Aminata Touré ist seit 2017 grüne Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein, eigentlich kein Amt mit bundesweiter Strahlkraft. Doch seit ihrer Wahl zur Landtagsvizepräsidentin 2019 steht sie im Fokus: Als jüngste Landtagsvizepräsidentin in Kiel – sie war damals 26 – und als erste Schwarze. Touré, die in Neumünster geboren wurde, die ersten fünf Jahre ihres Lebens in einer Flüchtlingsunterkunft gelebt hat und bis zwölf von der Abschiebung bedroht war, ist inzwischen wohl die prominenteste Schwarze Politikerin Deutschlands. Ihr politisches Programm könnte man so zusammenfassen: Die staatlichen Institutionen von innen heraus zu verändern, sie dazu zu bringen, dass sie „Rassismus verlernen“. Dieses Gespräch ist im Rahmen eines Porträts von Aminata Touré entstanden, das es hier nachzulesen gibt.
Der Freitag: Stehen wir – nach Wochen der Proteste, Debatten und Diskussionen nach dem Mord an George Floyd – an einem Wendepunkt im Kampf gegen Rassismus?
Aminata Touré: Ich glaube schon, dass in den letzten drei Wochen etwas passiert ist, was es so vorher noch nicht gab. Wir haben intensivere Debatte über Rassismus geführt als zuvor, wir haben überhaupt das erste Mal so breit im Mainstream Debatten über anti-Schwarzen Rassismus geführt. Das ist natürlich auch einerseits schmerzvoll, weil es um Gewalt gegen Schwarze Menschen geht, um das Teilen von gewaltvollen Videos gegenüber Schwarzen Körpern. Andererseits merke ich in der Schwarzen Community, dass man merkt, dass sich gerade etwas verändert: Wir haben, glaube ich, in Deutschland noch nie so breit und so kritisch über Weißsein gesprochen, oder das überhaupt so benannt. In der Regel werden nur migrantische Menschen benannt, aber nicht die Mehrheitsgesellschaft. Wir sprechen über Machtverhältnisse, wenn wir das benennen. Wie nachhaltig das sein wird, kann man heute noch nicht sagen.
Wie haben sich die letzten Wochen für Sie selbst angefühlt? Wie geht es Ihnen als einer oder vielleicht der prominentesten Schwarzen deutschen Politikerin?
Ich war und bin froh, diese Aufgabe nicht alleine meistern zu müssen, auch wenn es sich oft so anfühlt, weil es nicht allzu viele Schwarze Abgeordnete gibt, oder überhaupt Abgeordnete, die von Rassismus betroffen sind. Diese Debatte führen viele Schwarze Akteur*innen gemeinsam mit mir und das gibt einem ein Gefühl von Stärke. Zugleich ist es schon eine krasse Situation, dass man merkt, man ist dabei, eine Debatte bundesweit zu führen, obwohl man eigentlich im Schleswig-Holsteinischen Landtag sitzt. Für mich ist es nicht die erste Phase, die so intensiv ist. Zuletzt war es so intensiv, als ich zur Vizepräsidentin gewählt wurde, wo ich tagelang nichts anderes gemacht, als immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten.
Wenn jemand öffentlich Rassismus anklagt, folgen oft rassistische Beschimpfungen, Hassmails und dergleichen mehr. Wenn Sie ins Morgenmagazin gehen, wissen Sie dann schon, dass Sie dann mehr Hassmails, Drohungen kriegen?
Ja, absolut. Man weiß, in dem Moment, wo man das Studio verlässt, kommen schon die ersten Nachrichten und die Reaktionen, zeitgleich. Ich will das gar nicht kleinreden. Aber ich muss auch sagen, es gibt halt auch krass viel positiven Zuspruch, den man bekommt, der nicht irrelevant ist, um so eine Arbeit weiter zu machen.
Von all den Dingen, die seit George Floyds Tod passiert sind, Debatten, Demos, Diskussionen, Forderungen, bis zu Ihrem Vorschlag, den Begriff der Rasse aus dem Grundgesetz zu streichen: Was könnte wirklich helfen, Rassismus zu verringern?
Das ist eine spannende Debatte, die grade läuft um die Ersetzung des Worts Rasse aus dem Grundgesetz: Das hätte eine krasse und wichtige Symbolkraft. Aber ich glaube, das allein ist nicht genug. Was wichtig wäre: Dass tatsächlich in allen Bundesländern und im Bundestag konkrete Maßnahmen folgen, die zum Ziel haben, unsere staatlichen Organe zu professionalisieren. Das könnte man einfach machen. Genauso, dass wir in den Bildungsbereich reingehen. Damit ist noch lange nicht alles getan, aber das sind zwei zentrale Punkte.
Sie sagen in der Zeit, Sie wünschen sich, dass Antifa-Gruppen und linke Gruppen mehr mit Behörden zusammenarbeiten würden.
Überrascht Sie das?
Ja. Mir scheint, Sie haben ein sehr positives Verhältnis zu staatlichen Institutionen und zu staatlichen Organen, im Unterschied zu manchen anderen Linken oder AktivistInnen.
Die Zusammenarbeit von linken Gruppen mit staatlichen Institutionen ist wichtig. Aber was mir noch viel wichtiger ist: In die Strukturen reinzugehen. Das ist mein wesentlicher Punkt. Zu sagen: Wenn man Strukturen in seinem Sinne progressiv verändern möchte, dann muss man auch rein in diese Strukturen. Wir leben nun mal in diesem Staat, über den wir sprechen und den wir kritisieren. Ich habe den Weg gewählt, in staatliche Strukturen reinzugehen, und zu sagen: Ich führe diese Gespräche, um Dinge zu ändern. Ich glaube, dass es viele Menschen braucht, die mit Vertrauen in staatliche Strukturen und einem kritischen Blick da reingehen und sich damit auseinandersetzen, davon bin ich einfach zu 100 Prozent überzeugt.
Es gibt ja viele Linke, die ein sehr distanziertes Verhältnis zum Staat und zu Institutionen haben; manche sagen, man müsste den Kapitalismus abschaffen, dann würde sich auch der Rassismus auflösen.
Die Debatte muss man führen, aber ich glaube, zu sagen, lass uns doch mal den Kapitalismus abschaffen, und dann ist der Rassismus auch durch, die Zeit hab ich nicht. Das ist auch ein bisschen bequem, sowas so zu formulieren, wenn man nicht derzeit in den Strukturen drinsteckt, oder in Gesellschaften lebt, in denen man aktiv davon betroffen ist. Ich sage nicht, wir sollen die Debatte nicht führen, aber meanwhile sehe ich halt meine Schwarzen Geschwister, die unter all diesen Situationen leiden.
Der Spiegel schreibt, Habeck habe gesagt, dass Sie mit den Ausschlag gegeben haben, dass Jamaika in Kiel klappt?
Wir haben zwölf Hauptverhandler:innen gehabt, und ich war eine der zwölf und hab die Bereiche Migration und Soziales mitverhandelt, und war dann auch in den Endabstimmungen dabei. Auf dem Parteitag hab ich mich auch dafür ausgesprochen, dass wir es versuchen sollen. Das war der krasseste Moment von Realpolitik, in den ich je reingekickt worden bin …
Sie sind seit 2019 Landtagsvizepräsidentin: Ist das vor allem repräsentativ, Symbolpolitik?
Ich hab lang darüber nachgedacht, ob ich das machen möchte oder nicht. Mir war es wichtig, dass ich auf jeden Fall an meinem inhaltlichen Themen weiterarbeiten kann. Und das kann ich. Ich habe kein fachpolitisches Amt aufgegeben, deswegen. Sondern einfach nur noch weniger Zeit.
In den letzten Wochen wurden Schwarze Menschen in Interviews oft nach Erfahrungen rassistischer Diskriminierung gefragt. Sie haben das gesagt, dass Sie nicht gerne tun.
Nein, ich hab gesagt, ich hasse das.
Ist es nicht manchmal wichtig, so was zu schildern, einfach weil es die Menschen emotional trifft, mehr, als wenn man vom strukturellen Rassismus spricht?
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es an Beispielen fehlt. Wir hatten den Hashtag metwo, wo viele Menschen die persönlichsten Dinge von sich preisgegeben haben, es gibt unfassbar viele Bücher… Wenn ich 18 Interviews an einem Tag führe, und Leute mich achtzehnmal fragen, ob ich mal von einer Demütigung erzählen kann, dann sage ich, ‚Nein, darauf hab ich keinen Bock’. Weil das einfach auch eine Position der Schwäche ist, in die man einen dann versetzt, ob bewusst oder unbewusst, für die ich nicht bereit bin. Der Punkt ist nicht, dass ich mich in einer Position der Schwäche zeigen muss, sondern dass die Reflexion darüber stattfinden muss, dass das passiert. Wir erzählen davon, seitdem wir sprechen können. Es gibt dann immer wieder diese Momente, ‚Krass, hätte ich echt nicht gedacht, Wow!’ Ich will diese ‚Wows’ nicht, ich möchte auch nicht mehr dieses ‚Oh Gott, ich wusste gar nicht, dass das passiert’. Lies ein Buch! So. Ich bin auch aus meiner Rolle als fachpolitische Sprecherin nicht bereit, das immer wieder preiszugeben. Oft wird als erstes gefragt, kannst du mal ganz kurz von einem sehr invasiven Moment deines Lebens erzählen, und zack bin ich raus aus dem, was ich eigentlich politisch mache. Was ich heftig finde, ist: Wenn man solche Politikbereiche bearbeitet, wird einem immer vorgeworfen, man würde Politik auf einer emotionalen Basis machen. Obwohl man eigentlich auf einer wissenschaftlich belegten, fachpolitischen Ebene diskutiert. Und dann ist es einfach so krass, dass in den Moment, wo man über wissenschaftlich belegte und politische Dinge sprechen will, die Frage kommt: Kannst du dich ganz kurz ausziehen, und uns erzählen, was dir alles an Demütigungen passiert ist. Das ist eine Entpolitisierung unserer Politik.
Ihre Art des Sprechens und Kommunizierens, machen Sie das bewusst, dass Sie sich so ausdrücken, wie junge Menschen heute nun mal sprechen und schreiben?
Alte Menschen schreiben mir oft, ich soll nicht so schnell reden, das tut mir dann auch leid. Ich hab immer schon zu schnell geredet. Aber ich finde auch, dass Politik an der Stelle versagt, wo man nicht so spricht, dass man es versteht. Ich habe das Gefühl, ich verstelle mich, wenn ich anders spreche. Aber ich merke schon, dass ich mich manchmal zusammen nehmen muss, um nicht nur in meiner Art und Weise zu sprechen, dass ich weniger englische Begriffe benutzen muss und so weiter, aber keine Ahnung.
Sie könnten sich ja auch der Art und Weise anpassen, wie im politischen Betrieb gesprochen wird?
(Lacht) Ich glaube, diesen Wunsch, sich anzupassen, um irgendeiner vermeintlichen Norm zu entsprechen, dieser Zug ist abgefahren, sobald ich hier zur Welt gekommen bin. Auch wenn ich Anzüge tragen und Beamtendeutsch sprechen und versuchen würde, möglichst wie eine 40-jährige Person zu wirken, es würde nicht funktionieren, ich wäre halt immer noch 27, und immer noch eine Schwarze Frau. Ich hab den Anspruch nicht, wie kann ich am besten so reinpassen, dass ich nicht auffalle. Das mache ich sowieso …
Dass Sie sich so in und für demokratische Institutionen einsetzen, hat das auch mit der Biografie Ihrer Eltern zu tun?
Absolut. Ich glaube, die Erfahrung meiner Eltern, in einem Staat zu leben, wo rechtsstaatliche Strukturen nicht funktionieren, hat uns geprägt. Aber ich habe deshalb keinen naiven oder blauäugigen Blick auf Staatlichkeit, sondern den Anspruch, die demokratischen Institutionen immer besser machen zu wollen, damit sie Bestand haben. Ich bin halt die ersten zwölf Jahre mit dem Gefühl aufgewachsen, ok, was ist, wenn wir wieder abgeschoben werden, und ich weiß nicht, wie stabil ist es da gerade. Ich hatte Momente, wo ich in der Schulklasse saß, und dachte: Ihr wisst gar nicht, was für ein Glück ihr habt, dass ihr hier leben dürft. Und zwar ohne, dass das in Frage gestellt wird. Ich bin froh, die Möglichkeit zu haben, innerhalb von staatlichen Strukturen mitarbeiten zu können.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.