In Dänemark produzierte man schon im 19. Jahrhundert mithilfe von Windenergie Wasserstoff: Große Visionen säumen die Geschichte seiner Erforschung und die Versuche, ihn nutzbar zu machen. Durchgesetzt haben sich aber fast keine davon. Der Wissenschaftshistoriker Matthias Heymann weiß, woran das liegt.
der Freitag: Herr Heymann, in der Geschichte des Wasserstoffs wechseln sich Euphorie und Enttäuschung ab, Enthusiasmus und Stagnation. Wie kommt das?
Matthias Heymann: Wasserstoff ist ein sauberer Energieträger, den man aus Wasser herstellen kann: Diese Idee begeistert nach wie vor viele Menschen. Deshalb ist die Geschichte des Wasserstoffs voll von Utopien und Visionen, und von charismatischen Ingenieuren, die diese Utopien sehr wirksam unter die Leute bringen konnten.
Aber?
Nun, die technischen Probleme, die mit der Nutzung von Wasserstoff verbunden sind, sind immens. Da wären erstens die sehr hohen Kosten und Infrastrukturinvestitionen. Dazu kommt: Wasserstoff hat als Energieträger derartige charakteristische Nachteile, dass es schwierig ist, funktionierende Geschäftsmodelle darauf aufzubauen. Mir sieht es nicht danach aus, als würden Wasserstofftechnologien sehr bald große Sprünge nach vorn machen.
Wasserstoff ist schon sehr lange das nächste heiße Ding.
Ja, die Idee, Wasserstoff zu nutzen, ist relativ alt. Zeppeline sind eines der markantesten Beispiele: Da Wasserstoff das leichteste Gas ist, ist es ideal, um Ballone und Luftschiffe in die Luft zu heben. Deutschland war in der Technologie führend und in den 1920er und 1930er Jahren boten kommerzielle Luftfahrtlinien Zeppelinreisen über den Atlantik bis nach Nordamerika an. Allerdings waren Zeppeline eine Hochrisikotechnologie: Wasserstoff ist ein brennbares Gas, das sich sehr leicht entzündet. Es gab eine Vielzahl von Unfällen mit Zeppelinen, und nach dem Absturz der „Hindenburg“ in Lakehurst im Jahr 1937 wurde dann sehr schnell die ganze Zeppelintechnologie zu Grabe getragen. Damit war erst mal eine Hauptnutzung des Wasserstoffs vorüber.
Wie erging es der Brennstoffzelle, also der Wasserstoffbatterie?
Auch deren Entwicklung reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Es gab immer wieder technologische Durchbrüche, durch die man es geschafft hat, auf elegante Weise durch die Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff Strom zu erzeugen. Doch auch hier handelt es sich um eine schwierige, empfindliche Technologie, die es erschwert, dauerhaft zuverlässige Brennstoffzellen herzustellen. Ein Schub kam mit dem amerikanischen Raketenprogramm der NASA, welches Brennstoffzellen als Batterien für Raketen und für Weltraumstationen benötigte: Da spielten die eigentlich hohen Kosten keine Rolle, so dass große technische Fortschritte gemacht und tatsächlich einsetzbare Brennstoffzellen konstruiert wurden. Weil sie aber so teuer waren, hatten sie auf anderen Märkten eigentlich keine Chance: Es gab immer alternative Brennstoffe, die günstiger waren.
Wie sehr hängt das Ganze am Geld? Wenn die NASA es sich heute in den Kopf setzen würde, ein Wasserstoff-Auto mit Brennstoffzelle zu bauen, und ein Prozent des BIP dafür ausgeben würde, wie damals bei der Mondmission, wäre das nicht ein Leichtes?
Das ist eine gute Frage. Tatsächlich war man im frühen Kalten Krieg davon überzeugt: Wir müssen nur genug Geld in die Hand nehmen, dann bekommen wir jede Technologie funktions- und marktfähig. Man war dahingehend optimistisch, wie man in technischen und Ingenieurskreisen ja generell sehr optimistisch ist. Und man hat es in der Tat ja auch geschafft, die Technologien gebrauchsfähig zu entwickeln. Aber bis jetzt war es nicht möglich, sie – abgesehen von Nischenmärkten wie U-Booten und Raketen – auch profitabel zu machen.
Zur Person
Matthias Heymann ist Physiker und Wissenschaftshistoriker. Er lehrt an der Universität Aarhus, Dänemark. Sein Buch Forscher, Pioniere, Visionäre. Die Geschichte des Wasserstoffs als Energieträger ist 2009 bei Piper erschienen
Es gibt doch mittlerweile Autos, die mithilfe von Brennstoffzellen angetrieben werden?
Ja, die sind ein gutes Beispiel. Die Entwicklung hat seit den 1990ern technisch enorme Fortschritte gemacht, die Leistungsdichte ist dramatisch gewachsen, die Kosten deutlich gesunken, aber dennoch kostete ein Brennstoffzellenauto um das Jahr 2000 rund eine Million Euro (Anm. d. Red. Heute sind es 70.000 Euro). Und es war so weit von jeder Konkurrenzfähigkeit entfernt, dass die sehr ehrgeizigen Pläne der Automobilfirmen letztlich gescheitert sind. Das hängt nicht nur mit den hohen Kosten zusammen, sondern auch mit technischen Problemen, für die es keine einfache Lösung gibt. Zum Beispiel das Speichern des Wasserstoffs, der als Gas unter sehr hohem Druck bei 700 Bar oder bei sehr tiefen Temperaturen in flüssigem Zustand in Tanks gefüllt werden muss. Das sind aufwendige Technologien, die eine sehr aufwendige Infrastruktur erfordern.
Sie sagen, Wasserstoff sei zu kostspielig. Aber umgekehrt gibt es die Theorie, der Einsatz von Wasserstoff scheitere daran, dass man damit kein Geld verdienen kann: Dass zum Beispiel Tankstellen kein Interesse haben, Wasserstoff anzubieten, weil sie am Benzin mehr verdienen.
Natürlich ist es schwierig, mit Wasserstoff Geld zu verdienen. Aber es ist fraglich, wer die Henne ist und was das Ei. Die Autohersteller sagen, wir brauchen eine Ladeinfrastruktur, die Tankstellen sagen, wir brauchen Abnehmer. Und sicher gibt es auch große Industrieunternehmen, die gar kein Interesse an dieser Technologie haben, weil sie lieber Kohle, Gas oder Erdöl verkaufen wollen. Die Brennstoffindustrie wird sich natürlich gegen die Einführung von Wasserstoff zur Wehr setzen und alles tun, um diese zu verhindern. Welcher Investor soll die enormen Investitionen auf den Weg bringen, wenn er gar nicht wissen kann, ob Wasserstofffahrzeuge auf den Markt kommen und ob sie Abnehmer finden?
Der Staat müsste in die Bresche springen und sagen, ich schultere das?
Ja. Aber wie gesagt, es ist sehr schwierig, ein Gesamtsystem auf den Weg zu bringen, das konkurrenzfähig ist.
Und wenn uns das Öl ausgeht? Oder wenn eine Regierung sagt, wir wollen emissionsfrei werden?
Wenn man eine CO₂-neutrale Wirtschaft schaffen will und sich die internationale Staatengemeinschaft darauf verständigt, wäre das eine Voraussetzung, damit Wasserstoff vielleicht in einigen Jahrzehnten sehr attraktiv sein könnte.
Wie verhält es sich mit dem grünen Wasserstoff: Aus Windenergie Wasserstoff herzustellen, das gab es in Dänemark schon Ende des 19. Jahrhunderts. Heute will die Bundesregierung dasselbe nochmal versuchen.
Ja, das geht, und man hat das auch immer wieder versucht. Es hat sich aber gezeigt, dass man den Windstrom anderweitig viel sinnvoller nutzen kann, weil das günstiger ist. Wasserstoff könnte als Speichermedium dienen, aber auch das hat sich als ökonomisch nicht ausreichend attraktiv erwiesen, was damit zu tun hat, dass wir Alternativtechnologien haben, etwa fossile Energieträger, die entweder einfacher oder günstiger sind.
Hat man nicht bei der Solartechnologie gesehen, dass eine eigentlich unprofitable Energietechnik auf einmal rentabel wird, wenn zuerst der Staat subventioniert und dann durch die Skalierung und den internationalen Wettbewerb die Preise rasant fallen? Könnte das nicht mit dem Wasserstoff auch passieren?
Ja. Auch bei der Windenergie hat sich gezeigt, dass der Staat durch Subventionen und Anschubfinanzierung die Entwicklung bis zur Marktreife befördern kann. Damit sanken die Kosten. Man muss im Fall von Wasserstoff aber im Auge behalten, dass die technischen Probleme und die Investitionen sehr, sehr groß sind. Wasserstoff ist ein schwierig beherrschbares Gas, das in der Natur nicht vorkommt, sondern immer erst produziert werden muss. Das ist ein Konkurrenznachteil im Vergleich zu Öl oder Gas, das man einfach aus dem Boden pumpen kann.
Was sagen Sie dazu, dass die Bundesregierung jetzt die Wasserstofftechnologie entdeckt hat und fördern will?
Ich bin da etwas skeptisch, weil derartige Wasserstoffstrategien schon öfters und erfolglos ausgerufen wurden, etwa Anfang der 2000er, als sowohl die USA als auch die Europäische Union große Wasserstoffstrategien verabschiedet haben. Die Frage wird sein: Wie viel wird tatsächlich investiert? Wie nachhaltig ist der Ansatz, oder verpufft er in fünf Jahren wieder? Offen gesagt bin ich skeptisch. Ich glaube nicht, dass die Zeit des Wasserstoffs jetzt schon gekommen ist.
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