Mar Fernández-Méndez ist Meeresbiologin. Da ist es praktisch, dass sie das Meer, el mar, schon im Vornamen trägt. Sie forscht am Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Und während Algen für viele Menschen etwas Ekliges sind, ein Ärgernis im Badeurlaub, so glaubt Mar Fernández-Méndez daran, dass Algen bei der Bekämpfung des Klimawandels eine zentrale Rolle spielen können. Weswegen sie in der Hochsee, also in der Mitte der Ozeane, Algen anbauen will.
Tatsächlich stoßen alle Länder auf der Erde zusammen derzeit knapp 40 Gigatonnen CO2 aus, jährlich. Fernández-Méndez sagt: „Würden wir eine Fläche des Meeres zum Algenanbau nutzen, die so groß ist wie Portugal, dann
gal, dann könnten wir der Atmosphäre jedes Jahr eine Gigatonne CO₂ entziehen.“ Was weitergedacht heißt: 40 Mal Portugal aus Algen auf dem Meer, und schwuppdiwupp wären wir bei Nettonull. Doch ist das realistisch? Und stimmt es wirklich, dass Algen derartige Wunder vollbringen könnten?Algen sind besondere Lebewesen. Sie umfassen eine gigantisch große Gruppe von vielen verschiedenartigen Organismen mit einer außerordentlich langen Geschichte, die wahrscheinlich fast zwei Milliarden Jahre zurückreicht. Wollte man definieren, was Algen sind, so könnte man sagen: Sie sind aquatische Organismen, also Lebewesen, die im Wasser leben, und die Fotosynthese betreiben, aber keine ausgereiften Wurzeln wie Landpflanzen haben.Braunalgen, Grünalgen, glitschiger Schmutz auf weißen SträndenAlgen, das reicht von großen Meerespflanzen wie Seetang, einer vielzelligen Alge, die riesige ozeanische Wälder bilden kann, bis zu mikroskopisch kleinen Grünalgen, deren Algenblüten gefährlich giftige Substanzen produzieren können. Was die meisten Algen auszeichnet, ist, dass sie wahre Profis der Fotosynthese sind; gerade diese Eigenschaft macht sie so interessant und wertvoll für alle Fragen, die mit dem Klima zu tun haben.Algen produzieren einen großen Teil des Sauerstoffs in unserer Atmosphäre, indem sie bei der Fotosynthese Kohlendioxid verbrauchen und als Nebenprodukt Sauerstoff freisetzen. Landpflanzen machen dasselbe, aber Algen sind viel schneller: Einige Mikroalgen können einen Lebenszyklus in wenigen Stunden abschließen und ihre Größe innerhalb von 24 Stunden verdoppeln. Sie können zehn bis 50 Mal mehr Kohlendioxid binden als Landpflanzen.Erntet man die so entstehende Algenbiomasse, kann man sie zur Herstellung von Biokraftstoffen, Bioplastik oder als Futtermittel für die Viehzucht verwenden. Aber Algen, insbesondere Mikroalgen, können auch zur Kohlenstoffspeicherung genutzt werden. Wenn sie im Meer versinken, wird der Kohlenstoff dauerhaft der Atmosphäre entzogen.Die Mikrobiologin Miriam Philippi, eine Mitarbeiterin von Mar Fernández-Méndez am Helmholtz-Zentrum in Bremerhaven, sagt, Algen eigneten sich auch deshalb so gut als alternative Quelle von Kraftstoffen, Plastik und Futter, „weil wir an Land das Problem haben, dass wir dort Nahrung für Menschen anbauen müssen, dass die Menschen dort leben und dass wir sowieso generell Platzmangel haben. Also ist es naheliegend, dass wir in die Ozeane ausweichen.“Um aus Algen Biobenzin zu machen, würde man in Küstennähe in sogenannten Offshore-Aquakulturen Algen züchten und dann an Land weiterverarbeiten. Um Algen aber als CO₂-Speicher zu nutzen, wollen sich Miriam Philippi und Mar Fernández-Méndez weiter hinauswagen: auf die Ozeanwüsten. So nennen sie jene Teile der Hochsee inmitten der Ozeane, wo kaum größere Organismen leben und auch der Mensch fast nie hinkommt. Diese Gebiete wollen sie nutzen, um Algen anzubauen.Das anvisierte Projekt sieht dabei so aus: Der Ozean würde zwar nicht gedüngt, aber Nährstoffe aus den tieferen Schichten des Wassers durch große Röhren an die Oberfläche gebracht. Damit entstünden produktive Ökosysteme, in denen Algen gezüchtet werden. Die Algen ziehen das CO2 aus dem Wasser und wandeln es in Kohlenstoff in ihrer Biomasse um. Dann sammelt man die Algen ein, presst die Biomasse zu Ballen zusammen, ähnlich wie Heuballen am Land, und gibt sie direkt vor Ort wieder ins Wasser, wo sie bis in die Tiefsee hinabsinken. Der Kohlenstoff, der darin gebunden ist, bliebe so für mindestens 500 bis 1.000 Jahre abgelegt.Mar Fernández-Méndez und Miriam Philippi haben für diese Art des „Ocean-Farmings“ eine bestimmte Alge im Auge: Sargassum. Der verdankt die Sargasso-See ihren Namen, also der Meeresbereich östlich von Nordamerika. Hier gedeiht die Sargassum-Alge normalerweise als herumschwimmender Teppich. Seit 2011 aber gibt es auch eine neue Sargassum-Population südlich der eigentlichen Sargasso-See, die immer wieder als übel riechende Anschwemmung die Sandstrände von Florida verschmutzt. Doch die Idee der Bremerhavener Meeresbiologinnen sieht ja vor, dass die Algen auf hoher See angebaut werden. Sargassum eignet sich dafür, weil sie schnell wächst und Nährstoffe sehr gut umsetzt; sie kann alle 10 bis 12 Tage ihre Biomasse verdoppeln.Wer soll das bezahlen?Nun gibt es Einwände gegen das Sargassum-Projekt, die vorbringen, dass es viel weniger CO₂ binden würde als angedacht. Eine neuseeländische Studie wurde von einigen Zeitungen dahingehend ausgelegt, dass Algen, und Sargassum im Besonderen, doch keine so gute Idee zur Kohlenstoffspeicherung seien.Mar Fernández-Méndez kommt in Fahrt, wenn man sie auf das neuseeländische Paper anspricht: „Wir werden all die falschen Schlüsse, die der Autor zieht, bald widerlegen“, sagt sie. Sie und ihr Team hätten bereits mehrere der Einwände, die dort auf Schätzungen beruhten, experimentell widerlegt. Dass die Effizienz der CO2-Aufnahme der Sargassum-Algen von anderen Organismen behindert würde, zum Beispiel, oder dass die Algen mit anderen Organismen wie Plankton um Nährstoffe konkurrierten. Aber könnten die Algen zur Übersäuerung der Meere beitragen? Im Gegenteil, sagt Miriam Philippi: Der Algenanbau würde der Übersäuerung entgegenwirken, weil die Algen dem Wasser CO₂ entziehen, wodurch es weniger sauer wird.Algen konkurrieren nicht mit der Landwirtschaft an LandDie offene Frage allerdings ist: Wer soll das bezahlen? Und wie können die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen werden, damit auf der Hochsee, also jenem Teil des Meeres, das jenseits der Anspruchszonen aller Staaten liegt, gefarmt werden kann?Während die Ölindustrie sich einige Zeit für die Produktion von Biokraftstoffen aus Algen begeistert hatte, weil sie dabei zukünftige Profite witterte, so verspricht der Algenanbau zur CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre keine finanziellen Gewinne: Allen würde zwar damit geholfen, wenn Kohlenstoff gespeichert wird, aber kein einzelner könnte damit reich werden. Mar Fernández-Méndez sieht als mögliche Finanzierung die Ausgabe von Zertifikaten: Wer also anderswo CO₂ ausstößt, müsste dann in ebenso großem Ausmaß Algen auf hoher See anbauen, um die Emissionen auszugleichen. Die rechtliche Grundlage für das Algen-Farming aber, die müsste – analog zur Regelung von Schifffahrt und Fischfang in der Hochsee – die International Maritime Organisation (IMO) leisten.Noch ist es ein weiter Weg, bis das Projekt des Algenfarmings auf hoher See realisiert werden kann. Es braucht zusätzliche Forschung und Feldversuche. Und vor allem: finanzielle Unterstützung. Und selbst wenn das alles gelänge: Vor einem warnen die beiden Meeresbiologinnen schon heute. Algenanbau könnte eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen. Aber er kann kein Freifahrtschein sein dafür, in unserer Art zu leben und zu produzieren einfach so weiter zu machen wie bisher.