Die Causa Graichen legt eine Schwäche der Grünen offen: Aber Filz ist es nicht
Meinung Vergleicht man die Verfehlungen von Habecks Staatssekretär Patrick Graichen mit denen seines Vorgängers von der CDU, Thomas Bareiß, muss man sich verwundert die Augen reiben: Worum geht es bei der Graichen-Affäre eigentlich wirklich?
Der heimtückische Plan von Graichen und Habeck besteht darin, Deutschlands Klimaziele einzuhalten, indem die Energiewende vorangetrieben wird
Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images
Graichen muss also weichen. Der Staatssekretär von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Patrick Graichen, wurde von seinem Chef am Mittwochvormittag entlassen, weil er gegen Compliance-Regeln seines Ministeriums verstoßen haben soll.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Graichen soll einen Antrag des BUND Landesverbands Berlin bewilligt haben, bei dem seine Schwester im Vorstand saß. Die hatte zwar mit dem Antrag nichts zu tun, aber nach den internen Compliance-Vorschriften hätte Graichen den Antrag trotzdem nicht bearbeiten dürfen.
Was in der „Graichen-Affäre“ zutage tritt, ist allerdings kein „grüner Selbstbedienungsladen“, „grüner Sumpf“ oder gar „grüner
#8222;grüner Filz“, wie es der CSU-Generalsekretär Martin Huber so schön ausdrückt (obwohl man bei einem CSU-Generalsekretär doch eigentlich annehmen könnte, er wisse, wovon er spricht, wenn es um Filz geht).Trauzeuge, schau wem!Nein, vor allem anderen geht es um die Unfähigkeit der Grünen, die politischen Angriffe des politischen Gegners abzuwehren. Genau wie das Gebäudeenergiegesetz seit Monaten von CDU/CSU und Springer sturmreif geschossen wird, sind die vorgetragenen Vorwürfe gegen Graichen vor allem eines: Versuche des politischen Gegners, die Grünen zu treffen und zu schwächen.Was Patrick Graichen angeht, kann man die Beurteilung seiner mutmaßlichen Verfehlungen dadurch feinjustieren, dass man sie mit denen seines Vorgängers Thomas Bareiß (CDU) vergleicht. Bareiß war von 2018 bis 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, damals noch unter Peter Altmaier (CDU). Bareiß machte vor allem damit von sich reden, dass er beim Klimaschutz alles blockierte, was zu blockieren war: ein Greenpeace-Report listet ihn unter den maßgeblichen klimapolitischen Blockierern der GroKo.Wofür er sich allerdings einsetzte, war die korrupte und autoritäre Regierung Aserbaidschans, etwa als er 2020 eine Firma für Beatmungsgeräte anrief und darauf drang, wegen der guten wirtschaftlichen Beziehungen Aserbaidschan bevorzugt zu beliefern. Dass Bareiß jahrelang im Kuratorium des Deutsch-Aserbaidschanischen Forum saß, neben Eduard Lintner, einem der Hauptakteure der nachweislich korrupten Aserbaidschan-Connection, und auch mit ihm das Land bereiste, wollte er lieber nicht öffentlich machen.Gegen seinen Vorgänger von der CDU, Thomas Bareiß, verblassen Graichens FehlerAuch wenn man Graichens Verfehlungen mit denen anderer Politiker, etwa aus der CDU in den verschiedenen Masken-Affären während Corona, vergleicht, dann wird vor allem eines sichtbar: Graichen hat gegen das politische Gesetz der „Optik“, verstoßen, in der Sache haben seine Entscheidungen höchstwahrscheinlich keinen Unterschied gemacht. Und schon gar nicht ging es um persönliche Bereicherung.Dass Graichen seine Befangenheit in der Bestellung von Michael Schäfer zum DENA-Chef nicht von sich aus problematisiert hat, war ein Fehler. Aber daraus einen „grünen Selbstbedienungsladen“ zu stricken, einen „Graichen-Clan“ mit sinistren Motiven, geht an der Sache vorbei. Der heimtückische Plan der Graichen-Sippe und des Habeck-Clans besteht darin, Deutschlands Klimaziele einzuhalten, indem die Energiewende vorangetrieben wird.Es mag eine Rolle spielen, dass die Grünen in der Vergangenheit gerne von oben herab die Verfehlungen anderer angeprangert hatten, etwa in den Reihen von CDU und CSU, und man es ihnen jetzt gerne heimzahlt. Doch viel mehr noch geht es um Interessen: Das „fossile Kapital“ und seine Vertreter bei CDU und CSU versuchen mit allen Mitteln, die Politik des Wirtschaftsministeriums, des federführenden Hauses in der Energiewende, zu torpedieren. Vielleicht gilt auch das Gegenteil: Um Habeck und die Grünen zu treffen, haut man auch auf die Klimapolitik ein, als gäbe es kein Morgen.Geht es nicht eigentlich um Interessen, die die Energiewende torpedieren wollen?Es hilft vielleicht auch, sich an dieser Stelle vor Augen zu führen, wie dieser Kampf geführt wird. Was gegen das Gebäudeenergiegesetz von der Opposition vorgebracht wurde und wird, ist zum kleinsten Teil berechtigte Kritik an den ungleichen sozialen Folgen. Und zum größten faktenfreie Fake News. „Bis zu 300.000 Euro“ würde ein Wärmepumpen-Einbau kosten, wie Markus Söder behauptet? Eine jetzt veröffentlichte Umfrage der Zeit bei tatsächlichen Besitzer:innen von real existierenden Wärmepumpen belegt recht eindeutig: Die Kosten für den Ankauf und Einbau von Wärmepumpen belaufen sich im Durchschnitt auf 19.600 Euro. Im Durchschnitt!Dazu kommen bei den Besitzern von Wohnungen und Häusern, die vor 2000 gebaut wurden, noch mal durchschnittlich 50.000 Euro für Sanierungsmaßnahmen, also neue Fenster, Sanierung von Dach und Fassade und ähnliches, von dem vieles als ganz normale Sanierung wohl sowieso früher oder später gemacht würde. Doch die Pointe kommt noch: 75 Prozent der Wärmepumpenbesitzer sagen, die Sache habe sich für sie finanziell gelohnt. Warum? Weil die Heizkosten sinken, und die Wärmepumpe sich amortisiert. Das hielte man nicht für möglich, vertraute man in der Sache nur auf Bild und CDU/CSU als Informationsquelle.Man muss den Grünen vor allem anderen also vorwerfen, dass sie es nicht schaffen, damit durchzudringen. Dass ihre politische Kommunikation zu schwach ist, um sich gegen die Fake-News-Kampagne der Bild und von CDU/CSU durchzusetzen.