Gerhard Schick: „Alle Reformversuche nach 2008 wurden von der Bankenlobby verwässert“
Im Gespräch Die Credit Suisse musste im Hauruckverfahren gerettet worden. Aber das Problem ist nicht nur eine marode Bank, sagt Gerhard Schick: Der Finanzsektor als ganzer ist nach wie vor instabil
Gerhard Schick, Kopf und Gesicht der Bürgerbewegung Finanzwende und ehemaliger Grünen-Abgeordneter, hat wenig Zeit dieser Tage, er gibt ein Interview nach dem nächsten, spricht in Zeitungen und der Tagesschau. Wie immer, wenn gerade wieder Finanzkrise ist. Wir haben ihn gefragt, wie schlimm es diesmal kommt. Und warum der Bankensektor schon wieder wackelt.
der Freitag: Herr Schick, wie nahe sind wir vergangenes Wochenende einem europäischen Lehman-Brothers-Moment gekommen?
Gerhard Schick: Eine Pleite der Credit Suisse (CS) wurde vermieden, weil man sie durch die Übernahme durch eine andere Großbank noch mal abwenden konnte. Das heißt aber nicht, dass alles gut ist, im Gegenteil. Zum einen ist klar geworden: Die Versprechungen nach 2008, das Finanzsystem sta
, im Gegenteil. Zum einen ist klar geworden: Die Versprechungen nach 2008, das Finanzsystem stabil zu machen, sind eindeutig nicht eingelöst worden. Zweitens ist die Bilanzsumme der durch die Übernahme entstandenen UBS+CS-Bank rund doppelt so groß wie das Schweizer Bruttoinlandsprodukt. Dadurch kann sie die Schweizer Regierung, aber auch andere, jederzeit erpressen. Auch diese „too big too fail“-Tendenz wollte man nach 2008 umkehren, auch das ist nicht passiert.Die Angst muss sehr groß gewesen sein, bei dem Tempo, mit dem man die Rettung der Credit Suisse durchgedrückt hat.Ich glaube, es gab und gibt große Nervosität unter den Zentralbanken und Finanzinstitutionen, weil die Zinswende viele Banken Verluste hat ansammeln lassen: Wenn die Zinsen steigen so wie derzeit, sinkt der Wert der Staatsanleihen, die die Banken halten, sie machen also einen Verlust, auch wenn der erst mal nur ein Buchverlust ist. Die Credit Suisse hat es jetzt erwischt, weil sie mit einer Serie von Skandalen das schwächste Glied in der Kette war, aber offenbar gab es große Angst, dass es Ansteckungsgefahren auch für andere Banken gegeben hätte, wenn man das einfach hätte laufen lassen.Wie gefährlich ist diese Krise?In den USA hat die Federal Reserve den Banken angeboten, dass sie ihre Staatsanleihen einreichen können und dafür den Einstandspreis erstattet bekommen. Im Grunde hat sie ihnen das Risiko aus dem Zinsanstieg abgenommen. Es ist historisch einmalig, dass eine Zentralbank so etwas anbietet, und es wurde in einem Umfang genutzt, der größer in Sachen Liquiditätsversorgung war als 2008 bei Lehman Brothers. Trotzdem haben sich die Schwierigkeiten für die Banken dort mit der First Republic Bank fortgesetzt. Das zeigt für mich, dass man die möglichen Folgen nicht unterschätzen sollte. Ich glaube auch nicht, dass das Ganze jetzt schon zu Ende ist: Der Finanzmarkt als ganzer ist instabil.Traut man es den Banken nicht zu, dass sie mit der Zinswende zurechtkommen?Offensichtlich nicht. Der Grund dafür, dass die Banken jetzt so wackelig dastehen, liegt aber darin, dass die angeblichen stabilisierenden Maßnahmen, die nach 2008 eingeführt worden sind – zum Beispiel strengere Eigenkapitalvorschriften –, einfach unzureichend waren. Banken müssen nur drei Prozent Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme einsetzen, bei Großbanken sind es vier oder fünf Prozent. Das ist viel zu wenig. Realwirtschaftliche Unternehmen finanzieren 20 bis 30 Prozent ihrer Aktivitäten mit Eigenkapital. Wir von der Bürgerbewegung Finanzwende fordern mindestens zehn Prozent, um die Banken stabiler aufzustellen.Die Credit Suisse hat sich durch Skandale wie Geschäfte mit der Mafia und Beihilfe zur Steuerhinterziehung hervorgetan: Wurde ihr eher ein individueller oder ein systemischer Vertrauensverlust zum Verhängnis?Ich glaube, es ist die Kombination aus beidem, die so gefährlich ist. Wenn der Finanzsektor insgesamt stabil wäre, und wir hätten es nur mit einem solitären Institut zu tun, das ein schlechtes Geschäftsmodell hat, dann könnte man die Bank ja pleitegehen lassen und den anderen, „gesünderen“ Banken würde nichts passieren. Genau das ist aber ja jetzt nicht der Fall. Was am Fall der Credit Suisse aber auch noch absurd ist: Der Staat übernimmt mit seinen Garantien jetzt auch die Rechtsrisiken der Credit Suisse, was bedeutet, dass die Steuerzahler in der Schweiz dafür geradestehen müssen, dass die Bank in illegale Aktivitäten involviert war und mit Kriminellen Geschäfte gemacht hat.Nach der Krise 2008 dachten wir, durch die Verbesserung der Regulierung sind die Banken jetzt sicher. Stellt sich heraus: Die Banken sind überhaupt nicht sicher.Ich würde dem Eindruck wiedersprechen wollen, dass wir seit der Finanzkrise 15 Jahre Ruhe hatten. In Deutschland hat die Bankenrettung erst im Jahr 2019 ihr Ende gefunden, als zum letzten Mal eine deutsche Bank gerettet wurde, die NordLB. Und erst vor einem halben Jahr kam das Finanzsystem im Vereinigten Königreich in große Bedrängnis, weil die Pläne von Liz Truss die dortigen Pensionsfonds an den Rand des Abgrunds gebracht haben. Für Leute, die die Finanzmärkte etwas regelmäßiger beobachten, ist es nicht so, dass wir 15 Jahren keine Probleme hatten, sondern eigentlich umgekehrt: Seit 15 Jahren reihen sich Probleme aneinander.Woran liegt das? Wer oder was hat hier versagt?Meine Beobachtung ist die: 2008/2009, als die Finanzkrise in den Schlagzeilen war und der Druck auf Politik und Banken groß war, etwas zu ändern, sind durchaus auch gute Regulierungsmaßnahmen auf den Weg gebracht worden. Aber sobald die Krise wieder aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwunden ist, hat es die Bankenlobby geschafft, die Reformbemühungen zu ihren Gunsten abzuschwächen. Ich rede vom Trennbankengesetz, das lag fertig ausformuliert beim Gesetzgeber, und auf den letzten Metern haben es die Großbanken geschafft, das zu stoppen. Der Finanztransaktionssteuer ging es ähnlich, bei den Eigenkapitalvorschriften auch. Danach gab es noch mal ein Fenster für Reformen, unter dem Eindruck der Staatsschuldenkrise in Europa, da wurde die europäische Bankenaufsicht geschaffen. Es passiert immer nur dann etwas, wenn der öffentliche Druck da ist, wie in Krisensituationen. In dem Moment, wo wir den Diskurs Bankern und Lobbyisten überlassen, fällt das Interesse des Steuerzahlers und der Realwirtschaft hinten runter. Die Credit Suisse hat in den letzten zehn Jahren 32 Milliarden Franken an Boni ausgezahlt. Für die Leute in der Branche läuft es also super: Wenn man gewinnt, kommt der Bonus, wenn man den Karren gegen die Wand fährt, hilft der Staat einem aus der Patsche. Aber wir sollten das nicht länger mit uns machen lassen. Das ist ja auch der Grund, warum wir die Bürgerbewegung Finanzwende gegründet haben: als Gegengewicht zur Finanzlobby.Könnten die Auswirkungen der Zinswende auch deutschen Banken Schwierigkeiten bereiten?Bei uns ist es so, dass die Zinswende gerade auch kleinere Institute durchaus trifft. Die Sparkassen haben im letzten Jahr in ihrer Gesamtheit rund acht Milliarden abgeschrieben, vor allem Verluste im Wertpapierbereich. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, weil das nicht meine Art ist, mit dem Thema umzugehen, aber natürlich könnte auch eine deutsche Bank wackeln: Ich erinnere an die Deutsche Bank, als es 2016 Strafzahlungen in den USA gab, dazu andere Negativschlagzeilen, da kann so ein Institut schnell in eine Schieflage geraten.Was bräuchte es, damit der Finanzmarkt stabiler wird? In den USA, aber auch in Deutschland fordern viele Menschen die Einführung eines Vollgeldsystems, damit die Banken selber nicht länger Geld schöpfen dürfen.Ich denke, man verspricht sich oft zu viel vom Vollgeldsystem: Viele Missstände würde es nicht abschaffen, und zugleich ist es ungeheuer schwer, so etwas umzusetzen. Wir von der Bürgerbewegung Finanzwende fordern zuallererst konkrete Reformschritte: Erhöhung der Eigenkapitalquote für Banken auf mindestens zehn Prozent, Vollendung der Europäischen Bankenunion, Umsetzung des Trennbankengesetzes und Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Im Grunde sehen Sie: Das sind alles Dinge, die nach 2008 auf dem Tisch lagen, aber die man gegen die Finanzlobby nicht durchgebracht hat. Jetzt müssen wir versuchen, das Rückspiel zu gewinnen und all die Bälle ins Tor zu bringen, die die Finanzlobby damals abgewehrt hat.