Wir verschwenden Zeit

Die Buchmacher David Graebers neues Buch „Bullshit-Jobs" trifft einen Nerv
Ausgabe 39/2018
Bullshit-Jobs sind meist gut bezahlt, obwohl die Ausführenden insgeheim wissen, dass sie nichts gesellschaftlich Nützliches leisten
Bullshit-Jobs sind meist gut bezahlt, obwohl die Ausführenden insgeheim wissen, dass sie nichts gesellschaftlich Nützliches leisten

Foto: imago/Christian Mang

David Graeber hat ein höchst unterhaltsames Buch über das Arbeiten in Zeiten des Spätkapitalismus geschrieben. Darüber, wie sich in dessen Herzen die Sinnlosigkeit, das So-tun-als-arbeite-man, breitmacht, und das Bewusstsein, dass die Welt nichts verlöre, wenn ich meine Arbeit einfach bleiben ließe: darüber also, wie Bullshit-Jobs den Arbeitsmarkt und damit unsere Leben auffressen, weil – Überraschung – der Mensch es nicht erträgt, dass er seine Zeit auf etwas verwendet, das keinen Sinn ergibt.

„Bullshit“ ist nicht so leicht ins Deutsche zu übersetzen, was Graebers Verlag dadurch gelöst hat, dass er es erst gar nicht versucht. Bullshit ist Schmu, Kokolores, Beschiss. Ein Bullshit-Job ist, nach Graebers Definition, „eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann, obwohl er sich im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei dies nicht der Fall“.

David Graeber ist kein Ökonom, sondern Anthropologe, bekennender Anarchist und Aktivist in sozialen Bewegungen wie der kurzlebigen „Occupy“-Klitsche. Graeber guckt – als Anthropologe – auf unsere Arbeitswelt wie auf eine fremde, unverständliche Kultur und schreibt über sie wie ein Moralist, ein Satiriker oder: ein Akademiker, der sich von Pointe zu Pointe weiterhangelt. Seine Energie zieht das Buch allerdings aus einem Gestus des Punk: aus dem Widerständigen des proletarisch-gesunden Menschenverstandes, der die seelische Gewalt des modernen Kapitalismus durchschaut („Die verarschen uns doch!“) und im besten Fall sabotiert.

Entstanden ist Bullshit-Jobs aus einem Artikel, den Graeber in der Zeitschrift Strike! veröffentlicht hat. Darin stellte er die These auf, dass wir eigentlich – nach Keynes’ Prognose – wegen des technischen Fortschritts heute alle nur mehr 15 Stunden pro Woche arbeiten müssten. Wie geht das damit zusammen, dass wir tatsächlich mehr arbeiten als jemals zuvor? Graebers Antwort ist: weil ein ziemlich großer Teil der gesellschaftlichen Arbeitszeit für sinnlose Beschäftigung draufgeht.

Offenbar hat Graeber damit einen Nerv getroffen. Jedenfalls habe er nach der Veröffentlichung seines Artikels massenhaft Zuschriften erhalten, in denen Leute seine These in Bezug auf ihre eigenen Arbeitsplätze bestätigten: Sie brächten keinerlei Nutzen, keinen Wert, seien sinnlos. Einer Umfrage zufolge haben in Großbritannien immerhin 37 Prozent aller Beschäftigten das Gefühl, dass ihre Arbeit „keinen sinnvollen Beitrag zur Welt“ leiste. Vor allem betroffen sei das mittlere Management im Finanz- und Informationssektor, und sowohl private als auch staatliche Unternehmen: Während die Ideologie der Effizienz auf der untersten Ebene zu Arbeitsverdichtung führt, vermehren sich darüber die BS-Jobs.

Ein Bullshit-Job, so stellt Graeber fest, sei aber kein „Scheißjob“: Letztere seien schlecht bezahlte Anstellungen, bei denen hart gearbeitet wird, die zwar oft schlecht angesehen werden, deren Ausführende aber wissen, dass sie etwas für die Gesellschaft Nützliches tun, etwa Reinigungskräfte. BS-Jobs hingegen seien meist gut bezahlt, obwohl die Ausführenden zumindest teilweise nur so tun, als würden sie arbeiten, und insgeheim wissen, dass sie nichts gesellschaftlich Nützliches leisten.

Die Krux der Bockmist-Jobs sei aber, dass sie nur schwer auszuhalten sind: weil sie Entfremdung in Reinform erfahren lassen.

Info

Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit David Graeber Klett-Cotta 2018, 464 S., 26 €

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Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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