Bürgergeld, Atomkraft, Inflation: Welche Themen 2023 wichtig werden
Ausblick Viele haben sich über die Feiertage eine politische Auszeit gegönnt. Wie steht es also gerade um die innenpolitischen Debatten? Eine Wiedereinstiegshilfe in fünf Schritten
Viele Menschen haben über die Feiertage – mehr oder weniger bewusst – abgeschaltet: sich dem täglichen Nachrichtenbombardement entzogen, um durchzuatmen. Sie (und ich) haben sich für kurze Zeit den Luxus erlaubt, auszublenden, was draußen in der Welt vor sich geht. Erstaunlicherweise stellt sich schon nach wenigen Tagen der Nachrichtenabstinenz die Wirkung ein, dass man „raus“ ist: Man findet den Anschluss nicht mehr – an die Aktualität. Worum drehte sich noch mal der letzte innere Zwist der Ampelparteien? Wann steht in Berlin die Wiederholungswahl an? Und wann bremsen die Gas- und Strompreisbremsen endlich das Galoppieren der Preise? Hier kommt deshalb eine kleine Wiedereinstiegshilfe in die innenpolitische Aktualität in fünf Schritten.
Bürgergeld statt Hartz IVErstens: Das Bürgergeld greift ab 1. Januar. Wer bisher Hartz IV bezogen hat und künftig Bürgergeld bekommen soll, wird sich allerdings den Luxus nicht leisten können, das Thema zu vergessen. Schließlich ist sie oder er existenziell davon betroffen, dass das Existenzminimum künftig um 53 Euro höher angesetzt wird. Und dass nun das Sanktionsmoratorium wieder ausläuft, das während der Corona-Pandemie gegolten hat. Es wird also wieder sanktioniert! Das Bürgergeld unterscheidet sich auch deswegen im Kern nicht von Hartz IV, selbst wenn einige Verbesserungen den Widerstand von CDU und CSU im Bundesrat überlebt haben: Qualifizierung soll künftig Vorrang vor der reinen Jobvermittlung haben, und bei den Mietkosten gibt es ein Jahr Karenzzeit.Doch die Erhöhung der Bezüge, die in anderen Zeiten – ohne explodierende Inflation – tatsächlich eine kleine Verbesserung der Kaufkraft bedeutet hätte, wird heute von der Geldentwertung gänzlich aufgefressen. Das Bürgergeld liegt damit zwar über dem Niveau von Hartz IV, aber immer noch unter dem Existenzminimum, wenn die Erhöhung der Regelsätze mit der Inflation nicht Schritt hält. Dasselbe gilt für die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro brutto, die seit Oktober 2022 gilt: Im Wahlkampf 2021 – wie lange das her ist! – konnte die SPD sie noch als wichtigen Schritt anpreisen, heute hinkt man damit schon längst wieder der Inflation hinterher.Wie geht es mit der Inflation weiter?Überhaupt, zweitens, die Inflation: Wie wird die sich im neuen Jahr entwickeln? Derlei Prognosen sind bekanntlich schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Die meisten Ökonomen gehen wohl davon aus, dass sich die Geldentwertung im Laufe der nächsten zwölf Monate abschwächt – auf sieben Prozent – und dann im Jahr 2024 wieder auf ein „normales“ Niveau sinkt. Nicht nur, weil im nächsten Jahr auch die Konjunktur schwächeln wird, sondern auch, weil die astronomisch hohen Energiepreise in letzter Zeit wieder gefallen sind. Und die waren es ja, die zu einer Verteuerung fast aller anderen Waren geführt hatten. Der Gaspreis zum Beispiel liegt am niederländischen virtuellen Handelspunkt TTF derzeit so hoch wie zu Jahresbeginn 2022, also noch vor dem Beginn des Ukraine-Krieges. Im Sommer war er kurzzeitig auf das Dreifache gestiegen. Wir erinnern uns: Die Ampelregierung wurde auf einmal hellwach, „Volksaufstände“ in einem heißen Herbst kamen ihr in den Sinn.Der heiße Herbst blieb aus. Das ging aber nicht auf das Abklingen der Inflation zurück, das ja erst noch aussteht, sondern auf die Ankündigungen der Koalition, die Spitzen der Belastungen abzufedern: mit der Gas- und der Strompreisbremse. Auch diese greifen nun endlich im neuen Jahr – allerdings in einer ganz eigenen Zeitdimension, mit den Worten der Bundesregierung „ab 1. März, rückwirkend zum 1. Januar“. Die Bürgerinnen und Bürger werden also in drei Monaten Geld bekommen haben, das sie schon jetzt im Januar zum Heizen brauchen. Es liegt nahe, dass auch dieser Winter noch ein heißer werden könnte. Denn geheizt werden muss ja doch, auch wenn der Reallohn dem Anstieg der Stromabschlagszahlungen und Gasrechnungen nicht hinterherkommt.Ampel-Streit um staatliche InvestitionenWie darauf politisch weiter reagiert werden soll, darüber wird die Ampel-Koalition – drittens – in den nächsten Monaten streiten. Denn in diesem Punkt klaffen die Positionen der drei Parteien ja besonders weit auseinander: Während die SPD mittlere und geringe Einkommen vor allzu großen Belastungen schützen will, finden manche Grüne, dass man die Anreize zum Einsparen von Gas und Strom nicht gänzlich weg-abfedern soll. Und die FDP, allen voran Bundesfinanzminister Christian Lindner, will vermeiden, dass die Rolle des Staates sich dauerhaft auf einem höheren Niveau stabilisiert: In der akuten Krise helfen, das mag angehen, aber dann will Lindner so schnell wie möglich wieder zurück zum schlanken Staat. Sonst müsste man ja auch darüber nachdenken, wie so ein stärkerer Staat finanziert werden soll, sprich: Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen erhöhen.Wenn Lindner nun ankündigt, dass bald ein „Wachstumspaket“ kommen soll, um aus Inflation und Schulden „herauszuwachsen“, dann meint er nicht Investitionen für die Energiewende oder die Dekarbonisierung des Wachstums, sondern einfach nur das alte FDP-Mantra: weniger Regeln für Unternehmen, weniger Bürokratie, am besten sogar niedrigere Steuern. Das will vergessen machen, dass ohne ein korrigierendes Eingreifen des Staates wegen der hohen Energiepreise und der Inflation die Reallöhne von Angestellten und Arbeiter:innen fortwährend schrumpfen, während die Unternehmen ihre Profite, ihre Dividenden und Boni vor der Entwertung und der Besteuerung schützen. Eingriffe täten also not, aber es spricht alles dafür, dass Lindner und seine Partei die Ampelregierung in dieser Frage bremsen, wenn nicht blockieren werden. Nur wenn die Krise sich zuspitzt, wird es wohl Handlungsspielraum für eine intervenierende, gestaltende Politik geben.Fracking und Atomkraft: Streit um die EnergiepolitikÄhnliches gilt – viertens –, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, bei der Energiepolitik: Wir erinnern uns: Den Streit um die Verlängerung der Laufzeiten für die drei letzten verbliebenen Atomkraftwerke hatte Olaf Scholz im Oktober 2022 durch den Rückgriff auf seine Richtlinienkompetenz entschieden, nachdem FDP und Grüne sich darüber wochenlang in den Haaren gelegen hatten. Die Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland laufen demgemäß noch bis zum 15. April, dann sollen sie endgültig abgeschaltet werden. Der Atomausstieg wäre dann komplett. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass es der FDP gelingt, dieses „Basta“ des Kanzlers noch einmal umzudrehen. Aber dagegen anrennen wird sie wohl. Und ein neues Konfliktfeld, das Lindner und Co. in den nächsten Wochen und Monaten auftun werden, wird dazukommen: Fracking, also das Fördern von Erdgas durch das Einpressen von Sand und Chemikalien im Bohrwasser, soll auch in Deutschland wieder eingesetzt werden.Auch dieser Vorschlag funktioniert ähnlich wie andere FDP-Vorstöße. Sie wirken für Fachfremde vernünftig: Warum sollten wir eigentlich nicht selbst fracken, wenn Wladimir Putin uns das Gas abdreht und wir sonst nur Frackinggas aus den USA als Alternative haben? Vor allem, wo nicht wenige Geologen sagen, dass das hierzulande viel risikoärmer möglich wäre, als die Grünen-Basis glaubt? Beschäftigt man sich aber mit der Materie, dann wird aus dem vermeintlich vernünftigen Debattenbeitrag die Nebelkerze, die er eigentlich ist: Gewiss eignet sich Fracking sehr gut dazu, grüne Gemüter zu erregen. Aber für die Energieversorgung der Bundesrepublik taugt es nur begrenzt. Der größte Haken: Die Genehmigungsverfahren für neue Förderstätten würden so lange brauchen, sie müssten so viele Hindernisse und Widerstände überwinden, dass das Gas erst dann flösse, wenn wir es klimapolitisch nicht mehr guten Gewissens einsetzen könnten. In zehn oder 20 Jahren sollten unsere Heizungen mit Wasserstoff funktionieren oder durch Wärmepumpen ersetzt werden, Frackinggas made in Germany wäre dann hoffentlich überflüssig. Eigentlich macht die Forderung nach Fracking also wenig Sinn. Weshalb man davon ausgehen kann, dass die FDP ihre Koalitionspartner mit dem Thema noch heftig triezen wird.Was bringt die Wahlwiederholung in Berlin?Als Gegner treten die Ampelparteien – fünftens – auch bei der Wiederholung der Berlin-Wahl am 12. Februar an: Ob die rot-grün-rote Koalition dort ihren Wahlsieg von vor einem Jahr noch einmal wiederholen kann, ist genauso ungewiss wie die Reihung der Parteien, sollten sie es zusammen noch einmal schaffen. Am Ausgang des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ wird die Wahl nichts ändern, der wird ja nicht noch einmal durchgeführt. Aber ob die neue Regierung ihn endlich umsetzt?
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