Bewegung wie ein Wellenbad

Baden-Württemberg Nach der Landtagswahl wird nichts mehr sein wie vorher. Doch wenn Mappus noch einmal ­gewinnt: Rache ist Blutwurst

Es ist Freitag. Drüben auf der anderen Straßenseite wühlt mein unbekannter Freund (wir sind doch hier nicht in Berlin!) im Abfall, sucht Pfandflaschen. Manchmal lege ich ihm eine rein in den Abfallbehälter. Kleine Freuden. Gleich fahren wir vom Theaterhaus aus nach Freiburg – da steigt der „Badische Heimatabend mit Stuttgarter Gästen und allen Konsequenzen“. Mit den Konsequenzen ist Stuttgart 21 gemeint, die Abwahl. Aber auch die Freiburger Antwort auf die Stuttgarter Frage: Wessen Park, wessen Land, wessen Stadt? Die Badischen verstehen ja mehr von Revolte – im Wyhler Wald wurden sie abgeräumt und das AKW dennoch verhindert.

Jetzt aber ist Fukushima angesagt, nicht Stuttgart 21. Oder doch beides?

Freiburg war Spitze. Der Kabarettist Matthias Deutschmann hatte den Abend arrangiert, zwanzig Künstler für zwei Stunden, mit Ideen für die neue Welt. Das hieße auch: ohne AKW. Atemlos still das ganze große Theater in Freiburg, als Krimi-Autor Wolfgang Schorlau seinen Tatsachenbericht vortrug vom 30. September 2010: Wie der Rechtsstaat aus den Fugen gerät und auf Mappus-komm-raus zuschlägt ohne Erbarmen auf Alt und Jung.


So hatten sie’s hier nicht gelesen. Nach diesem Abend lag ein großes Einvernehmen über den Leuten, die Lust, sich einzumischen, Frei-Bürger zu werden. Der Erlös der Veranstaltung wie vieler weiterer geht an Dietrich Wagner: Der ist nach dem Polizeiangriff auf einem Auge erblindet, auf dem anderen hat er noch eine Sehfähigkeit von acht Prozent. 650 andere Verletzte gab es, ihre Zahl rechnen die hiesigen Medien mit penetranter Hartnäckigkeit auf „über hundert“ herunter, wieder und wider besseres Wissen.

In Baden-Württemberg sieht man eh’ schlecht, nicht nur nach dem 30.9., dem Schwarzen Donnerstag mit dem illegalen Polizeieinsatz, man sieht auch schwarz für die Presse, denn mehr als je zuvor in der Geschichte eines der größten Medienkonzerne geht’s um Profit. Da bleibt notgedrungen manche Nachricht, manche Einsicht auf der Strecke. Kolportage statt Reportage. Was zu belegen ist, andermal.

Diese selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit wird sich auch auf die Wahlen auswirken. Bei der Hengstparade zu den Landtagswahlen fällt das Kroppzeug der kleinen Parteien sowieso in den Müll. Beim SWR diskutiert ein Herr Schmidt von der SPD mit einem Herrn Mappus von Siemens.

Alles was sonst so kreucht und fleucht, ist amputiert worden. Bei vielen Podiumsdiskussionen tief im Landesinneren sind’s in der Regel auch nur vier Parteien, die sich bei Hefezopf und lauwarmen Tee über die Verteilung künftiger Posten streiten dürfen. Wenn die Linke den Einzug in den Stuttgarter Landtag um ein Zehntel-Prozent verpassen sollte, muss das auch solchen Demokratie-Machern und solchen Medien zugerechnet werden.


Nach den Wahlen könnte ja eh’ das große Aufräumen beginnen. Rache ist Blutwurst. Gehen die Wahlen falsch aus, wird sich Mappussia die Querdenker und Quertreiber vorknöpfen. Das ist nicht weit hergeholt – jetzt schon müssen etliche Kulturschaffende bei ihren Geldgebern antreten in Hab-Acht-Stellung und denen erläutern, weshalb sie denken wie sie denken, und warum Kunst und Kultur etwas mit Politik zu tun haben könnten.

Dass nach dem 27. März nichts mehr wie vorher sein wird, egal, wie die Wahlen ausgehen, ist ein sicheres Vorausergebnis. Es ist ein großes Selbstbewusstsein da im Lande. Die Bewegung ist wie ein Wellenbad, mit immer neuen erfrischenden Ideen und einer verblüffenden Praxis. Man sucht nach einer anderen Presse, nach neuen Medien. Man freut sich über Demokratie und Debattier- und Demonstrier- und Lernlust.

Momentan überraschen wir uns einmal pro Woche selbst: Am 19. März bei der landesweiten Demo „Mappus abschalten“. Das sagt alles und meint beides: Eine sechzigjährige (CDU-)Regierung, Atomkraftwerke und Milliardengräber wie Stuttgart 21. Rund 60.000 Menschen sind in die Stadt geströmt, abermals und abermals: Wo gab’s das schon die letzten Jahre? Die Sorge galt Fukushima, der Protest den Regierenden und ihren strahlenden Konzepten. Die Anti-AKW-Bewegung und die Bewegung gegen Stuttgart 21 marschierten und blockierten einträchtig und einsichtig nebeneinander. Aufbruchstimmung: Mappus muss vom Netz.

Allen auf die Finger klopfen

Und was, wenn nicht?

Ich möchte mit niemanden wetten. Am Horizont dämmert das Wissen, dass es mit der Verlässlichkeit möglicher neuer Regierungen nicht unbedingt weit her ist – es sei denn, man schaut ihnen und klopft ihnen auf die Finger, Schwarz-Rot-Geld-Grün.

Abwechselnd reibt man sich inzwischen im Lande, das ich gern Ländle nennen würde, aber ich bin lernfähig, die grünen und die roten Hände. Die Grünen im Aufwind, die Roten im Aufwind. Mit den Roten ist die SPD gemeint. Die Linke kämpft damit, dass die Linken sagen, ihr seid nicht die Linke und dass sie – Demokratie hin oder her – nicht so recht ins Bewusstsein rückt.

Das Problem der Linkspartei ist: Ihre Sünden werden nie vergeben, egal, ob sie je begangen wurden, ob sie gebeichtet sind. Schon die Nähe zur Sünde ist Sünde. Und niemals fällt eine linke Schweinerei der Vergessenheit anheim. Das mag sogar gut sein, auch wenn viele Linke jede Schweinerei abstreiten – so, als versammelten sich auf Listen und Parteiversammlungen nur Humanisten und rundum nette Menschen wie Lothar Bisky.

Das Problem der Linken ist: Der SPD wird alles vergeben. In der Atompolitik gilt sie als glaubwürdig – das beherrschende Thema verhindert nun den Abstieg in die dritte Klasse. Bei Stuttgart 21 traut man der Partei alles zu (den Grünen nur manches), auch sie hat ja immer recht. Zutrauen würde ich ihr vor allem die Zerrreißprobe: Eine Mitgliederbefragung zu Stuttagart 21 wird kippen, was angeblich nie zu kippen war. Wenn die Führungs-Sozialdemokraten dann dennoch anders entscheiden, wird aus dem Riss, der durch die Partei geht, ein großer Spaltpilz.

Peter Grohmann lebt als Kabarettist und Autor in Stuttgart. Über Stuttgart 21 schrieb er im Freitag zuletzt im Oktober 2010

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