Nach der Bundestagswahl war ja viel davon die Rede, wie man die AfD bekämpfen und wieder kleinkriegen werde. In letzter Zeit scheint es, als habe sich ein Teil der Union dafür entschieden, die wirksamste Strategie dafür sei jene, dem Vorbild des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz nachzueifern: der Rechten Stimmen wegnehmen, indem man ihre Positionen übernimmt.
Das Problem an diesem Ansatz ist, dass er – medizinisch gesprochen – Symptome bekämpft, während zugleich die Ursachen für den Aufstieg der AfD fröhlich weiterexistieren, ja sogar zunehmen könnten.
Was aber sind diese Ursachen? Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung nach Gründen gesucht, warum – obwohl „es uns wirtschaftlich so gut wie noch nie seit der Wiedervereinigung geht“ – trotzdem so viele Menschen derart verbittert seien, dass sie die AfD wählen. Als Antwort fiel ihr, neben den „Problemen der Eurozone“ und dem „internationalen Terrorismus“, wenig überraschend nur die hohe Zahl der in Deutschland angekommenen Flüchtlinge ein.
Wer ist „Wirtschaft“?
Dass das ebenso falsch wie verhängnisvoll ist, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie zu den tatsächlichen Gründen des Erstarkens der AfD. Eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern (Dieter Sauer, Ursula Stöger, Joachim Bischoff, Richard Detje und Bernhard Müller) hat sie im VSA-Verlag unter dem Titel Rechtspopulismus und Gewerkschaften veröffentlicht.
Die Studie hakt an dem Merkel’schen „obwohl es uns wirtschaftlich so gut geht“ ein: Gewiss kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man die Wirtschaftsnachrichten studiert: Die Wirtschaft brumme, heißt es dort, sie laufe rund und komme aus dem Wachsen gar nicht mehr heraus. Aber was ist diese „Wirtschaft“ eigentlich? Die allermeisten Wirtschaftsnachrichten handeln davon, was sich vom Standpunkt von Managern, Unternehmern, Anlegern aus zeigt. Unter „Personalien“ schreibt etwa die Süddeutsche Zeitung über den „Absahner“ (Bahn-Chef Grube), den „Abreißer“ (Lufthansa-Vorstand Dirks) und den „Verkäufer“ (Ex-Qualcomm-Chef Jacobs). Und nicht, niemals: über die Anlagenbedienerin in Halle 2, der man vor Kurzem einen zusätzlichen Automaten hingestellt hat, weil sie sich unvorsichtigerweise kurz hingesetzt hatte.
Dabei hätte diese eine Menge zu „Wirtschaft“ zu sagen: Wie Wirtschaft sich auf der Seite der Arbeitenden anfühlt zum Beispiel. Wie der „Aufschwung“, die gute Konjunktur, dass „die Wirtschaft läuft“ – wie all das von denen erlebt wird, die mit ihren Händen den Mehrwert schaffen, den sich dann andere aneignen: Nämlich, und das muss all jene überraschen, die sich bloß auf die Wirtschaftsnachrichten verlassen, als Arbeitsverdichtung, Leistungsdruck, Unsicherheit aufgrund von permanenter Umstrukturierung, als Erpressung mit der Drohung der Standortverlagerung ins Ausland. Die Studie von Sauer, Stöger et al. spricht in Bezug auf die Industrie und den Dienstleistungssektor von einer „arbeitsweltlichen Zuspitzung“: einer Abwärtsspirale der Verschlechterung tatsächlicher Arbeitsbedingungen, die in krassem Widerspruch zur öffentlichen und medialen Darstellung von „Wirtschaft“ steht.
Natürlich ist nicht alles an dem Befund neu: Rationalisierung ist so alt wie „Wirtschaft“ selbst. Aber die Studie belegt, dass die Zuspitzung in den letzen Jahren eine radikal neue Qualität angenommen hat. Worum es geht, ist keine akute „Krise“, sondern eine schleichende Entwicklung, ein Prozess, der als „Krise ist immer“ wahrgenommen wird: permanente Restrukturierung (Aufspaltungen, Verlagerungen, Kostensenkungen, Standortkonkurrenz), vor allem als Folge von finanzmarktorientierter Unternehmensführung, die – genau wie der Strukturwandel – auch im Aufschwung die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes groß hält. Für die Besitzer von Aktien ist jeder Kostenanstieg, etwa durch Eintritt in den Tariflohn, eine schlechte Nachricht, jede Kostensenkung, etwa durch Entlassungen, eine gute.
Zur Unsicherheit in den Betrieben kommt die Verunsicherung durch den Um- und Abbau der Sozialsysteme, so weit, dass sie am Ende eher als Bedrohung denn als soziales Auffangnetz erscheinen. Und schließlich dräuen Digitalisierung und Automatisierung am Horizont – von denen Arbeitgeber deutlich mehr als Arbeitnehmerinnen profitieren dürften –, die die Unsicherheit komplett machen. Dass das beschriebene Phänomen medial nicht ausreichend abgebildet wird, die davon Betroffenen nicht gehört werden, ist nicht nur deshalb fatal, weil damit die Möglichkeit, gegenzusteuern, untergraben wird. Sondern weil unverständlich bleiben muss, welche politischen Folgen es zeitigt.
Voll ist das Fass, nicht das Boot
Denn: Die erwähnte Studie argumentiert, die betrieblichen Zustände seien „der Nährboden für Rechtspopulismus“, hätten eine Mitschuld am Entstehen einer „adressatenlosen Wut“, einer politischen „Klimaveränderung“, und schließlich der Zunahme rechter Gesinnung und Ressentiments. Der Zusammenhang zwischen „arbeitsweltlicher Zuspitzung“ und politischem Rechtsruck ist kein direkter, automatischer. Sondern: Die konkreten Arbeitsverhältnisse führten dazu, dass „Ängste, Abwertungserfahrungen, Entsolidarisierung, Resignation und Wut“ zunähmen, zugleich mit dem Bewusstsein, dass „die Politik“ ohnmächtig oder nicht Willens ist, etwas zur Verbesserung der Lage zu unternehmen.
Erst diese Enttäuschung werde dann zum Einfallstor für rechte Politikangebote, die Wut artikulieren, einen Sündenbock anbieten, ein imaginiertes „wir Deutsche“ gegen „die“ an die Leerstelle setzen, an der früher ein „unten“ gegen „oben“ hätte stehen können. Anstatt anzunehmen, die AfD sei wegen der massenhaften Ankunft von Geflüchteten erstarkt, argumentieren die Autoren, der Flüchtlingssommer sei eher der Tropfen, der ein bereits mit konkreten Verschlechterungen der Arbeitswelt volles Fass zum Überlaufen gebracht habe.
Wer der AfD etwas entgegensetzen möchte, sollte vielleicht aufhören, sich mit rechten Publizisten herumzuschlagen. Und stattdessen versuchen, die realen Bedingungen von Arbeit zu ändern.
Info
Rechtspopulismus und Gewerkschaften. Eine arbeitsweltliche Spurensuche Dieter Sauer, Ursula Stöger, Joachim Bischoff, Richard Detje, Bernhard Müller VSA Verlag 2018, 216 S., 14,80 €
Kommentare 9
Hier und da köchelt es schon, aber die AFD war clever genug dies zu lenken gegen ihren gehassten Sündenbock. Und es gibt immer genug Dumme denen du alles erzählen kannst und sie das sofort verinnerlichen wenn es nur plausibel klingt. Details oder Hintergründe interessieren nicht. Nicht einmal die Unseriosität dieser Partei.
Die Fokkusierung auf Zuspitzung, Verdichtung und zunehmende Volatilisierung in der industriellen und serviceorientierten Arbeitswelt, lässt natürlich die Moneten außer acht. Denn es ist nicht so, dass die Menshen, die das über sich ergehen lassen, auch dafür angemessen entlohnt werden.
Die entsprechende Grafik dazu (Bruttoanteile am Volkseinkommen) sollte eigentlich bei jedem Politiker, am besten als Hintergrund auf dem PC oder Handy, ständig präsent sein. Denn sie birgt jede Menge Sprengstoff:
http://wir2018.wid.world/files/part-2/figure-262.png
Die Hälfte der Bevölkerung wird vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt und das gängige Narrativ ("uns geht es gut") gilt für sie nicht. Nun, wie sich dann diese Diskrepanz zwischen den unisono verbreiteten Erfolgsmeldungen und eigener Lage bei auswirkt, kann man sich vorstellen.
Unter diesen Bedingungen ist die AfD hier, um zu bleiben.
Interessant ist auch die Frage am Schluss:
"Wie beurteilen Sie aktuell die allgemeine wirtschaftliche Situation Ihres Betriebes?"
Wieviele antworten: "Ich besitze keinen Betrieb"?
Ach so, geht ja gar nicht. Na dann, wünsche jute Jeschäfte.
Wenn es um die "arbeitswelt" geht hat jeder seine eigenen erfahrungen und seine eigene sicht. Das wiederum verstellt den blick auf's ganze und macht alltägliches gejammer "plausibel". ...und da wird einiges geboten: es gibt nämlich einen "fachkräftemangel", obwohl die "generation praktikum" genau gegenteilige erfahrungen macht; junge fachkräfte kriegen einfach keinen festen job! Und die lohnkosten sind natürlich "zu hoch"; ja es gibt sogar menschen, deren arbeit nicht mal den mindestlohn "wert" ist, gleichzeitig stagniert der binnenmarkt, die gastronomie jammert, dass es niemanden mehr gibt, der tagaus tagein für einen hungerlohn arbeiten will, von pflegenotstand gar nicht zu reden - aber anständig bezahlen will die arbeiten keiner (weder der staat noch das kapital)...
Wer seine mit"bürger*innen" derart verdummt und für blöd erklärt - wie das FAZ, WELT und BLÖD-Zeitung in einem fort tun - der braucht sich nicht wundern, dass er "lügenpresse" genannt wird und eine regierung, die derartiges vor- und nachplabbert redet die "radikale" rechte selbst stark.
Das jedoch ist mglw. ein ausgeklügeltes kalkül. Denn es ist für die herrschende GROKO-unwilligkeit, die skandalösen umstände zu ändern, immer noch besser, es gibt notfalls eine rechte mehrheit, denn eine linkemehrheits"bedrohung". Und mit der AfD ist genau das wirklichkeit geworden - linke mehrheiten sind auf dauer verunmöglicht, denn notfalls kann die CS/DU ja auch mit der AfD regieren, die ohnehin - soweit das personal betroffen ist - nur "fleisch vom eigenen fleische" ist...
Richtig!
Die Spitze dummdreisten Populismus ist, wenn die CSU mit ihren vielen AfD identischen Positionen, die AfD zu ihrem Feind erklärt. Alles was hinkt ist nicht unbedingt ein Vergleich, aber CSU gegen AfD ist wie Antifa gegen LINKE, Kipping gegen Wagenknecht oder Klaus Lederer gegen die Friedensbewegung - nur anders herum. Letztere werden jedoch mit hinterhältiger Absicht gespalten. Aber so wird heute der Wähler gelenkt. Was wir brauchen ist die sachliche Aufklärung der Propagandaopfer. Nur bloß nicht von gutbezahlten (von wem?) verwahrlosten Intellektuellen.
>>Die Spitze dummdreisten Populismus ist, wenn die CSU mit ihren vielen AfD identischen Positionen, die AfD zu ihrem Feind erklärt…<<
Das Problem der C“S“U: Der Konkurrent „A“fD verhindert die absolute Mehrheit der C“S“U.
Hoffentlich merkt das der Wähler. Eigentlich bin ich ja Optimist, ... .
Alles bekannt, den Machern, doch es passt nicht in ihre Welt. Wir werden die AfD weiter wachsen sehen. Es wird MinisterpräsidentenInnen der AfD geben, sie werden massiv das Land weiter verändern, finanziert von KapitalGermanen, die es genau so wollen. Sie bleiben namenlos, wie jene big spender von Kohl. Die Reichen werden reicher, die Armen bleiben arm und die Mittelschicht sackt peu à peu ab. Das ist alles Fakt. Schon heute weiss dies genau CIA, man lese ihr 2035-opus.
Das sind die Umfragen von Civey, die es ein wenig zu genau wissen wollen, wer ihnen die Fragen beantwortet. Die Teilnehmer werden über die immer detaillierter formulierten Fragen geradezu ausspioniert. Wahrscheinlich erstellt dieses Meinungsforschungs-Unternehmen zum Schluss eine Landkarte politischer Einstellungen runtergebrochen bis auf die Wahlkreise und verkauft die Daten an politische und wirtschaftliche Institutionen, damit diese ihre "Produkte" oder ihre "PR" anpassen können. Was den ökonomischen Interessen dieser Käufer von Meinungsumfragen widerspricht, und dazu gehören auch die politischen Institutionen, wird dann mit Medienkampagnen bekämpft; was ihnen in den Kram passt wird verstärkt.
Bei manchen Fragen gibt es Mehrheiten für sehr vernünftige Positionen, bzw. eine Mehrheit der Befragten scheint ein klares Bild für die Realiät zu haben, bei anderen Fragen lässt die Mehrheit der Antworten vermuten, dass sich anscheinend viele Afd-Anhänger an den Umfragen beteiligt haben.
Was die ökonomische Gesamtsituation angeht, also die Befunde der Volkswirtschaft: hier brauchen wir viel mehr kritische Aufklärung, geradezu Volksbildung. Wer blickt denn da noch durch? Oder wer hat überhaupt Grundkenntnisse, wie der Ast organisiert ist, auf dem wir alle sitzen?
Der Partei Die Linke würde ich empfehlen die Anzahl der Fabio de Masis (Bundestagsabgeordneter dieser Partei aus Hamburg, vorher EU-Parlament, Volkswirtschaftler) in der Partei zu multiplizieren.
Und den geneigten Kommentatoren in dieser Kommentarspalte, die hier alle sehr kompetent kommentieren, möchte ich empfehlen in den Tagen über den Jahreswechsel die Gelegenheit zu nutzen bis zum 4. Januar die Beiträge auf Heiner Flassbecks Maskroskop gratis lesen zu können. Reinschnuppern lohnt sich.
Makroskop - Onlinemagazin Kritische Analysen zu Politik und Wirtschaft Herausgeber: Heiner Flassbeck & Paul Steinhardt