Als sich die Nachricht von der Ernennung der Greenpeace-Chefin zur deutschen Sonderbeauftragten für internationalen Klimaschutz verbreitete, waren die Reaktionen von nahezu pawlowscher Reflexhaftigkeit: Jennifer Morgan, die keiner Partei angehört, sei doch eine „Lobbyistin“. Und dass sie als Umweltschutzaktivistin jetzt Klimapolitik betreibe, komme aufs Gleiche hinaus, wie wenn der ADAC künftig seine Leute ins Verkehrsministerium setzen würde oder die Antifa ihre ins Innenministerium.
Davon abgesehen, dass dieselben Kritiker es 2018 für gut befanden, dass der damalige Finanzminister Olaf Scholz (SPD) den Goldman-Sachs-Banker Jörg Kukies zu seinem Staatssekretär machte: Die Reaktionen treffen insofern ins Schwarze, als dass hier eine Frau in eines der höchsten deutschen Regierungsämter gehievt werden soll, die möglicherweise andere Interessen vertritt als jene der deutschen Industrie. Und doch würde man Jennifer Morgan unterschätzen, wenn man annähme, dass sie künftig vor allem die Belange der Mitglieder der Nichtregierungsorganisation Greenpeace im Blick haben wird, deren Chefin sie seit 2016 ist.
Ähnlich falsch lagen übrigens jene Beobachter:innen, die sich daran stießen, dass hier die Chefin einer Organisation eingebürgert und als internationale Sonderbeauftragte des Außenministeriums verbeamtet werden soll, zu deren DNA es gehöre, Gesetze zu missachten und zu übertreten. Obwohl es natürlich stimmt, dass Greenpeace aus medienwirksamem zivilen Ungehorsam eine erfolgreiche Polittaktik gemacht hat, deren Durchschlagkraft genau daher rührt, die Gesetze des Rechtsstaats zu verletzen. Aber auch für diese Kritiker gilt: Sie würden viel lauter schreien, wenn sie wüssten, wie Jennifer Morgan wirklich tickt.
Lobbyistin für die Natur
Wer ist diese Frau, von der Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagt, sie sei eine „Traumbesetzung“ für das neu zu schaffende Regierungsamt – offenbar die bisherige Krönung von Baerbocks Strategie, den Klimaschutz als internationale Klimadiplomatie zur Chefinnensache im Außenministerium zu machen? Jennifer Morgan ist US-Amerikanerin, geboren 1966 und aufgewachsen als Tochter einer Krankenschwester und eines Bankangestellten in New Jersey. In einem Interview mit dem Freitag sagte sie 2020, der Grund dafür, dass sie sich als Lobbyistin für die Natur verstehe, als jemand, der der Natur „eine Stimme in den Entscheidungsprozessen unserer verrückten Welt“ geben wolle, liege darin, wie sie in New Jersey aufgewachsen sei: In dem Waldstück hinter ihrem Elternhaus, wo Morgan als Kind spielte. Und an ihrer großen Schwester, einer Botanikerin, die sie zum Zelten in die echte Weite und Wildnis der Natur mitgenommen habe.
Warum ist sie dann nicht Biologin geworden oder Naturfilmerin? Morgan antwortet mit dem Verweis auf etwas, dass sie ihr „politisches Erweckungserlebnis“ nennt: Die Lektüre eines Buches der Grünen-Politikerin Petra Kelly. Morgan beschreibt es als eine „Offenbarung“, als sie als Studentin Um Hoffnung kämpfen. Gewaltfrei in eine grüne Zukunft gelesen habe. Doch was wurde ihr in dem Augenblick so klar, dass sie sich bis heute daran erinnert und dass es sie bis heute prägt? Das war nicht grüne Parteipolitik. Es war vielmehr die Einsicht, dass all die verschiedenen Kämpfe und Bewegungen, in denen sich die junge Jennifer Morgan engagierte, zusammenhingen: Die Frauenbewegung, die Anti-Atom-Bewegung und die Friedensbewegung. Es war die Einsicht, dass es im Kern bei dem Aktivismus gegen das Patriarchat und die Umweltzerstörung, gegen Rassismus und gegen Krieg um ein und dieselbe Sache ging: um ein System.
Morgan hat diesen Impuls nicht vergessen. Auch wenn sie von außen betrachtet eine ziemlich konventionelle Karriere als Funktionärin einer Nichtregierungsorganisation hingelegt hat: vom Studium der Politikwissenschaften, ihren Anfängen bei dem US-Ableger des Climate Action Network, in dem weltweit mehr als 1.400 Klimaschutzorganisationen organisiert sind, über Stationen als Chefin der Klimaabteilung der Umweltschutzorganisation WWF, des Thinktanks E3G und des World Resources Institute bis hin zur Executive Director von Greenpeace.
Es ist mehr als bloß das Klima
Und auch wenn Jennifer Morgan in den 1990ern sogar ein Jahr lang im deutschen Umweltministerium arbeitete – damals hieß ihre Chefin übrigens Angela Merkel – so ging es ihr eigentlich stets um mehr als Umweltschutz, um mehr als die Rettung der Wale, die Verhinderung eines Kohlekraftwerks hier oder einer Bohrplattform dort. Es ging darum, wie alle Kämpfe miteinander zusammenhängen. Als Greenpeace-Chefin argumentierte sie, dasselbe Machtsystem – sie nennt es den „Fossil-Industriellen-Komplex“ – sei dafür verantwortlich, dass Trump an der Macht sei, dass der Klimawandel ungebremst voranschreite, dass das Verhältnis der Geschlechter immer noch ungleich und die Löhne mies seien und dass die Schwarze Bevölkerung in den USA unter Polizeigewalt leide. „Die Kräfte, die die Natur ausbeuten, sind dieselben, die die Menschen ausbeuten“, sagte sie im Interview.
Es überrascht deshalb nicht, dass sie auch die weltweite Klimabewegung in ihrer ganzen Breite von Fridays for Future bis hin zu Ende Gelände und Extinction Rebellion geradezu euphorisch sieht. Auf die Frage, wofür sie eher kämpfe, den grünen Kapitalismus oder den Systemwandel, antwortete die US-Amerikanerin: „System change, absolutely!“
Die Frage ist nicht: Wem ist Jennifer Morgan verpflichtet, sondern eher: Was wird sie als deutsche Ministerialbeamtin durchsetzen können? Morgan tritt ihr Amt als internationale Sonderbeauftragte am 1. März an.
Kommentare 2
Klimapolitik und Adaptionsmaßnahmen sind in Deutschland über viele Stellen verteilt. Es mangelt an strategischer Tiefe und koordinierten Aktion und Abstimmung. Wichtige Infrastruktur z.B. zu für Daten- und Wissensmanagement ist rudimentär vorhanden, sektorale Einbindung weitgehend Fehlanzeige.
Der ursprüngliche Gedanke eines ‚ökologischen Clearinghauses’ für Regierungshandeln war (und ist) ein richtiger Ansatzpunkt, diese Schwächen anzugehen.
Ist das Auswärtige Amt die richtige Stelle, den Hebel anzusetzen?
Was ist die konkrete Stellenbeschreibung von Frau Morgan?
Besteht hier nicht das Risiko eines ausgelagerten 'Beobachtungspostens' mit zu schwacher institutioneller Bindung an das Gesamtnetz?
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Es wäre sicher insgesamt hilfreich und wichtig, eine Darstellung zu sehen, wie die verschiedenen Ministerien, Behörden und Institutionen bei der Klima-Anpassung in der BRD zusammenspielen, wie die Fäden zusammenlaufen, wie die Koordination erfolgt, wie Daten gesammelt und bewertet werden, wie Entscheidungsprozesse abfolgen ...
... Good Luck Ms Morgan. You may need it.
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Im internationalen Zusammenhang der Klimapolitik sei hier auch gefragt:
Ist die Vermutung richtig, dass die BRD keinen eigenen NDC hat, sondern nur als integrierter Teil des EU-NDCs erscheint?
Falls ja, gibt es einen speziellen Implementierungsplan für Deutschland und die anderen EU-Länder?
Falls nein.... ???
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https://en.wikipedia.org/wiki/Nationally_determined_contribution
NDC Wikipedia
https://www4.unfccc.int/sites/NDCStaging/Pages/All.aspx
NDC Registry
https://www4.unfccc.int/sites/ndcstaging/PublishedDocuments/Germany%20First/EU_NDC_Submission_December%202020.pdf
SUBMISSION BY GERMANY AND THE EUROPEAN COMMISSION ON BEHALF OF THE EUROPEAN UNION
https://climateactiontracker.org/countries/germany/targets/
Nationally Determined Contribution (NDC) design
https://www.umweltbundesamt.de/en/topics/climate-energy/nationally-determined-contribution-ndc-design#background
Projekt Umweltbundesamt
https://www.giz.de/en/worldwide/58363.html
NDC Assist II – Financing and implementing Nationally Determined Contributions
Projekt GIZ
Der NDC (früher INDC), Nationally Determined Contribution / National Festgelegter Beitrag, ist ein zentrales Monitoring und Koordinierungsinstrument der globalen Klima-Anpassung durch die UN Mitgliedsstaaten.
Der NDC wirkt nach Außen (was machen andere Staaten) als auch nach Innen (was sind die Beiträge der verschiedenen Sektoren); und dies möglichst detailliert und mit quantitativ nachvollziehbaren, messbaren Indikatoren, durch einen Implementierungsplan gestützt.
Das ist eine Menge Arbeit, und braucht eine bestimmte Kultur des Sektor-übergreifenden Handels, und eine Dateninfrastruktur, die das ermöglicht.
Es wäre für die Öffentlichkeit in Deutschland sehr wichtig zu wissen, was da der Stand der Dinge ist. Man kann vermuten, dass die Situation hier ähnlich ist, wie bei der Datensammlung und Auswertung für und während der Covid19-Saga.
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Weitere Prioritäten der augenblicklichen Klimapolitik (COP-Schwerpunkte) mit internationalem Effekt sind:
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Grundprinzipien der Anerkennung und des Handels in puncto ‚Loss and Damage‘ (Verlust und Beschädigung).
Fortschritte werden hier weitgehend von den historischen Verursachern der GHG-Emissionen (Industrieländer) geblockt.
Im weiteren Kontext führt dies auch zur Frage der Klima-verursachten Migration, die völlig neue demografisch-ökologische Kriterien braucht.
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Austausch und Entwicklung von alternativer, angepasster Technologie durch regionale Technologie-Zentren.
Hier könnte sehr schnell sehr viel getan werden, dies ist nicht der Fall, da die Marktorientierung führender Industriestaaten primär darauf setzt, die im eigenen Land entwickelten Technologien (meist High-Tech) bilateral an die anderen zu verkaufen (vergleichbar der Covid-Medikation).
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Ersatz und/oder erhebliche Verbesserung der existierenden Modelle und Funds zur Klima-Anpassung.
Es stehen im Prinzip erhebliche Finanzierungsbeträge zur Verfügung, genug um aus dem Stand anzurollen; diese sind für die ‚normale Staatenwelt‘ auch beim besten Willen kaum abrufbar.
Hier drängen amerikanische Consultingfirmen, Großbanken und internationale Versicherungen als ‚Ersatzhandelnde‘ in die Lücken, die von der jeweiligen staatlichen Verwaltungskapazität kaum gefüllt werden kann.
Es geht hier – ähnlich wie bei der Energiefrage – um die Steuerung und den Fluss künftiger globaler Finanzierung.
Alle Punkte wären auch wichtige Ansätze für eine (linke, soziale und ökologische) Kritik und Revision der globalen entwicklungspolitischen Konzeption aus den 60ern, und deren neoliberalen Fehlkonfiguration seit den 80ern.
Zur theoretischen-strukturellen, philosophischen Arbeit auch: grundsätzlich muss die inhaltliche Trennung zwischen Adaption und Mitigation (Anpassung und Minderung) in allen Bereichen aufgehoben werden, und durch eine Terminologie der Resilience und Sustainability (Resilienz und Nachhaltigkeit) ersetzt werden.
Natürlich mit entsprechenden Inhalten und nicht mit der mittlerweile üblichen semantischen Verballhornung (besonders in der EU und einigen der Mitgliedsstaaten).
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... damit hätte man wohl noch immer nicht 'das große Ganze fest im Blick', aber Mann/Frau wäre schon erheblich näher an der Sache ...
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Aktuelle Referenzen als Einstieg zu einigen der genannten Punkte:
https://news.bloombergtax.com/environment-and-energy/loss-and-damage-a-top-concern-at-cop26-as-legal-questions-loom
https://www.unep.org/news-and-stories/story/what-does-cop26-mean-adaptation
https://unfccc.int/list-of-recent-climate-funding-announcements
https://sdgs.un.org/sites/default/files/publications/policybrief18.pdf
https://www.iom.int/cop26
https://www.who.int/news/item/09-11-2021-cop26---direct-linkages-between-climate-change-health-and-migration-must-be-tackled-urgently-iom-who-lancet-migration