Paolo Rumiz: „Das Problem ist nicht Meloni, sondern die Substanzlosigkeit der anderen“
Italien Giorgia Meloni hat die Wahlen gewonnen. Wie faschistisch ist ihre Partei? Warum haben die Italiener sie gewählt? Und wie soll Europa damit umgehen? Der Triestiner Schriftsteller Paolo Rumiz im Gespräch
Am ersten Tag nach der Wahl herrscht in Europa Katerstimmung. Und Verwirrung. Giorgia Meloni und ihre Partei Fratelli d’Italia haben die Wahlen klar gewonnen, die Linke hat – wieder einmal – enttäuschend abgeschnitten. Doch wie faschistisch ist die Postfaschistin Meloni? Warum haben so viele Italiener ihr ihre Stimme gegeben? Und wird sie ihr Versprechen einlösen können: ein reichlich nebulöses Wiederauferstehen der italienischen Nation?
Paolo Rumiz wohnt am Rande Italiens, in Triest, gleich an der Grenze zu Slowenien; er schreibt auch von dort, von einem mitteleuropäischen Italien, das sich nicht abschotten will. Der Ausgang der Wahl sei „ein kleiner Schock“, sagt Rumiz.
der Freitag: Herr Rumiz, bedeutet ein „kleiner Schock“
z, bedeutet ein „kleiner Schock“, dass sie überrascht sind?Paolo Rumiz: Nein, der Schock war unausweichlich. Weil die Linke es nicht geschafft hat, eine überzeugende Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit zu geben. Der Partito Democratico, der ist mittlerweile fast so etwas wie früher die DC geworden, die alte Christdemokratie.Wie meinen Sie das?Die Linke hat in den letzten zwei Jahren, da sie an der Regierung war, nicht gewagt, etwas zu tun oder zu sagen, das sie wirklich von der Rechten abgesetzt hätte. Vor allem in der Migrationspolitik: Sie hat den Mut nicht gehabt, von der harten, populistischen Linie abzuweichen, die der frühere Innenminister Matteo Salvini (Lega) geprägt hat.Und sie hat Enrico Letta als Spitzenkandidaten aufgestellt, eine Figur aus der Vergangenheit, ohne Charisma.Letta ist ein guter Kerl und ein Akademiker von Rang. Aber er kann mit dem Volk nicht reden. Meloni kann das. Meloni hat einen guten Wahlkampf gemacht, das muss man ihr lassen: Sie hat Courage. Und sie hat es geschafft, mit ihrer Persönlichkeit dem Wahlkampf ihren Stempel aufzudrücken.Stimmen Sie zu, dass Meloni und ihre Partei vor allem deswegen gewählt wurden, weil sie noch nie an der Regierung waren? Meloni ist die einzige, die die Italiener noch nie enttäuscht hat: Weil sie keine Gelegenheit dazu hatte?Sicher. Gestern hat die Anti-Politik gewonnen. Das heißt aber auch: Das Problem ist weniger Meloni als die Substanzlosigkeit der anderen Parteien, vor allem der Linken. Ich will hier noch eine ganz allgemeine Bemerkung machen: Heute leben die meisten Europäer in einer virtuellen Realität. Sie sind nicht mehr imstande, zu unterscheiden, wer gut und wer schlecht regiert. Es gewinnen die Slogans, es geht nicht um Fakten. Die Leute haben ein irrsinnig kurzes Gedächtnis – dazu haben auch die sogenannten sozialen Medien beigetragen. Die Politiker sagen heute etwas, und morgen das Gegenteil, niemand nimmt ihnen das übel. Heute gewinnt, wer Feinde ausmacht und benennt, und nicht, wer Lösungen anbietet und gut regieren wird. Die Rechte hat die Wahlen dank einer Handvoll von Versprechen gewonnen, die aus fiskalpolitischer Sicht völlig unrealistisch sind. Sobald sich herausstellen wird, dass sie die gar nicht umsetzen können, weil das unmöglich ist, werden sie nach einem Schuldigen suchen, einem Sündenbock. Das ist es, was mir Angst macht: Wir müssen davon ausgehen, dass der Sündenbock die Migranten sein werden.Wie faschistisch sind Meloni und ihre Partei?Tief drinnen ist sie ganz klar Faschistin. Aber sie war sehr geschickt darin, das herunterzuspielen. Am Abend des Wahlsieges hat sie davon gesprochen, jetzt alle Italiener vertreten zu wollen, sie hat sehr klar auf ihre Rhetorik geachtet, um niemanden zu verschrecken. Und im Wahlkampf hat sie es geschafft, auf ihre politischen Wurzeln Bezug zu nehmen, fast spielerisch, ohne sie zu sehr herauszustellen, aber auch ohne sie zu verleugnen. Schwieriger Vergleich: Die Linke hat ihre eigenen politischen Wurzeln komplett verloren, das hinterlässt auf der Linken ein großes Vakuum. Denn was sind die Überzeugungen, die wir mit Herz und Leidenschaft vertreten, für die wir kämpfen, auch wenn sie unpopulär sind? Dafür braucht es Mut, den die Linke derzeit nicht hat.Wenn Sie von politischen Wurzeln sprechen, dann muss man doch sagen: Melonis politische Wurzeln sind ganz klar faschistisch oder neofaschistisch.Ja.Zugleich hat sie nicht mit Ausfälligkeiten von sich reden gemacht wie Salvini, der sich fast lustvoll rassistisch äußert.Meloni hat eine populäre Art, im Sinne von: Sie kommt aus einfachen Verhältnissen, sie spricht wie jemand aus dem Volk, sie kann sich bewegen. Das konnte Salvini auch mal, dieses ganz körperliche Unter-den-Leuten-Sein, das fehlt der heutigenLinken komplett. Salvini hatte dadurch ein riesiges Wählerpotenzial mobilisiert, das er jetzt mehr oder weniger an Meloni verloren hat, weil die Leute sie für pragmatischer und vernünftiger hielten als ihn. Ich halte übrigens Salvini für gefährlicher als Meloni, auch weil er inhaltlich viel direkter an den Faschismus anknüpft als sie. Aber man sollte nicht vergessen: Was die Sozialpolitik angeht, steht Melonis Partei derzeit links vom PD. Sie ist näher dran an den Leuten in den Vorstädten, an dem vergessenen Italien der kleinen Leute. Aber Meloni kann die von ihr geweckten Hoffnungen nur enttäuschen.Warum?Ich glaube nicht, dass sie überhaupt das Personal hat, in ihrer Partei, um das jetzt gut hinkriegen zu können. Es wird ihr gehen wie anderen Parteien der Anti-Politik, etwa die 5-Sterne: Sie schießen nach oben, aber bald geht ihnen dann auch wieder die Luft aus, sie stürzen wieder ab.Sie wirken nicht alarmiert? Hier in Deutschland sprechen einige schon von der Rückkehr des Faschismus.Ich denke nicht, dass der Faschismus wiederkehrt. Meloni wird sich auch in Europa mit den Mitte-Rechts-Parteien einigen, sie wird nicht die Rechtsextremen wie Orbán oder Le Pen unterstützen. Das Problem ist aber Europa: Sie gibt Europa für alles die Schuld, was bei uns nicht läuft. Sie kommt aber damit nur durch, weil die anderen Parteien nie den Mut haben, sich dagegen zu stellen und zu sagen: Das sind die riesigen Vorteile, die wir dadurch haben, dass wir in der EU sind. Ich bin nicht von Europa enttäuscht, aber von den Europäern.
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