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Buchmesse Wie man die rechten Provokationen ins Leere laufen lassen kann
Ausgabe 11/2018

Die Leipziger Buchmesse ist eröffnet, und viel spricht dafür, dass im Brennpunkt des internationalen Großereignisses erneut eine Handvoll nationalistischer Kleinverlage stehen wird. Wie in Frankfurt. Dort war es im letzten Herbst allen voran dem agilen Götz Kubitschek gelungen, seinen Antaios-Verlag, eine der wichtigsten Plattformen der Neuen Rechten, nachhaltig ins Gespräch zu bringen. Man sei, sagte Kubitschek im Interview mit Alexander Wallasch, zum »prägenden Messethema« geworden. Wobei er zugab, dass diese »Landnahme« – bei zehn von 170.000 m2 Ausstellungsfläche eine durchaus angemessene Metapher – unmöglich gewesen wäre ohne die Mithilfe all jener, die sie um jeden Preis verhindern wollten: »Wir haben unsere PR-Abteilung ausgelagert, und jeder, der uns zu laut und zu durchschaubar skandalisiert, ist Teil dieser Auslagerung, ist einer unserer unbezahlten Mitarbeiter, ob er will oder nicht. Das klappt seltsamerweise immer wieder.«

Anders als die meisten Aktivisten im »Kampf gegen rechts« wissen rechte Aktivisten wie Kubitschek ziemlich genau, womit sie rechnen können. Vor allem wissen sie, dass sie ihre Gegner vor ein Problem stellen, das Alain de Benoist so auf den Punkt gebracht hat: »Der Staat kann den Besitz von Waffen […] verbieten, aber er kann nur sehr schwer, ohne das Prinzip der freien Meinungsäußerung anzutasten, die Verbreitung eines Buchs oder die Aufführung eines Schauspiels verbieten, die jedoch, wenn es darauf ankommt, Waffen darstellen können, die gegen ihn gerichtet werden.« Wer nun, wie einige schlaue Journalisten und Literaturstudenten, angesichts solcher Kampfansagen behauptet, dass vielleicht nicht der Staat, wohl aber eine Buchmesse der Verbreitung subversiver Literatur Grenzen setzen könnte, hat weder unseren Staat noch die Buchmesse begriffen. Dem zwar wundzitierten, aber dennoch kaum verstandenen Diktum des Verfassungsjuristen Böckenförde zufolge ist der liberale Rechtsstaat auf Voraussetzungen angewiesen, die er selbst nicht garantieren kann. Er gewährt Freiheit, heißt das, aber verwirklichen kann sie nur die Gesellschaft seiner Bürger. Die Religionsfreiheit bleibt solange prekär, wie die Kirchen sie nicht als Prinzip der Selbstbindung akzeptieren. Und genauso verstehen sich die Buchmessen eben nicht allein als wirtschaftliche Infrastruktur, sondern auch als Medium der Meinungsfreiheit – eine Funktion, die sie nur bei strikter Neutralität erfüllen können. Gemäß dieser Selbstbindung markiert erst der Gesetzesbruch die Grenze des gedruckten Wortes. Der Ausschluss rechter Verlage steht also aus gutem Grund gar nicht zur Debatte. Jürgen Boos und Oliver Zille, die Direktoren der beiden Buchmessen, haben sich in dieser Frage eindeutig positioniert.

Darauf einen Dujardin

Man könnte das wissen. Kubitschek jedenfalls weiß es. Und in der Sicherheit dieses Wissens hat er den »Kampf gegen rechts« in ein Dilemma verstrickt. Entweder, so ließe es sich umschreiben, ihr nehmt unsere Präsenz auf der Buchmesse hin; dann sind wir der »rechtsintellektuellen Normalität«, um die es uns geht, einen guten Schritt näher gekommen. Oder ihr macht uns zum Dauerthema, zum Skandal, zum Objekt eurer Störungen; dann betreibt ihr unfreiwillig unser Geschäft.

Wie damit umgehen? Vier Ansätze sind denkbar. Man kann, erstens, das Dilemma leugnen und sich zu nützlichen Idioten der Rechten machen. Wie auf der Herbstmesse, wo linke Aktivisten – quasi auf Bestellung – genau die Tumulte lieferten, die Kubitschek und seine Freunde zur Beglaubigung ihres Bürgerkriegsphantasmas brauchen. Als wäre all das nicht passiert, kündigt nun das Netzwerk Nationalismus ist keine Alternative für Leipzig erneut kostenlose Statistendienste an: »Wir verhindern rechte Kundgebungen, Demos und Stände […]. Im besten Fall machen Antifaschist_innen den Rechten praktisch klar, dass sie in Zukunft besser auf ihre Meinungsäußerungen verzichten.« Natürlich, und wenn das geklappt hat, macht ihr dann der Deutschen Bank klar, dass sie in Zukunft besser auf ihre Gewerbefreiheit verzichtet. Hallo! Ist euch klar, dass sie in Schnellroda mit ihren Kürassiersäbeln ganze Batterien von Aldi-Champagner geköpft haben, als euer Appell erschien? Jetzt wissen sie nämlich, dass ihr aus Frankfurt nichts gelernt habt. Ist euch klar, dass es für Antaios und die Identitären eine Riesengaudi wäre, euren erwarteten Auftritt mit einer Überraschung zu quittieren? Stellt euch nur mal kurz vor, sie würden einen auf gewaltlosen Widerstand machen. Ihr stört mit eurem Gebrüll ihre Veranstaltung, aber statt wie beim letzten Mal zurückzubrüllen streifen sie sich weiße Kurtis über, gehen auf die Knie, verkleben ihre Münder, während auf dem Podium ein Banner entrollt wird: Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du – Mahatma Gandhi. Reicht eure Phantasie aus, um zu ahnen, dass das auch Leute amüsieren würde, die sonst nichts mit den Rechten verbindet?

Zweitens kann man es mit der Initiative #verlagegegenrechts halten und Aussteller wie Antaios irgendwie akzeptieren, aber irgendwie auch nicht. Stilistisch führt diese Haltung zu den bekannten Exzessen einer Betroffenheitsprosa, die das Übel in der Welt zwar nicht begreifen, aber auch um keinen Preis unkommentiert lassen will. »Wir nehmen«, heißt es mit pathetischer Unbeugsamkeit, »die Präsenz völkischer, nationalistischer und antifeministischer Verlage nicht wort- und tatenlos hin.« Da sich die Aktionen des »Aktionsbündnisses« auf Wortbeiträge beschränken, kann dabei als Tat wohl nur die Performanz der Rede gelten. Und das heißt in diesem Fall: der performative Widerspruch, im Namen von »Vielfalt und Meinungsfreiheit« nicht für, sondern gegen den Einschluss einer unliebsamen Meinung zu protestieren. Insgesamt 13 Veranstaltungen sind geplant, auf denen die »demokratische« Gesinnung viel Messeraum und Messezeit zur Selbstdarstellung einnehmen wird, was heißt, andauernd und immer wieder all das zu verneinen, was von »rechts« bejaht wird. Dass das Verneinte in der Negation anwesend ist, könnte man seit Hegel wissen. Kubitschek jedenfalls weiß es, darum darf mit seiner Anwesenheit im Publikum gerechnet werden. Er wird entspannt zuhören, ein Hörnchen Met schlürfen und sich denken: Bei Thor, Landnahmen waren auch schon mal komplizierter.

Pulverdampf und Theaterdonner sind allerdings nicht jedermanns Sache. Schon vor Wochen hatte Kubitschek öffentlich darauf gewettet, dass die Wochenzeitung Junge Freiheit – einst »Mutterschiff« der Neuen Rechten, heute für den Geschmack des »dunklen Ritters« (Spiegel) und gitarrespielenden Ex-Offiziers zu beamtenhaft bürgerlich – dem Druck nicht standhalten und der Messe fernbleiben würde. Und genauso kam es nun. Beleidigt und entnervt von der vielfältig inszenierten Konfrontation zwischen »demokratischen« und »rechten« Verlagen, kündigte Chefredakteur Dieter Stein den gebuchten Messestand. Dass eine Sprecherin von #verlagegegenrechts diesen Schritt als »vollen Erfolg« einer »engagierten Diskussion« feierte, ist bezeichnend. Wir diskutieren, bis ihr kapiert, wo der Hammer hängt. Studenten und Lehrkräfte der deutschsprachigen Literaturinstitute haben dieses autoritäre Freiheitsverständnis sogar ganz unverhohlen zum Ausdruck gebracht, als sie in einem offenen Brief forderten, »menschenverachtenden Positionen den Raum zuzuweisen, den sie verdienen«, was hieß: die Buchmesse von ihnen zu säubern. Der Gruppe 47, schrieb einst Hans-Werner Richter, sei es um »demokratische Elitenbildung auf dem Gebiet der Literatur« gegangen. Ob man das vielleicht etwas zu wörtlich genommen hat? Jedenfalls ist es befremdlich, wenn Zöglinge literarischer Eliteanstalten sich derselben Sprachfigur bedienen wie Alexander Gauland, der außereuropäische Migranten als »raumfremd« bezeichnete.

Backmischung fürs Volk

Lässt sich der zweite Ansatz auf die Maxime »am besten gar nicht ignorieren« bringen, so bestünde der dritte darin, die Rechten tatsächlich nicht zu beachten. Leider wäre ein kollektives Beschweigen nur in Diktaturen organisierbar. Trotzdem sollte man sich diese Möglichkeit wenigstens hypothetisch vor Augen halten. Würden all jene, die jetzt wort- und gestenreich die »Gefahr von rechts« beschwören, einfach gar nichts tun, wäre in bester taoistischer Manier alles getan. Ohne ihre Feinde wären die Rechten schließlich auf sich selbst zurückgeworfen. Wie das aussähe, ließ sich in den ruhigeren Momenten der Frankfurter Buchmesse erahnen. An ihrem Stand mussten die Antaios-Mitarbeiter quasi im Minutentakt maschinengetippte Manuskripte zurückweisen, die ihnen deutsche Greise zur Veröffentlichung anboten. Und auf ihren Podien mussten sie sich notgedrungen mit sich selbst unterhalten, was meist unbeholfen wirkte, zuweilen aber auch sehr komisch. Als Kubitscheks Gattin und Siezfreundin Ellen Kositza von ihrem Starautor, dem tintenklecksenden Schandmaul Akif Pirinçci, ein Lob für den gewährten Vorschuss hören wollte, blieb der seiner Rollenprosa treu. »Ihr macht da in Schnellroda ja immer einen auf Biobauer«, knurrte Pirinçci, »aber die scheiß Fresskörbe, die ihr mir geschickt habt, waren alle von Aldi.« Zum Glück kam kurz darauf die Antifa und bereitete dem peinlichen Schweigen ein Ende. So sähe sie aus, die hart erkämpfte rechtsintellektuelle Normalität auf der Buchmesse: Allein unter 7.300 Ausstellern, Horden von Esoterikomas auf Klosterfrau Melissengeist und der kleine, böse Akif. Stress ohne Ende, null Adrenalin.

Schließlich und viertens könnten alle, die sich dem »Kampf gegen rechts« verschrieben haben, die Rechten ja ausnahmsweise mal als Gegner ernst nehmen. Buchmessen sind nicht der Ort, um sie im Kampf zu stellen. Aber wo sonst ließen sie sich so ungehindert studieren? Schließlich lässt sich ein Gegner, den man verstanden hat, viel besser bekämpfen als einer, den man nur verachtet. Man könnte zum Beispiel bei Antaios vorbeischauen, um mal mit Kubitschek zu reden. Dabei würde man merken, dass er viel weniger souverän wirkt, wenn er auf Höflichkeit und Ironie reagieren muss, als wenn andere auf seine Anstößigkeit hin ausrasten. Viele nicht zu Ende gedachter Gedanken würde man bemerken, viele nur mühsam kontrollierte Affekte, aber auch einen überraschenden Schuss schwäbelnden Humors.

Man könnte es auf der Buchmesse allerdings auch zum Äußersten kommen lassen und in ein paar der ausgestellten Bücher reinschauen. Zur Erinnerung: Kubitschek hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass am Anfang des goldenen Herbstes 2017 ein ungelesenes Buch stand. Erst als Rolf-Peter Sieferles Finis Germania auf der Basis von Gerüchten skandalisiert und so auf Platz 1 bei Amazon katapultiert worden war, hatte die Kritik sich ja auf eine gründliche Lektüre eingelassen. Die Bilanz: neben vielen bitteren und dunklen, darunter einigen durchaus anregenden, genau ein tatsächlich skandalöser Gedanke. Wäre es von Anfang an so unaufgeregt kritisiert worden, hätte Antaios für die Buchmesse vermutlich einen Kredit aufnehmen müssen. Was gäbe es nun zu entdecken? Man könnte etwa feststellen, dass ernstzunehmende Rechtsintellektuelle wie Karl-Heinz Weißmann im aktuellen Programm nicht mehr vertreten sind, dafür aber internationale Superstars wie die Rechtsfeministin Camille Paglia. Oder dass Kubitschek zwar kein großer Denker ist, aber durchaus ein flotter Schreiber, dessen – worauf in einer Vorbemerkung hingewiesen wird – einflussreichster Text wie heißt? Genau: Provokation. Wer provoziert, hat verstanden, durch welche Gesten er den anderen zu unbedachten Taten reizen kann. Im Kampf ist die Provokation eine Taktik der Anpassung an einen überlegenen Gegner. Der Schwächere nimmt sich die Freiheit, den Stärkeren zum Sklaven seiner Instinkte zu machen. Hätte man das verstanden, könnte man zum Schluss Martin Lichtmesz’ und Caroline Sommerfelds Mit Linken leben zur Hand nehmen, einen Bestseller, auf den Kubitschek und Kositza erklärtermaßen stolz sind. Gegner der Rechten sollten dieses Buch unbedingt lesen. Nicht weil es so brillant wäre, – im Gegenteil, die Zeiten, in denen es für reaktionäre Autoren eine Frage der Ehre war, die Anstößigkeit des Inhalts durch Schärfe im Stil zu vergelten, sind leider längst vorbei –, sondern weil es das Erfolgsgeheimnis der Rechten im Zeitalter Donald Trumps enthüllt: ein unternehmerisches Verhältnis zur Reizbarkeit.

Nach einem Begriff oder auch nur einer präzisen Beschreibung der »Linken« wird man in dem Buch vergeblich suchen. Dafür fehlt den Autoren die Kälte des Blicks. Von der visionären Klarheit Ernst Jüngers oder den Skalpellschnitten Schmittscher Unterscheidungen ist der rechte Geist hier Lichtjahre entfernt. Sommerfeld und Lichtmesz studieren keinen Feind, um ihn sich dann strategisch für den Kampf zurechtzulegen, sie erspüren eine feindliche Umwelt. Sie wittern die »Linken« wie eine bedrohliche Spezies, in deren Habitat sie eingedrungen sind. Sie überzeichnen ihre Eigenschaften, um von ihnen ja nicht gefasst zu werden. Sie rechnen mit ihrer Natur und überlassen sich der Führung der eigenen Instinkte. Dabei ist kein kluges Buch herausgekommen, aber ein geradezu schmerzhaft waches. Ganze Kapitel widmen die Autoren der Frage, durch welche Gesten und Sätze sich »linke« Empörung triggern lässt. Sie beschreiben ausführlich, in welchen Nischen man im »juste milieu« der Gerechten und Selbstgerechten gefahrlos überwintern kann. Und sie zeigen ein idiosynkratisches Gespür für die Widersprüchlichkeit einer Toleranz, die im Namen der Vielfalt Konformität erwartet. Angesichts solcher Umweltsensibilität muss man sich fragen, ob es nicht Zeit für eine ökologische Theorie der Rechten wäre. Sie könnte vielleicht erklären, dank welcher Metamorphosen und Anpassungsprozesse eine Bewegung, die durch den Nationalsozialismus rettungslos diskreditiert schien, heute so verstörend lebendig wirkt. Carl Schmitt und Ernst Jünger hat die Bundesrepublik längst kanonisiert. Was dagegen weiterhin zu denken gibt, ist die ewige Verlockung zur Regression. Du verspürst einen Reiz? Gib ihm nach! Man kritisiert Dich? Das zeigt, dass du Recht hast! Denn right is right, and left is wrong. Komm, wir backen Plätzchen! Und dann kochen wir uns ein Volk.

Per Leo, geb. 1972, hat sich als Historiker und Schriftsteller mit alt- und neurechten Denkformen beschäftigt. Zuletzt veröffentlichte er, zusammen mit Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn, den Leitfaden »mit Rechten reden« (Klett-Cotta 2017)

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