Die Inflations-Kassandren raunen wieder. Ihre Botschaft ist dabei meist ziemlich holzschnittartig: Weil sich viele Staaten wegen der Corona-Pandemie derzeit stark verschulden, drohe über kurz oder lang die Geldentwertung. Hans-Werner Sinn, seines Zeichens ewig unkender Nationalökonom und vormals Präsident des ifo-Instituts, sagte der Neuen Zürcher Zeitung schon im Dezember: „Das Potenzial für eine sehr hohe Inflation ist vorhanden.“
Sinn leitet seine Prognose von der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) her: Die habe als Reaktion auf die Corona-Krise die Geldmenge stark ausgeweitet, was sich zu ihrem schon seit der Finanzkrise expansiven Kurs addiere. Nur gäben die Banken dieses Geld derzeit nicht weiter, sondern horteten es auf ihren Konten bei der Zentralbank. Aber! Wenn „die Corona-Krise überwunden ist und die Wirtschaft anzieht“, wenn der wegen des Lockdowns aufgeschobene Konsum nachgeholt wird, dann könnte das fatale Folgen haben: „Wenn dann irgendwann eine Inflation beginnt, kann man sie nicht mehr stoppen“, weil das geldpolitische Instrumentarium – etwa Zinserhöhungen – nicht mehr greife oder nicht mehr zur Disposition stünde.
Wenn so ein Sinn einmal am Inflations-Schwarzmalen ist, dann kriegt er sich auch nicht so leicht wieder ein: „Wenn das passiert, ist hier der Teufel los“, sagte er dann, und: „Es ist zu hoffen, dass es nicht so schlimm kommt wie nach dem Ersten Weltkrieg.“
Sieht man sich die jüngsten Warnungen vor der großen Inflation indes genauer an, dann fallen sie in zwei Muster: Entweder raunen sie einfach mit einer gewissen vagen Angstlust vor dem, was einst der Deutschen schlimmster Albtraum war: Die große Geldentwertung! Oder aber sie zeigen – wie eine kaputte Uhr, die auch zweimal am Tag richtigliegt – auf ein Risiko, das sich tatsächlich nur schwer vorhersagen lässt.
Sarrazin lag wieder daneben
Der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, der auch sonst mit mancher seiner Thesen arg danebenlag, prophezeite 2012 angesichts einer Notenbankpolitik, die „unbegrenzte Mengen billigen Kredits zu extrem niedrigen Zinsen“ in Umlauf bringe: „Wenn wir innerhalb der nächsten zehn Jahre keine starke Inflation bekommen, gebe ich mein Diplom als Bonner Volkswirt zurück und bin bereit, alles neu zu lernen.“ Viele andere tönen seitdem recht ähnlich: Die Niedrig- oder gar Nullzinspolitik, die Ausweitung der Geldmenge durch Anleihekäufe, das müsse doch unweigerlich eine Geldentwertung nach sich ziehen. Das Problem ist nur: In jüngster Vergangenheit scheinen manche dieser monetaristischen Bauernregeln nicht länger zu gelten. Alte Inflationsgründe greifen nicht mehr oder nicht mehr in gleichem Maße. Sinkende Arbeitslosigkeit oder ein Mindestlohn, der zu steigenden Produktionskosten führt: Beides sollte eigentlich steigende Inflationsraten zur Folge haben, doch beides war in den vergangenen Jahren eben nicht mehr der Fall.
Die Globalisierung wirkt per Lohndumping als Inflationsbremse, entweder durch die Auslagerung von Jobs oder durch die Erpressung der Beschäftigten mit dem Druckmittel der Produktionsverlagerung. Ähnlich verhält es sich mit der Digitalisierung. Früher war klar: Wenn mehr Leute ein Auto wollen, als die Fabrik hergibt, steigen die Preise. Heute leben wir in einer anderen Welt: Ob Netflix eine Abonnentin oder eine Million Abonnentinnen hat, macht kostenmäßig fast keinen Unterschied.
Bis 2022 hätte Sarrazin mit seiner Prognose eigentlich noch Zeit. Aber es ist nicht wahrscheinlich, dass im nächsten Jahr die Inflationsrate steigen könnte. Von August bis November 2020 gab es überhaupt keine Geldentwertung, sondern stattdessen eine Geldaufwertung: eine negative Inflation oder Deflation, die jede Zentralbank eigentlich vermeiden will. Die Schätzung der Inflationsrate für Dezember 2020 und fürs ganze vergangene Jahr wird erst nach Redaktionsschluss vorliegen: Sowohl für den Euroraum als auch für Deutschland wird sie wohl wenig über null betragen, was in letzter Zeit nicht nur am mangelnden Konsumangebot wegen Corona, sondern vor allem an sinkenden Energiepreisen liegt.
Ob die Inflation in naher Zukunft zurückkehren wird? Genaues weiß man nicht. Das Gespenst der Hyperinflation aber kann man gerne im Gruselkabinett belassen; diese wirtschaftspolitische Debatte braucht es nicht.
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