Tulpen haben wir die erste Spekulationsblase des Kapitalismus zu verdanken. Ende des 16. Jahrhunderts aus dem Osmanischen Reich nach Holland eingeführt, entwickelten sich diese Kryptophyten aus der Familie der Liliengewächse rasch zu einem Liebhaberobjekt, das neu, exotisch, selten und deswegen kostbar war. Weil die Nachfrage bald schneller wuchs als die Blumen selbst und immer mehr Käufer Tulpenzwiebeln nur erwarben, um sie später teurer weiterzuverkaufen, stieg ihr Preis zu Beginn der 1630er Jahre rasant an: Am Höhepunkt der „Tulipomanie“, im Februar 1637, erzielten einzelne Zwiebeln, die in Leerverkäufen und Terminkontrakten gehandelt wurden, Preise von mehr als 5.000 Gulden, bevor der Markt von einem Tag auf den nächsten zusammenbrach. Zum Vergleich: Ein holländischer Handwerker verdiente damals zwischen 150 und 350 Gulden im Jahr.
Dass es sich bei dem spektakulären Kursanstieg der Kryptowährung Bitcoin, deren Preis seit 2011 von 10 Dollar auf mehr als 11.000 Dollar angewachsen ist, um eine ähnlich spekulative Blase handelt, ist unstrittig. Bitcoins sind die Tulpen des digitalen Zeitalters: Sie sind neu, exotisch, künstlich verknappt und werden nur deshalb erworben, weil die Käufer auf einen Kursanstieg wetten. Wie bei jeder Blase kommt es am Ende bloß darauf an, wann sie platzt.
Die „Byte-Münze“, oder Bitcoin, ist eine Kryptowährung, ein digital erzeugtes Tauschmittel, das mittels Kryptografie geschöpft und gehandelt wird. Es basiert auf einer 2009 veröffentlichten Open-Source-Software und wird erzeugt, indem sich Computer zu Netzwerken zusammenschließen und mithilfe von Rechenleistung Aufgaben lösen. Jede Transaktion wird in der Blockchain, einer über das Netzwerk verstreuten Datenbank also, festgehalten. Die ersten Bitcoins entstanden im Januar 2010. Im Mai desselben Jahres fand dann die erste Transaktion in der Realökonomie statt: Ein gewisser „Lazslo“ bestellte in Jacksonville, Florida, zwei Pizzen und bezahlte mit 10.000 Bitcoins. Lazslos Bitcoins wären heute mehr als 100 Millionen Euro wert.
Der Preisanstieg ist auch damit zu erklären, dass Bitcoins, genau wie andere Kryptowährungen, gar keine Währung sind, sondern eher so etwas wie digitales Gold: ein virtuelles Edelmetall aus Code, das mithilfe von Rechenleistung „geschürft“ wird und dessen Menge endlich ist, willkürlich auf 21 Millionen Bitcoins begrenzt, was sich nur ändern ließe, wenn alle Halter zustimmten. Was wir derzeit erleben, ist also eine Art digitaler Goldrausch: Immer mehr Rechenleistung wird von immer mehr Usern dafür eingesetzt, Bitcoins zu schürfen. Der Guardian schätzte kürzlich, alle Bitcoins schürfenden Rechner zusammen verbrauchten in einem Jahr mehr Strom als ganz Irland. Aber die Ökobilanz ist der Bitcoin-Mania egal.
Sie erinnert nicht von ungefähr an das Grimm’sche Märchen vom Goldesel, nur jetzt mit PCs anstelle des „guten Tiers“, das die Goldstücke „hinten und vorn“ ausspie. Es ist eine Fabel von der digitalen Welt: aber nicht mehr bloß als digitalisierte Warenproduktion, sondern indem das Digitale aus sich selbst heraus Gold schöpft. Vergessen ist der Dotcom-Crash, vergessen ist der Umstand, dass Computer und Roboter uns bald die Arbeit wegnehmen werden: Erst werden wir alle noch mal Do-it-yourself-Kapitalisten, die dank ihrer Rechner Werte aus dem Nichts erschaffen können.
Dabei hatte der Bitcoin ursprünglich durchaus progressives Potenzial: Das Projekt versprach ein digitales Tauschmittel, User-generiert und unabhängig von den Banken. Das stellte sich als kurzer libertärer Traum vom Geld ohne Staat heraus, vom demokratisierten Zahlungsverkehr in Peer-to-Peer-Netzwerken. Denn Kryptowährungen wurden bald Ziel für all jenes Kapital, das in die regulierten, staatlich überwachten Finanzströme nicht hineinkann: Kapital aus Regionen, die keinen Zugang zum Finanzsystem haben, und Kapital aus illegalen Quellen. Der dieser Tage bekannt gewordene Plan von Venezuelas Präsident Maduro, eine eigene Kryptowährung, den „Petro“, auszugeben, ist ein solcher Versuch, sich aus der US-Finanzblockade zu befreien – auch wenn sein Vorschlag, die „Petros“ mit Erdölreserven abzusichern, der Idee einer Kryptowährung völlig entgegenläuft.
In der ersten Phase des Bitcoin-Hypes wetterten Banker wie der CEO von JPMorgan ja noch, Bitcoins seien Betrug, weil sie Geld aus dem Nichts erschüfen, das solle doch bitte schön den etablierten Banken vorbehalten bleiben. Im nächsten Schritt wurden Kryptowährungen dann vom legalisierten Kapitalismus geschluckt: Die dem Bitcoin zugrunde liegende Technologie, die Blockchain, verspricht einen Innovationsschub im Finanzsektor. Und im Jahr 2017 allein wurden bereits Kryptowährungen im Wert von mehr als 3,5 Milliarden Dollar in sogenannten „Initial Coin Offerings“ ausgegeben, bei denen Anleger „Tokens“, Wertmarken, erhalten, die sich in nichts von Monopolygeld unterscheiden. Schließlich erhalten Bitcoin-Käufer ab dem 14. Dezember ganz offiziell die Möglichkeit, sich mit Terminkontrakten gegen Kursschwankungen abzusichern.
Ob Tulpen oder Einsen und Nullen: Kapital sucht Rendite, bis die Blase platzt. Von der Tulpenmanie ist nichts geblieben außer ein paar Gemälden, etwa die „Satire op de Tulpomania“ von Jan Brueghel d. J.: Sie zeigt Affen, die ihr ganzes Geld in Tulpen investieren, als Sinnbild menschlicher Gier.
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