Zum Tagesgeschäft deutscher Wirtschaftsprofessoren scheint es zu gehören, nach getaner professoral-leidenschaftsloser Lehre und ebenso hochnüchterner Forschung einen flammenden Appell rauszuhauen, einen warnenden „Aufruf!“, den man dann in der FAZ unterbringt, damit er seine Adressaten erreiche.
Das Produkt der jüngsten Aufwallung in der deutschen Ökonomenzunft ist der von 154 Unterzeichnern (darunter sind tatsächlich 94% Männer) abgesegnete Aufruf „Der Euro darf nicht in die Haftungsunion führen!“. Das englische Schundblatt Daily Express schlagzeilte folgerichtig, „German economists FURIOUS over plans to reform Eurozone“.
Der von Dirk Meyer, Thomas Mayer, Gunther Schnabl und Roland Vaubel verfasste Text, zu dessen Unterzeichnern auch Hans-Werner Sinn gehört, nimmt den Koalitionsvertrag von CDU-CSU und SPD zum Ausgangspunkt, um vor der dort erklärten Absicht zur Reform der Eurozone eindringlich zu warnen. Es drohe eine „Haftungsunion“, und damit „hohe Risiken für die europäischen Bürger“, wenn der ESM zur Bankensanierung herhalten müsste, es einen Europäischen Währungsfonds gäbe und die europäische Einlagensicherung käme. Auch der Vorschlag eines europäischen Investitionsfonds kriegt sein Fett ab: Er würde dazu führen, dass Länder in den Genuss von Investitionen kämen, „die es in der Vergangenheit versäumt haben, die notwendigen Reformmaßnahmen zu ergreifen“, Fehlverhalten werde so am Ende sogar noch belohnt.
Zu viel am Moralin genippt
Der Aufruf vermeidet jede Gefahr, sich mit der real existierenden Eurozone, und den vor ihr liegenden Herausforderungen zu befassen. Im Gegenteil. Wie die Passage über den Investitionsfonds zeigt, haben die hochnüchternen Professoren zu viel am Moralin genippt: Die, die unter den Auswüchsen der Eurokrise darben (und sich nicht daran gesund stoßen, wie Deutschland) sind moralisch schlecht, und gehören bestraft.
Hat man das so nicht schon x-mal gelesen, etwa zu Zeiten der Griechenlandkrise? Man hat. Aber einen Hoffnungsschimmer gibt es doch – in den Reaktionen auf den Aufruf. Etliche Ökonominnen und Ökonomen, etwa Isabel Schnabel und Jan Pieter Krahnen, stellten klar, dass die 154 nicht für alle „German economists“ sprechen. Andere, wie Marcel Fratzscher, warnten davor, den im Aufruf enthaltenen Empfehlungen (mehr Strukturreformen!) zu folgen. Das sei „der sichere Weg den Euro zu zerstören und Europa und auch Deutschland in eine Krise zu treiben“. Die Vereinnahmung des Appells durch die AfD dürfte für zusätzliche Klarheit sorgen.
Vielleicht zeigt sich auch bei den appellierenden Professoren: Wer zu oft Wolf schreit, wenn es doch darum ginge, die Verwerfungen einer unvollkommenen Währungsunion zu reparieren, dem hören die Leute irgendwann nicht mehr zu.
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