Maurice Höfgen ist Ökonom, Youtuber, links: Er weiß, was es mit der Inflation wirklich auf sich hat
Foto: Florian Reimann für der Freitag
Zumeist stellt man sich in Deutschland Ökonomen noch als Zahlen kauende, biedere Professoren vor. Und nicht als Youtuber, die von ihrem Gaming-Sessel aus Geldkreisläufe und Fiskalpolitik kommentieren. Maurice Höfgen ist mit Letzterem sehr erfolgreich, der Wirtschaftsweise Achim Truger nennt ihn „brandaktuell, meinungsstark und kontrovers“. In seinem neuen Buch Teuer! Die Wahrheit über Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik erinnert Höfgen an etwas, das andere Ökonomen oft vergessen: Inflation und ihre Bekämpfung sind im Kern eine verteilungspolitische Frage.
der Freitag: Herr Höfgen, freuen Sie sich über die jüngste Bankenkrise? Es scheint ja so, als dass diese die Zinswende verlangsamt, und die sehen Sie ja krit
dass diese die Zinswende verlangsamt, und die sehen Sie ja kritisch.Maurice Höfgen: Ich sehe mich im Recht, weil ich vor den Kollateralschäden dieser Zinspolitik gewarnt habe. Das sind jetzt die ersten Auswirkungen des starken Zinsanstiegs seit Sommer letzten Jahres. Und es droht noch rauer zu werden. Wenn Häuslebauer bald eine Anschlussfinanzierung brauchen, dann kostet der Kredit fürs Haus plötzlich fünf statt zwei Prozent Zinsen, die wird nicht jeder berappen können. Also werden Kredite ausfallen. Das zeigt den Widerspruch der Zentralbanken. Einerseits haben sie die Aufgabe, für stabile Preise zu sorgen, andererseits für ein stabiles Finanzsystem. Ich sage, beides geht nicht.Warum?Wenn wir eine klassische Inflation hätten, also eine Wirtschaft, die heiß läuft und Löhne, die stark steigen, dann könnten die Zentralbanken diese überhitzte Wirtschaft mit höheren Zinsen theoretisch abkühlen. Höhere Zinsen führen dazu, dass die Nachfrage sinkt, es weniger Investitionen gibt und die Arbeitslosigkeit steigt. Aber da wir einen Energiepreisschock haben, helfen hohe Zinsen nicht. Sie machen weder Gas noch Strom günstiger. Im Gegenteil, sie schaden sogar, weil sie Investitionen verteuern. Wir brauchen aber Investitionen, um uns aus diesem Schock heraus zu investieren. Zweitens gibt es die erwähnten Kollateralschäden: Banken, die umkippen, weniger Investitionen, Immobilienkredite, die faul werden. Die Zentralbanken crashen die Wirtschaft, um die Preise runterzubringen, dabei ist die Trendwende längst in Sicht: Die Preistreiber Gas, Öl, Energie sind an der Börse längst günstiger geworden sind, teilweise unter Vorkriegsniveau.Die Zentralbanken sind überfordert.Ja, und diese Überforderung ist nicht neu. Von 2012 bis zur Pandemie haben die Zentralbanken das Gegenteil probiert, haben alles getan, um die Inflation auf das Ziel von zwei Prozent hochzudrücken – und sind kläglich gescheitert. Ich würde sagen: Befreit die Zentralbanken vom Inflationsziel!Aber wer soll dann für die Preisstabilität verantwortlich sein?Die Alternative wäre, die Regierung dafür verantwortlich zu machen, dass die Inflation bei zwei Prozent liegt. Denn tatsächlich haben Finanzminister Lindner, Arbeitsminister Heil oder Wirtschaftsminister Habeck viel größeren Einfluss auf die Inflation als die Zentralbank. Wenn Hubertus Heil den Mindestlohn nach oben schraubt, dann gibt es auch Lohndruck auf die Preise, ohne dass die Zentralbank was dafür kann. Wenn Robert Habeck LNG-Terminals baut, verringert das die Sorge vor Gasknappheit in Deutschland und bringt die Preise runter, ohne dass die Zentralbank was für kann.In Ihrem Buch kritisieren Sie die weitverbreitete monetaristische Vorstellung, dass eine Ausweitung der Geldmenge automatisch zu Inflation führen muss. Warum hält sich diese Idee so hartnäckig in den Köpfen, in den Redaktionen und in der Politik?Ich denke, weil es für viele Menschen einfach intuitiv richtig scheint: Man stellt sich zwei Haufen vor, einmal den Haufen mit Gütern auf der einen Seite und ihm gegenüber einen Haufen mit Geld. Wenn der Geldhaufen größer wird, aber gleich viel Güter da sind, dann denken wir, da müssen die Preise doch steigen. So einfach ist die Welt aber nicht. Bitter ist: Selbst Familienministerin Lisa Paus, die lange Finanzpolitikerin war, hat zuletzt gesagt: Inflationsbekämpfung geht ja so, dass die Zentralbank die Geldmenge reduziert. Nein, so funktioniert das nicht, das ist widerlegt. Zentralbanken machen schon lange keine Geldmengensteuerung mehr, weil das einfach nicht funktioniert.Nun haben aber manche – darunter viele in Ihrem Buch erwähnte Crashpropheten – lange eine Rückkehr der Inflation vorhergesagt, wegen der vermeintlichen „Geldschwemme“. Dann ist die Inflation tatsächlich gekommen.Diese Leute haben deswegen gerade auch Hochkonjunktur. Meine erste Gegenfrage wäre dann: Wenn die seit zehn Jahren predigen, dass die große Inflation kommt, warum braucht es dann zwei krasse externe Schocks – Pandemie und Krieg –, damit die Inflationsrate mal über die zwei Prozent steigt? Interessanterweise haben ja gerade die zwei Länder, in denen die Zentralbanken ihre Bilanz am meisten ausgeweitet haben, also Japan und die Schweiz, eine viel niedrigere Inflation als andere.Wenn die Inflation nicht von der Ausweitung der Geldmenge herrührt, sondern von einem Energiepreisschock, muss man sie anders bekämpfen, mit Preisdeckeln etwa, wie es die Ökonomin Isabella Weber gefordert hat. Dafür wurde sie zu Beginn der Inflation gegeißelt, später hat die Politik das übernommen.Ja. Als die Pandemie kam, sind die Preise gesunken, da hatten wir sogar kurzzeitig „Deflation“, also eine negative Inflationsrate, weil die Firmen versuchten, die Preise zu senken, um ihre Marktanteile zu sichern. Als die Wirtschaft nach der Pandemie wieder angesprungen ist, entstand Preisdruck, weil die aufgestaute Nachfrage auf begrenzte Kapazitäten traf. Dann kam allerdings der Krieg, ein zusätzlicher, ganz neuer Schock, der uns dann eine angebotsseitige Inflation beschert hat. Für Oma Erna und Busfahrer Heinz ist das allerdings erst mal egal, warum die Preise steigen: Sie verlieren Kaufkraft, wenn die Preisschilder im Supermarkt höher sind. Die muss nicht interessieren, was die Ursache dafür ist. Die Politik allerdings schon! Einen einmaligen Preisschock bekämpft man eben ganz anders. Nämlich mit einmaligen Gegenmaßnahmen und vielleicht auch mit Preisdeckeln, wie Isabella Weber vorgeschlagen hat. Aber nicht damit, dass wir die Wirtschaft mit höheren Zinsen oder mit Sparpolitik abwürgen, wie Christian Lindner und die Zentralbank sagen.Das heißt, Sie denken, dass das bald wieder vorbei ist?Wenn man an die Börse guckt, ist Gas günstiger als vor dem Krieg. Also ja, das wird gar nicht mehr so lange dauern, denke ich. Bei den Verbraucherpreisen ist es natürlich schwieriger zu prognostizieren, weil es dauert, bis die Preise wieder runtergehen. Einfacher ist es bei den Erzeugerpreisen. Ich würde mich aus dem Fenster lehnen und sagen, im September dieses Jahres wird der Erzeugerpreisindex, der gerade noch bei plus 16 Prozent steht, stark fallen und vielleicht sogar negativ werden. Das wäre dann aber auch keine klassische Deflation, so wenig wie es jetzt eine klassische Inflation ist, sondern ein Preisschock, der verschwindet.Der neue Bundesbankpräsident, Joachim Nagel, kommt in Ihrem Buch gar nicht gut weg.Nun, das ist ja ein politisch festgelegtes Amt. Die SPD hat sich das Vorschlagsrecht dafür gesichert. Joachim Nagel hat zwar ein SPD-Parteibuch, macht aber Politik, die nicht sozialdemokratisch ist, weil sie gegen die Interessen der Beschäftigten arbeitet. Derzeit ist Nagel derjenige, der am lautesten nach höheren Zinsen schreit. Höhere Zinsen haben aber nur das Ziel, die Wirtschaft zu crashen, sie sind eine Drohung an die Gewerkschaften, die mit der steigenden Arbeitslosigkeit diszipliniert werden sollen.Inflation ist eben ein Verteilungskonflikt.Ja, das ist kein schwarzes Loch, in dem all unser Geld verschwindet. Wir werden eben nicht „alle ärmer“, wie es oft heißt, es gibt Gewinner und Verlierer. Wenn die Beschäftigten ihre Löhne nicht anpassen können, aber höhere Preise im Supermarkt zahlen, sind sie die Verlierer. Joachim Nagel macht Politik gegen sie. Wenn er darauf angesprochen wird, sagt er: Das ist jetzt ein notwendiger Schmerz, denn wenn wir die Inflation nicht bekämpfen, wäre der Schmerz noch viel größer. Aber das stimmt nicht: Herr Nagel bekämpft die hohen Preise gar nicht. Gegen teure Energie helfen hohe Zinsen ja nicht. Nagels Politik erzeugt Chaos und Kollateralschäden, sonst nichts. Und dafür verdient er mehr als der Bundeskanzler.Wenn die Inflation abklingt, wird man nicht wissen, warum das passiert.Die Zentralbanken werden sich auf die Schultern klopfen, aber ehrlicherweise werden sie nichts dafür getan haben. Unter Umständen haben sie die Situation sogar verschlimmert, weil sie Investitionen verteuert haben. Da gibt es derzeit auch einen Widerspruch: Die Zentralbank verteuert Kredite, und Christian Lindner will eine Investitionsprämie für Firmen, um Kredite für Investitionen wieder günstiger zu machen. Das ist hanebüchen.Sie sind Autor und Volkswirt und arbeiten für einen linken Abgeordneten. Wie gehen Sie damit um, dass die Partei sich gerade zerlegt?Ich habe kein Parteibuch, möchte derzeit auch keines, und ich halte mich aus dem Parteigezanke der Linken raus. Ich bin aber überzeugt, dass es in Deutschland linke Mehrheiten braucht. Und es wäre bitter, wenn es neben der SPD keine starke linke Partei mehr gäbe. Aber ich bin auch überzeugt, dass die Linke als Partei ökonomische Themen für sich viel stärker begreifen muss, um Leute wie Christian Lindner und Friedrich Merz, die bei vielen als Wirtschaftsexperten gelten, zu widerlegen. Will man in der Debatte gegen sie bestehen, sollte man sie lieber ökonomisch als kulturell angreifen.Placeholder infobox-1
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