Millionenerbin Engelhorn: „Die Überreichen sind die gefährlichste Parallelgesellschaft“
Vermögen Die Wienerin Marlene Engelhorn soll ein zweistelliges Millionenvermögen erben. Sie will das Geld nicht und fordert mit anderen Millionären: Besteuert uns endlich!
Marlene Engelhorn: „Armut ist strukturell mit Überreichtum verknüpft. Wer das eine abschaffen will, muss also auch das andere abschaffen“
Foto: Lorena Sendic Silvera
Marlene Engelhorn ist bekannt geworden, weil sie reich ist, aber nicht reich sein will. Ein zweistelliges Millionenvermögen soll sie von ihrer Großmutter erben. Sie fordert aber: Der Staat möge sie besteuern und über eine Erbschafts- oder Vermögenssteuer einen Großteil des leistungslos erworbenes Geldes einziehen. Wenn er das nicht tut, will Engelhorn mindestens 90 Prozent ihres Vermögens abgeben. Nun hat die 30-jährige Wienerin ein Buch geschrieben. Es trägt den Titel Geld.
der Freitag: Frau Engelhorn, auf dem Umschlag Ihres Buches ist eine Karotte zu sehen. Was hat es damit auf sich?
Marlene Engelhorn: Mein Buch handelt vom Geld, deshalb bediene ich mich des Bildes der Karotte: Weil die meisten Menschen dem Geld hinterherlaufen wie ein Esel eine
lb bediene ich mich des Bildes der Karotte: Weil die meisten Menschen dem Geld hinterherlaufen wie ein Esel einer Karotte. Aus der Notwendigkeit heraus. Sie müssen ihm hinterherlaufen, ohne es wirklich zu erreichen.90 Prozent der Menschen hecheln hinter der Geldkarotte her; die obersten zehn Prozent aber kriegen sie zu fassen. Und halten sie dann wiederum anderen vor die Nase.Ja, aber auch jene, die Geld haben, sind fixiert darauf. Geld ist die Karotte, mit der wir alles organisieren auf der Welt. Es ist das Mittel, um Dinge umzusetzen, egal was, von der Deckung der eigenen Grundbedürfnisse bis zur Gestaltung der Gesellschaft. Die Karotte sieht übrigens in der Regel von Weitem besser aus, als wenn man sie dann selber in Händen hält.Sie sollten ein Millionenerbe bekommen. Sie haben aber beschlossen, dass Sie das nicht wollen: Sie fordern, der Staat solle Ihnen einen Großteil wegnehmen.Moment, Sie sagen „wegnehmen“. Man nimmt mir überhaupt nichts weg. Nach chartalistischer Theorie ist die Steuer eine Schuld beim Staat, die ich begleiche. Eigentlich nimmt der überreiche Mensch dem Staat und der Öffentlichkeit das Geld weg. Und so würde ich es auch sehen. Dazu kommt: Oft kommt das so rüber, als handele es sich bei mir um einen Fall privater Gönnerhaftigkeit, aber das ist nicht mein Anliegen.So funktioniert nun mal Öffentlichkeit: Sie bekommen Aufmerksamkeit, weil Sie das Thema Umverteilung mit Ihrer Person verbinden. Weil Sie als zukünftige Millionärin fordern: Besteuert mich!Ich finde es wichtig, festzustellen, dass das kein privates Problem von mir ist. Ich könnte es als ein solches behandeln, weil die Politik – sowohl in Österreich als auch in Deutschland – mir die Möglichkeit gibt, so zu tun, als sei es ein privates Problem. Ist es aber nicht: Es ist ein öffentliches Problem. Deshalb bin ich damit an die Öffentlichkeit gegangen: Damit ein öffentliches Problem auch die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient. Ich habe ganz bewusst beschlossen, ich nehme das Erbe an, weil ich mich damit an der öffentlichen Diskussion beteiligen kann.In Ihrem Buch fällt auf, dass Sie nicht von Arm und Reich sprechen, sondern stattdessen von arm und überreich. Was ist damit gemeint?Die Begriffe wohlhabend, vermögend, reich sind so schwammig, niemand weiß genau, was damit gemeint ist. Bei der Armut ist das viel klarer: Es gibt in jedem Land eine Armutsgrenze; wer darunter liegt, ist arm.Wer arm ist, der hat zu wenig. Wer überreich ist, der hat zu viel?Ja, es gibt ein Zuviel, ab dem Geld zu einer Frage von politischer Macht wird. So ein Zuviel an Reichtum ist problematisch, und gesellschaftspolitisch für unsere Demokratie gefährlich. Wir haben keine offizielle Grenze, über der man als zu reich gilt, wir haben nicht einmal ein Wort dafür. Deswegen nutze ich den Begriff „überreich“ von Martin Schütz aus dessen Buch Überreichtum. Ich halte ihn für sehr hilfreich, weil er einen Gegenpol zur Armut bietet.Wo liegt diese Schwelle, oberhalb derer Reichtum schädlich ist? Und sprechen wir bei den negativen Effekten nur über Auswirkungen auf die Gesellschaft oder auch auf die Überreichen selber?Ich selber will keinen Wert für Überreichtum vorschlagen, dafür bräuchte es eine Expertise, die ich nicht habe. Aber ich sehe schon, dass Überreichtum sowohl negative Auswirkungen auf die Gesellschaft als auch auf das Individuum hat. Überreiche Menschen zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie zwar eine hyper-individualisierte Sozialisation durchwandern und mit ihrem ganz engen Sichtfeld auf die Welt durch die Gegend laufen, aber zugleich sehr viel Einfluss ausüben. Ihr Vermögen liegt auf irgendwelchen Konten oder steckt in Portfolios in allen möglichen Finanzprodukten. Aber diese Finanzprodukte wirken weltweit. Und allein diese Wirkmacht ist schon problematisch. Dazu kommt: Reichtum führt zu Abschottung. Man wird stark entsolidarisiert, weil man eine abgeschottete Sozialisation durchläuft, vom Aufwachsen im Villenviertel, mit Privatkindergarten, Privatschule bis hin zur Eliteuni und den daran anknüpfenden Jobs. In meinen Augen ist der überreiche Teil der Gesellschaft, also das sogenannte eine Prozent, das reichste Prozent, die gefährlichste Parallelgesellschaft, die wir in einer Demokratie haben. Es ist eine absolute Parallelwelt.Und wie schadet der Überreichtum den Überreichen selber?Ich habe letztens von einer Studie gelesen, die einen Zusammenhang zwischen dem Reichtum von Menschen und ihrem Grad an Mitgefühl mit anderen belegt hat. Je reicher die Probanden, desto weniger Mitgefühl hatten sie. Die Studie stellte die Frage: Führt Geld zu Hartherzigkeit oder Hartherzigkeit zu Geld? Die Vermutung: Es ist Geld, das hartherzig macht. Allerdings würde ich vermuten, nicht Geld per se, sondern die Art von vermeintlich selbstverständlicher individueller und gesellschaftlicher Beziehungskonstellation, in der man sich befindet.Die meisten Menschen denken ja bei viel Geld erst mal daran, was man damit alles kaufen könnte: So viele Konsumwünsche könnte man sich damit erfüllen.Ja, das ist ein Verständnis von Geld als Konsumermöglichung, das haben Überreiche so nicht. Eine überreiche Person hat mehr Geld, als sie ausgeben könnte, alle Konsumbedürfnisse sind mehr als gedeckt. Also fängt man an, zu überlegen: Wenn Geld nicht mehr in etwas Konkretes wie ein Konsumgut oder eine Dienstleistung verwandelt wird, worin kann ich es dann noch verwandeln? Da beginnt sich herauszukristallisieren, was Geld so besonders macht. Man überlegt, wie man Einfluss nehmen kann, gesellschaftspolitisch. Das muss nicht direkt sein, indem ich Politiker:innen Geldkoffer in die Hand drücke oder Lobbyist:innen engagiere. Es muss auch nicht böswillig sein: Auch Philanthropie ist eine Möglichkeit, sich mit Geld Einfluss zu verschaffen und Macht auszuüben. Aber es ist trotzdem problematisch: Jede Einmischung in das Gemeinwesen ist auch eine politische Einmischung, die private Interessen widerspiegelt, die stärker gewichtet sind als das öffentliche Interesse. Das passiert mit Geld, es ist ein Strukturproblem.Placeholder infobox-1Ihr Erbe verdankt sich der Arbeit der Menschen, die in den Unternehmen gearbeitet haben, auf die das Vermögen zurückgeht. Haben Sie überlegt, es den Beschäftigten oder ihren Angehörigen wieder zurückzugeben?Mir scheint, diese Art der Recherche zu betreiben, versucht wieder, das Ganze auf einer individuell persönlichen Ebene zu lösen, anstatt strukturell darüber nachzudenken. Denn man müsste dann ja auch sagen: Wie trennt man jetzt das Vermögen, das die Beschäftigten irgendwann erarbeitet haben, von dem, was über Jahre und Jahrzehnte durch Investitionen in der ganzen Welt, in den unterschiedlichsten Unternehmen daraus geworden ist?Sie fordern von der Politik: Ich möchte, dass ihr mich besteuert und mein Erbe über eine Erbschaftssteuer oder Vermögenssteuer umverteilt. Aber wenn das nicht passiert, dann werden Sie irgendwann mal sagen: Jetzt muss ich das selber lösen.Ja, genau. Meine Forderungen und die von taxmenow sind die, dass wir den Diskurs befeuern wollen. Wir geben keine Lösungen vor. Das wäre ja auch sehr dreist, dass reiche Menschen auch noch bestimmen wollen, wie sie besteuert werden sollen. Stattdessen fordern wir, dass wir als Gesellschaft darüber sprechen und eine gesamtgesellschaftliche Lösung finden, die demokratisch und transparent umgesetzt wird. Wenn wir eine Demokratie sein wollen, können wir doch beim Geld nicht aufhören mit der Demokratie. Momentan ist es aber so, dass in Vermögenssachen eine dynastische Herrschaftsfolge aufrechterhalten wird, durch die Art und Weise, wie Erbschaften funktionieren. Armut ist strukturell mit Überreichtum verknüpft. Wer das eine abschaffen will, muss also auch das andere abschaffen.Hat es Sie radikalisiert, dass es in Österreich keine Erbschaftssteuer gibt?Effektiv zahlen auch in Deutschland die Überreichen fast keine Erbschaftssteuer. Jedes Jahr verliert der deutsche Fiskus 5,1 Milliarden durch die Ausnahmen für Überreiche in der Erbschaftssteuer. Von rund 400 Milliarden, die jährlich vererbt werden, landen so nur zwei Prozent beim Staat.Als Kind sind erst mal die Umstände, wie man aufwächst, selbstverständlich. Aber irgendwann merkt man, holla, bei meiner Schulfreundin, da geht es anders zu, und das hat etwas mit Arm und Reich zu tun.Wenn Sie Glück haben, ist das so. Alles ist darauf ausgelegt, dass man es gar nicht mitbekommt. Eigentlich ist es furchtbar, wenn wir als Gesellschaft darauf warten, dass Menschen wie ich draufkommen, dass sie Teil des strukturellen Problems sind. Überreiche haben das Geld, die Krisen zu bekämpfen, sie tun es nicht, ihr privates Interesse und oft auch Ignoranz sind stärker. Kriegen wir das als Demokratie nicht hin, dass wir eine gerechte Besteuerung und eine gerechte Umverteilungspolitik politisch und demokratisch umsetzen?
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