Wenn man will, dann liest man es täglich: Aus Afrika kommende Flüchtlinge werden auf hoher See von Schiffen oder Helikoptern der europäischen Grenzsicherungsbehörde Frontex zum umkehren gezwungen. Frauen, die oft tausende Kilometer unter schwersten Bedingungen reisen, um in Europa den Gefahren und der Hoffnungslosigkeit in ihren Heimatländern zu entgehen, werden in europäischen Abschibelagern mishandelt. Tausende Bootsflüchtlinge ertrinken jedes Jahr im Mittelmeer.
All dies dürfte eigentlich gar nicht passieren. Eigentlich sind sämtliche EU-Staaten (auch Deutschland) verpflichtet, Flüchtlinge über ihre Grenzen zu lassen, sie menschenwürdig zu behandeln und ihre Asylanträge unvoreingenommen und gründlich zu prüfen. Die Realität sieht meist aber gäzlich anders aus und daran trägt auch die deutsche Flüchtlingspolitik einen entscheidenen Anteil.
Diese besteht nämlich darauf, dass alle Flüchtlinge grundsätzlich im Land ihrer Ankunft "abgefertigt" werden. Das ist für Deutschland eine komfortable Lösung, da wir ja bekanntlich keine europäische Aussengrenze mehr haben. Das führt allerdings dazu, dass auf einmal kleine und - mit Duetschland verglichen - wenig finanzstarke und institutionell leistungsstarke Länder wie Malta mit einem gigantischen Flüchtlingsstrom fertig werden müssen. Das >Ergebnis ist vorhersehbar: Überfüllte Auffanglager, übervorderte Behörden. Die großen EU-Nationen schlagen bei diesen Zuständen in gespieltem Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen, geben unzureichende Hilfsgelder und setzen sonst auf eine "Politik der Abschreckung", um Flüchtlinge davon abzuhalten, die Reise nach Europa anzutreten.
Das dies nicht funktionieren kann und nur noch mehr menschliches Leid hervorruft, ist inzwischen hinlänglich belegt. Über eine Alternative macht sich trotzdem niemand Gedanken. Dabei dürfte allen klar sein, worin diese bestehen muss:
Deutschland und die anderen "inneren" EU-Länder müssen Verantwortung für einen großen Teil der Flüchtlinge übernehmen. 2008 kamen auf 1000 deutsche Einwohner gerade mal 0,5 Asylanträge. Zum Vergleich: im gleichen Jahr musste Malta 6,5 Asylanträge pro 1000 Einwohner bearbeiten, Zypern etwa 4,5 [1]. Spätestens seit 1993, als in Deutschland die Möglichkeiten, Asyl zu beantragen dramatisch beschnitten wurden, ist die Zahl der Antragssteller drastisch gesunken (von ca. 300.000 auf ca. 25.000 im Jahr 2008 [2]). Gleichzeitig dürfte die Zahl der Flüchtlinge weltweit kaum gesunken sein, ganz zu schweigen von den Millionen "Binnenflüchtlingen", die ihr Land nicht verlassen können oder wollen. Das führt zu der paradoxen Situation, dass Länder wie Guinea bis zu 15 mal mehr Flüchtlinge pro Einwohner aufnehmen als Deutschland [3].
Die logische Konsequenz hieraus muss eine komplette Umgestaltung der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik sein. Flüchtlinge dürfen nicht weiter daran gehindert werden, in Europa Schutz zu suchen. Vielmehr sollte ihnen die Europäische Union dabei behilflich sein, damit die kriminellen Schlepperbanden aus dem Geschäft gedrängt werden. Nach ihrer Ankunft müssen die Flüchtlinge über die europäischen Nationen verteilt werden, damit ein ordentliches und faires Asylverfahren garantiert werden kann. Während dieses Verfahrens muss ihnen die Möglichkeit geboten werden, sich eine bezahlte Arbeit zu suchen (Arbeit anzunehmen ist Asylsuchenden in Deutschland beispielsweise verboten), um ihre Eingliederung in die Gesellschaft und die Kosten für diese so günstig wie möglich zu gestalten. Eine Abschiebung in Heimatländer, in denen ihnen eine Gefahr droht (Sudan, Irak, Iran, Afghanistan) oder in ein Drittland, in dem sie mishandelt werden könnten (Lybien, Türkei) muss ausgeschlossen werden. Vielmehr sollten Flüchtlinge in Deutschland endlich nicht mehr als Gefahr gesehen werden, vor der man sich schützen muss, sondern als schützenswerte Menschen, die gerne die Chance ergreifen würden, in Europa ein neues und erfolgreiches Leben zu beginnen.
[2] www.muenchner-fluechtlingsrat.de/cgi-bin/moin.cgi/Asylantr%C3%A4ge_in_Deutschland
Kommentare 4
Dabei dürfte allen klar sein, worin diese bestehen muss:
Schwarz-Afrika und die anderen "inneren" Afrikanischen Länder müssen Verantwortung für einen großen Teil der Flüchtlinge übernehmen.
Schauen wir uns doch mal die Zahlen an. In Deutschland wohnten nach Angaben des UNHCR (zuständige UN Behörde) im Jahr 2008 582.735 (0,71% der Bevölkerung) Flüchtlingen oder Menschen in vergleichbaren Situationen. Das hört sich viel an, muss aber ein wenig relativiert werden. Einbegriffen sind unter anderem die umgangssprachlich als "Deutschrussen" bekannten Spätaussiedler (>35.000) und mehr als 160.000 Türken, bei denen es sich wohl kaum vollständig um "echte" Flüchtlinge handelt (im Sinne von geflohen vor Krieg und Vertreibung oder konkreter Gefahr für Leib und Leben). Beachten sollte man dazu das Deutschland zu den acht wirtschaftsstärksten Nationen der Welt gehört, 80 Millionen Einwohner hat, keine Versorgungsprobleme mit Nahrungsmitteln etc. bestehen und einer der größten Exporteure für Waffen aller Art ist. Schauen wir uns mal ein paar Schwarzafrikanische Länder an (in allen Zahlen sind interne Flüchtlinge nicht enthalten):
Chad: Diktatur, 10,3 Millionen Einwohner, ca. 10% Säuglingssterblichkeit, Position 175 von 182 im HDI; Flüchtlinge: 302.685 (ca. 3% der Bevölkerung, vor allem aus dem Sudan)
Ruanda: Autoritäres Regime, 10,4 Millionen Einwohner, ca. 8,1% Säuglingssterblichkeit, Position 167 von 182 im HDI; Flüchtlinge: 55.062 (ca. 0,5 % der Bevölkerung)
Sudan: Diktatur, 41 Millionen Einwohner, ca. 8,2% Säuglinssterlichkeit, Position 150 von 182 im HDI; Flüchtlinge: ca. 206.000 (ca. 0,5% der Bevölkerung) plus ca. 6 Millionen (!) interne Vertriebene
Der einzige Grund, warum diese Staaten zusätzlich zu der dramatischen Situation im eigenen Land noch Flüchtlinge aufnehmen können, ist das die Industrienationen ihnen Nahrungsmittel geben. Wir füttern also Millionen von Menschen durch, die dort unter den erbärmlichsten Bedingungen hausen, von den dortigen Regimen misshandelt werden und die auch stabilere Staaten bis über den Rand ihrer Belastungsgrenze hin unter Druck setzen, wie die Verfolgung von Zimbabwern in Südafrika zeigt. Jetzt beantworte mir mal ehrlich drei Fragen:
1. Kann man (aus einer Menschenrechtsperspektive heraus) einem Flüchtling, der vor Krieg und Vertreibung flieht, wirklich zumuten in einem LAnd wie dem Tschad "aufgenommen" zu werden?
2. Sind westliche Länder nicht ungleich besser geeignet Flüchtlingsströme aufzunehmen, zu verwalten und ihnen eine Perspektive zu bieten, als sowieso schon von der eigenen Bevölkerung überforderte Entwicklungsländer?
3. Würde ein solches Vorgehen nicht auch in den Industrienationen die Bereitschaft stärken, endlich mal präventiv auf drohende Konflikte zu reagieren und anhaltende Konflikte schnell zu beenden, anstatt immer nur zu Weihnachten ein paar Säcke Mehl zu spendieren?
Nicht alle Afrikaner vor "Krieg und Vertreibung". Sehr viele junge Schwarz-Afrikanische Leistungsträger verlassen Ihr Land, weil sie den Prophezeiungen von gewerblichen Schleusern trauen. Die jungen Menschen glauben an ein Leben im Wohlstand z.B. in Europa. Dafür riskieren sie alles. Ähnlich wie die Flüchtlinge aus der damaligen DDR.
Was können wir den Schwarz-Afrikaner hier bieten?
Hier bleiben sie arm. Ohne Zukunft und ohne Perspektive. Nicht alle. Aber sehr viele.
Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, dass die Menschen hier heimisch werden können. Und das tun wir nicht. Noch nicht.
Es ist natürlich diplomatischer Lebensmittel, Alt-Kleider-Sammlungen und Medikamente nach Afrika zu schicken. Anstatt sich ernsthaft mit den Möglichkeiten in Afrika auseinander zu setzen. Afrikaner wollen keine Arroganz oder mit Almosen abgespeist zu werden. Und sie wollen auch nicht in Weltpolitischen Fragen am Katzentisch sitzen. Als hübsche Dekoration. Wie der "Sarotti-Mohr". Die Chinesen machen eben lieber Geschäfte mit Afrikanern, als diese wie ein krankes Kind zu füttern. Offensichtlich kommt das innenpolitisch in Afrika gut an.
Die jungen Leistungsträger fehlen in Schwarz-Afrika. Sollen dort nur noch Alte und Kranke zurück bleiben? Und ein Haufen von Soldaten, Miliz und Heimatlosen? Während z.B. Chinesen das Land bewirtschaften umd sich selbst zu füttern?
Deutschland muss den Dialog suchen. Und in Afrika investieren. Alles andere macht keinen Sinn.
Ich stimme mit dir überein, dass viele Afrikaner auch auf der Suche nach einer "neuen Welt" nach Europa kommen. Um die ging es in meinem Beitrag aber auch gar nicht, sondern um die Flüchtlinge, die einen hohen (geschätzten) Anteil an allen "illegalen" Einwanderern haben.
China wird von dem durchschnittlichen Afrikaner entweder gar nicht (mangels Bildung und Information), neutral (man hat besseres zu tun, als sich auch noch um die Chinesen zu kümmern), oder negativ wahrgenommen. Freuen tun sich in erster Linie die Politiker, die sich auf einmal nicht mehr den "einschränkenden" politischen Vorschriften der Europäer beugen müssen, um ihre Regime zu finanzieren. Die allermeisten Afrikaner erkennen aber sehr schnell, dass es für ihn keinen Unterschied ausmacht, woher das Geld kommt - er wird davon sowieso nichts abbekommen.
Im letzten Punkt stimmen wir überein. Deutschland muss Handel statt Hilfe nach Afrika bringen. Das betrifft aber wieder nicht die Flüchtlingsfrage, denn die kommen normalerweise aus Ländern, mit denen in der jetzigen Situation keine Geschäfte gemacht werden können.