Geschlechtsvergessen

MANNSEIN Das vergangene »Sommerloch« bescherte uns völlig unerwartet eine bis heute anhaltende Debatte über Rechtsradikalismus. So positiv es ist, dass die ...

Das vergangene »Sommerloch« bescherte uns völlig unerwartet eine bis heute anhaltende Debatte über Rechtsradikalismus. So positiv es ist, dass die politisch Verantwortlichen die Dimension des Problems endlich zu erfassen beginnen, so hilflos und undifferenziert kommt die Debatte bisher daher - zudem war sie in einer erstaunlichen Weise geschlechtsvergessen. Dies musste fast zwangsläufig in einer Simplifizierung von Lösungsvorschlägen enden.

Wie von einer plötzlich auftretenden Krankheit wurde von der rechtsradikalen Gewalt gesprochen. Kaum thematisiert wurde, dass es sich hier in erster Linie um Gewalt von (jungen) Männern handelt - Männer sind (noch) in der Überzahl die Täter. Das soll nicht heißen, dass Frauen nicht auch rechtsradikale und fremdenfeindliche Einstellungen aufweisen. Im Gegenteil, Frauen und Männer unterscheiden sich in ihren Einstellungen kaum, aber in der Umsetzung dieser Einstellungen begegnen wir wiederum der vorherrschenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft, die den Männern die Ausübung physischer Gewalt zuschreibt. Zudem fand kaum größere Beachtung, dass die Opfer rechtsradikaler Gewalt überwiegend Männer sind - denn Männer werden in den vorherrschenden Geschlechterstereotypen noch immer als »Täter« und nicht als »Opfer« gesehen. Aber von den von der Frankfurter Rundschau aufgeführten 93 Getöteten rechtsradikaler Anschläge sind gut acht Zehntel Männer. Die Opfer rechtsradikaler Gewalt sind dabei nicht nur Männer aus vermeintlich fremden Ethnien, sondern auch Männer, die auf irgendeine Art und Weise als »fremd«, als nicht zur »deutschen Volksgemeinschaft« gehörend, letztendlich als nicht »männlich« abgewertet werden.

Vor diesem Hintergrund kann rechtsradikale Gewalt aus männlichkeitskritischer Perspektive als Versuch der Rekonstituierung fragiler Männlichkeit interpretiert werden, als Versuch (junger) Männer, sich in der Hierarchie der Männlichkeiten wieder ein paar Stufen nach oben zu schieben. Dabei wird dann von Bedeutung, dass - wie die bekannte feministische Historikerin Gerda Lerner gezeigt hat - die Hierarchisierung körperlicher, ethnischer und sozialer Differenzen mit patriarchalen Strukturen auf das Engste verbunden ist: »Das Patriarchat« - so Lerner in einem sehr lesenswerten Interview in der Emma - »kann nicht ohne Hierarchie existieren, und die Hierarchie kann nicht ohne Devianzgruppen existieren.« Sklaverei, Rassenhass und Frauendiskriminierung sind mit dem Patriarchat zeitgleich entstanden.

Rechtsradikalismus stellt also eine spezifische Spielart dieser »Dominanzkultur« und dieses Dominanzdiskurses dar und ist dabei gegenwärtig anschlussfähig an den vorherrschenden »Standortnationalismus« - wie der Kölner Politologe Christoph Butterwegge die Standortdebatte bezeichnet. Mehr als deutlich wurde diese »neue Spielart des Nationalismus«, die in einer meist bellizistischen Rhetorik die deutsche Volkswirtschaft in einem Kampf ums Überleben mit anderen Ökonomien beschreibt, in der Debatte um die Green-Card. Mit Bezug auf den vermeintlichen Nutzen für »unsere« Wirtschaft wurde hier - begleitet von Überlegungen um eine weitere Beschränkung des Rechts auf Asyl - in einer Entgegensetzung des nützlichen Fremden mit dem »nicht nützlichen« Fremden eine Abwertung bestimmter Menschengruppen vorgenommen. Als Vollstrecker dieser Auswahl können sich dann - mit der heimlichen Zustimmung eines nicht unwesentlichen Teils der männlichen und weiblichen Bevölkerung - die prügelnden Neonazi-Trupps verstehen. Um so paradoxer und kontraproduktiver muss es dann erscheinen, wenn neben vielen anderen etwa der brandenburgische Ministerpräsident Neonazis zum Standortnachteil für Deutschland erklärt - den völkischen sozusagen mit einem ökonomisch verbrämten Nationalismus bekämpfen möchte.

Eine geschlechtssensible Betrachtung legt nahe, dass mit einer Verschärfung von Strafgesetzen, einem Verbot rechtsextremer Parteien oder der sozialpädagogischen Einzelbetreuung prügelnder junger Männer Rechtsradikalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht beizukommen ist. Erforderlich scheint vielmehr - wie von der UNESCO seit Jahren proklamiert - die Etablierung einer »Friedenskultur«. Einer Kultur, in der jede Diskriminierung von »Anderen« ausgeschlossen, in denen das »Andere« nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung begriffen wird. Nur in einer Friedenskultur wird Geschlechterdemokratie zu realisieren sein.

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