Durch und durch misslungen

#allesdichtmachen Die Aktion ist eine pseudo-kritische Ironie nach der Maxime: Witzle so, dass deine Beschränktheit auch alle anderen geistig einengt
Ausgabe 17/2021
Das Problem an #allesdichtmachen ist, dass die Aktion überhaupt keine kritische Energie entfaltet
Das Problem an #allesdichtmachen ist, dass die Aktion überhaupt keine kritische Energie entfaltet

Foto: Joshua Sammer/Getty Images

War das jetzt Kunst, oder kann das weg? Ich muss gestehen, dass ich beim ersten Blick auf die #allesdichtmachen-Videos am Freitag vergangener Woche doch einigermaßen Puls bekam. Doch schon jetzt, am Dienstag, hat sich dieser Versuch, die Pandemiebekämpfung zu ironisieren, offensichtlich selbst erledigt. Die ganze Sache ist, wenn man so will, über ihre eigenen Widersprüche gestolpert und der Länge nach aufs Altbauparkett jener Wohnung geknallt, in der die meisten Mimen und Miminnen hier ihr Mimimi vortrugen. Wenn dieser Artikel erscheint, wird nichts mehr davon übrig sein als ein bisschen Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen-Trotz und eine kleine Pfütze Selbstmitleid: Erst hat einen niemand verstanden, und am Ende wackelt jetzt sogar noch das nächste Engagement beim Filmmittwoch im Ersten.

#allesdichtmachen, das ist die Nuhrifikation der deutschen Schauspielerzunft, das ist pseudokritische Ironie nach der Maxime: Witzle so, dass deine eigene Beschränktheit als Richtschnur auch alle anderen geistig einengt. #allesdichtmachen ist eine durch und durch misslungene Aktion. So what? Die Möglichkeit des Scheiterns gehört doch zur Kunst dazu, das Risiko des Misslingens, sonst wäre es ja keine Kunst.

Warum aber ist das Ganze so kolossal gefloppt? Eigentlich waren die Anliegen der Schauspieler:innen, so wie sie sie hinterher zu erklären versuchten, ja völlig richtig: Es sei darum gegangen, verfehlte Corona-Maßnahmen zu hinterfragen. Den Skandal zu kritisieren, wie hart das Virus die Armen trifft, wie bequem die Reichen sich davor schützen können und wie borniert sie ihre Privilegien dann auch noch als moralische Überlegenheit verkaufen. Es sei darum gegangen, das Augenmerk auf die Kollateralschäden der Pandemiebekämpfung zu richten: auf die häusliche Gewalt, die als Folge jedes Lockdowns Frauen und Kinder trifft, auf die Existenzen, die kaputtgehen, wenn ganze Branchen Berufsverbot bekommen oder von der Pandemiebürokratie plattgemacht werden. All das ist mehr als berechtigt. Wenn schon, dann ist die Kritik noch zu zahm, denkt man an Maßnahmen wie Ausgangssperren, die Wirksamkeit nur simulieren, weil sie drastische Nebenwirkungen haben, aber in Wahrheit sogar kontraproduktiv sein könnten: Die Menschen drinnen einzusperren, wo ihnen das Virus gefährlicher wird als draußen, verdient harsche Kritik.

Das Problem an #allesdichtmachen aber ist, dass die Aktion überhaupt keine kritische Energie entfaltet: weil sie alles gleichermaßen ironisiert. Weil sie sich, mit dem Stilmittel der Übertreibung, über alles und jedes lustig macht. Das aber läuft, in einer Lage, da jeden Tag Hunderte Menschen an ebendiesem Virus sterben, darauf hinaus, alles zu verhöhnen: das Gute wie das Schlechte, das Maskentragen wie die Maskenaffäre, die Fehler der Politik wie die Solidarität mit den Schwachen, das nervtötende Klein-Klein der Corona-Regeln wie das Intubieren und Beatmen und Sterben, den Untertanengeist mancher wie die aufopfernde Arbeit der Pflegerinnen auf den Intensivstationen.

Wenn diese Aktion eines aufgezeigt hat, dann ist es die Wichtigkeit von Drehbuchautor:innen: Ohne sie irrlichtert die deutsche TV-Schauspielkunst hier durch einen Text, der alles meint und gar nichts trifft. Das ganze gebührenfinanzierte Schauspielhandwerk, hier dreht es frei. Im besten Fall ergibt das überhaupt keinen Sinn, so wie bei Ulrich Tukur, der bildungsbürgerlich deklamiert, dass der Tod am Ende doch die beste Virenbekämpfung sei, im schlechtesten rutscht es, wie bei Jan Josef Liefers, ins Querdenkerische ab. „Alle Medien“ nickten nur ab, was die BuReg ihnen vorlege, die Meinungsfreiheit, sie sei abgeschafft, und die Herrschenden, sie verbreiteten Angst und Schrecken, um ihre Agenda durchzusetzen. Ja, genau so differenziert arbeitet sich auch Dieter Nuhr an der Klimakrise ab.

War aber am Ende ja alles gar nicht so gemeint: War ja Kunst.

Info

Lesen Sie hier eine Widerrede von Michael Angele auf diesen Artikel, sowie weitere Texte zum Thema hier, hier und hier

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Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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