Luft nach oben Hilfsausdruck

Armut Der Mindestlohn steigt bis 2020 um 5,8 Prozent. Das ist zu wenig. Viel zu wenig
Sollte mehr sein, wird es aber auf absehbare Zeit nicht
Sollte mehr sein, wird es aber auf absehbare Zeit nicht

Foto: imago/Jürgen Ritter

Es sind wunderbare Nachrichten aus Berlin: Die Mindestlohnkommission, jenes sozialpartnerschaftliche Gremium, das den von der SPD durchgesetzten Mindestlohn alle zwei Jahre überprüft, hat einstimmig empfohlen, ihn zu erhöhen: Ab 2019 soll er von derzeit 8,84 auf 9,19 Euro, ab 2020 dann auf 9,35 Euro steigen.

Wunderbar sind die Nachrichten auch deshalb, weil die Kommission damit an die Grenze ihrer Möglichkeiten gegangen ist: Sie orientiert sich an der Entwicklung der Tariflöhne, und hat statt einer sogar zwei Erhöhungen beschlossen. Insgesamt wird der Mindestlohn also um 5,8 Prozent steigen.

Wunderbar sind die Nachrichten schließlich, weil sich seit der Erkämpfung des Mindestlohns durch die SPD im Jahr 2015 gezeigt hat, dass er zu einem Reallohnanstieg im Niedriglohnsektor geführt hat. Und dass die Schwarzmalerei von als angesehen geltenden Ökonomen – man denke etwa an Hans-Werner Sinn –, der Mindestlohn würde „bis zu 900.000 Arbeitsplätze“ gefährden, sich als das erwiesen hat, was sie damals schon war: total daneben, oder – genauer formuliert –: Klassenkampf mit den Mitteln der ordo-liberalen Ökonomik.

Aber damit hört das Wunderbare auch schon auf. Denn in Wirklichkeit ist der Mindestlohn zu niedrig, und er wird auch nach der Erhöhung viel zu niedrig bleiben.

Erstens liegt Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern Westeuropas abgeschlagen zurück.

Zweitens: Der Mindestlohn wird im großen Stil umgangen. Unbezahlte Überstunden drücken den tatsächlichen Stundenlohn in vielen Branchen und Unternehmen unter das gesetzliche Minimum.

Drittens: Um Altersarmut zu vermeiden, müsste der Mindestlohn drastisch – mindestens um 30% – angehoben werden.

Und viertens ist er auch jetzt schon zum Leben zu wenig: In 19 von 20 deutschen Großstädten kann man schon jetzt mit einem Vollzeitjob auf Mindestlohnbasis nicht mehr leben, geschweige denn wohnen. Nach der Erhöhung auf 9,35 Euro, die aber erst 2020 kommen wird, wäre das immer noch bei 17 Großstädten der Fall – wenn die Lebenserhaltungskosten gleich blieben, was man getrost ausschließen kann.

Es ist an der Zeit für eine "Mindestlohn-Wende". Wie wär's damit: Eine Kampagne, die wochenlang die Nachrichten dominiert, Nachtsitzungen im Koalitionsausschuss erforderlich macht! Drohungen mit Neuwahlen, Missachtung der Richtlinienkompetenz, Erpressung mit Ultimaten! Aber nee – wir sind ja mit anderen Dingen beschäftigt.

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Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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