails: Ein Betriebsrat stehe „gegen fast alle Werte, an die wir bei N26 glauben“, heißt es da. Ein Betriebsrat verlangsame das unternehmerische Agieren, mache die „Zusammenarbeit komplexer und hierarchischer“, untergrabe eine „Kultur des Vertrauens“ und sei einfach „kein zeitgemäßes Instrument des Mitarbeiterengagements“.

So klar hört man Dererlei selbst in der Start-up-Szene selten; die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Sie reichten von Kund:innen, die ihre Konten bei N26 zu kündigen drohten, bis hin zu Empörung in den höchsten Rängen der SPD-Führung. Am Ende musste die Unternehmensspitze öffentlich Abbitte leisten. Auf Anfrage teilte N26 mit, man sei nicht gegen einen Betriebsrat, als Ergänzung wolle man aber eine „innovative, moderne, inklusive und internationale Form der Mitbestimmung entwickeln, die auch Mitarbeiter an anderen Standorten einschließt“, also jene, für die das deutsche Arbeitsrecht nicht gilt.

Oliver Hauser schätzt, dass die Betriebsratswahl in acht bis zehn Wochen abgehalten werden kann. Er glaubt nicht, dass N26 sie noch aufzuhalten im Stande ist. Auf die Frage, ob es denn schon andere Start-ups gebe, in denen ein Betriebsrat existiere, sagt Gewerkschafter Hauser: „Ja, zum Beispiel in kleineren IT-Firmen. Bei einer IT-Firma haben wir zugesagt, den Namen nicht öffentlich zu nennen, da das Unternehmen fürchtet, das könnte sich bei den Investoren nachteilig auswirken.“

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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