Der Boulevard der zerbrochenen Träume

Österreich Der talentierte Herr Kurz darf sich nach der Wahl einen Koalitionspartner aussuchen
Etwas gequält schenkt Sebastian Kurz Österreich mal wieder sein Siegerlächeln
Etwas gequält schenkt Sebastian Kurz Österreich mal wieder sein Siegerlächeln

Foto: Georg Hchmuth/AFP/Getty Images

Erinnern Sie sich noch an Ibiza? An jenes Video, in dem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache einer scheinbaren Oligarchennichte allerhand in die Hand versprach, sollte sie es schaffen, die Kronen-Zeitung zu kaufen, und dann damit die FPÖ hoch zu schreiben?

„Wenn dieses Medium auf einmal uns pusht“, so sagte H.C. Strache damals im zu engen T-Shirt mit V-Ausschnitt, während er Wodka-RedBull in sich hineinkippte, „dann machen wir nicht 27, dann machen wir 34 Prozent." Wie lange der Sommer schon her ist.

Gestern wählten nur 17 Prozent der österreichischen Wahlberechtigten die FPÖ. 38 Prozent gaben ihre Stimme einem 33-jährigen Altkanzler mit zurückgegeltem Haar – den zu pushen das Boulevardmedium Kronen-Zeitung nicht müde geworden war.

Die Wahlgewinnerin ÖVP ist allerdings in keiner Weise „eine bürgerliche Partei“ mit „mit klarem Profil“ (Friedrich Merz), von der die CDU hierzulande etwas lernen könnte.

Sondern eine Führer-Partei, die sich stromlinienförmig an dem talentierten Herrn Kurz ausgerichtet hat. Kurz selbst hat überhaupt keine Positionen, sondern nur Marketingstrategien, die er gnadenlos umsetzt.

Damit hat er 2010 bei der Jugendorganisation der ÖVP unter dem Schlachtruf "Schwarz macht geil" begonnen, führte es als Integrationsstaatssekretär fort, als er einen um Integration bemühten und Islamfreundlichen Kurs fuhr, und trieb es es im Wahlkampf 2017 auf die Spitze, als er jeglichen Misstand, ja fast sogar noch das schlechte Wetter, dem Islam im Allgemeinen und islamischen Kindergärten im Besonderen in die Schuhe schob.

In diesem Wahlkampf spielte Kurz eine Art Best-of-Album, was offensichtlich funktioniert. hat Kurz steht nun vor der Qual der Wahl: Koalieren könnte er sowohl mit SPÖ (21 Prozent), FPÖ oder den Grünen (12 Prozent). Eine Koalition mit den Grünen böte sich an. Kurz hat ja SPÖ und FPÖ jeweils schon einmal verschlissen – und die Koalition mit beiden schon einmal wieder aufgekündigt. Noch dazu ist die FPÖ in ihrer derzeitigen Phase höchst labil, da Strache nach den jüngsten erneuten Korruptionsvorwürfen im Abseits steht. Das heißt bei der FPÖ – Haider hat es vorgemacht –, dass er die Partei mit in den Abgrund reißen könnte.

Dass Kurz selbst keine Positionen, aber dafür ein formidables Gespür für die Richtung hat, in die der österreichische Zeitgeist hingravitiert, spricht ebenfalls für eine Koalition mit den Grünen.

Dagegen steht allein: Die DNA der SPÖ, in der das Großkoalitionäre-Gen so dominant ist, dass sie so ziemlich alles tun und aufgeben würde, um wieder an der Macht zu stehen. Auch wenn das für sie, die gestern das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt hat, lebensgefährlich sein könnte.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

Pepe Egger

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden