Und raus fliegst du

Air Berlin Ein feiger, unsolidarischer, wilder Streik? Von wegen. Die Piloten der insolventen Airline wehren sich zurecht dagegen, im Bieterverfahren unter die Räder zu kommen
Ausgabe 38/2017
In der Debatte über die Zukunft der Fluglinie bleibt das Schicksal der Beschäftigten meist unter dem Radar
In der Debatte über die Zukunft der Fluglinie bleibt das Schicksal der Beschäftigten meist unter dem Radar

Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images

Wenn dieser Tage eine Entscheidung über die Zukunft der insolventen Fluglinie Air Berlin fällt, dann wird viel von Filetstücken, Flugzeugen sowie Start- und Landerechten die Rede sein. Wen interessiert dabei groß das Schicksal der Beschäftigten?

Über die rund 200 Piloten, deren Krankmeldungen jüngst für die Streichung von mehr als 100 Flügen gesorgt hatten, war das mediale Urteil schnell gefällt: Gefährdung des Bieterverfahrens und damit des Fortbestands der Arbeitsplätze! Weigerung, gerade jetzt „an einem Strang zu ziehen“! Wilder Streik, „kollektives Krankfeiern“, rechtswidriger Arbeitskampf, „feige“ – von der Süddeutschen Zeitung bis zum Deutschlandfunk herrschte große Einigkeit. Den Soundtrack dazu lieferten die Stimmen frustrierter Passagiere, deren Flüge ausfielen.

Dabei gälte es, die Fakten nicht aus dem Auge zu verlieren: Zu den Krankmeldungen kam es, weil das Management von Air Berlin allem Anschein nach jeglicher Diskussion über einen Sozialplan aus dem Weg gehen wollte, da solch ein Plan die möglichen Investoren von der Lufthansa über Easyjet bis zu Unternehmern wie Hans Rudolf Wöhrl abschrecken könnte.

Das trifft die Interessen der Bieter wohl nur zu genau: In der Konkursmasse von Air Berlin ist das Humankapital der relativ gut bezahlten Piloten und anderer Beschäftigter vor allem totes Holz. Um mit Air Berlin in Zukunft Kasse zu machen, sind die Kürzung von Löhnen sowie das Schleifen von Rechten fest einkalkuliert. Von „Anschlussverwertung“ und der Gelegenheit, sich bei Neu-Eigentümern frisch zu bewerben, ist die Rede. Nicht von per Tarifvertrag abgesichertem Betriebsübergang.

Die Beschäftigten hatten ganz richtig verstanden: Sie drohen im Bieterverfahren unter die Räder zu kommen. Ihr wilder Streik war nichts anderes als die Erinnerung daran, dass ihre Interessen sich weder mit jenen des Managements noch denen der potenziellen Käufer decken. Dem Ausdruck zu verleihen, war eher mutig als „feige“ und genau das Gegenteil von „unsolidarisch“ gegenüber dem schlechtergestellten und leichter mit Streikbrechern zu ersetzenden Bodenpersonal.

Wer am längsten Hebel sitzt, kann und soll am entschlossensten kämpfen. Und wer die Macht der Arbeitnehmer stärken will, muss dem Mittel des Streiks mehr Raum geben. Bei Air Berlin und anderswo.

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