Smog im Hirn

Abgasbetrug Die Aufklärung des VW-Skandals kommt nicht voran. Doch das liegt nicht nur am Konzern selbst. Politik, Kunden und Verbände agieren viel zu zahm
Ausgabe 08/2017
Die Bürgerin sollte sich den klaren Blick nicht vernebeln lassen
Die Bürgerin sollte sich den klaren Blick nicht vernebeln lassen

Foto: Colin Hawkins/Getty Images

Eigentlich wäre der VW-Abgas-Skandal sowohl unternehmerisch als auch politisch zu bewältigen – wenn VW und die Politik es wirklich wollten. Was spricht gegen eine unabhängige Untersuchungskommission, die den von VW unter Verschluss gehaltenen Untersuchungsbericht der Kanzlei Jones Day auswertet, mit eigener Aufklärung ergänzt und bis zum Sommer einen vorläufigen Report zum Skandal vorlegt?

Nichts. Alle würden aufatmen, wenn die neue Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) zu einem runden Tisch mit VW-Verantwortlichen und -Geschädigten, mit Umwelt- und Verbraucherverbänden, Wissenschaftlern und Gewerkschaften bitten würde, um einen Täter-Opfer-Ausgleich auszuhandeln, der bei mindestens 2.000 Euro pro geschädigtem VW-Fahrer liegen könnte. Das würde symbolischen Willen dokumentieren, ohne US-Entschädigungsdimension und ohne Überforderung des Konzerns. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) könnte VW mit dem Entzug der Betriebserlaubnis für bestimmte Fahrzeugtypen glaubwürdig drohen, so die Fahrzeuge nicht bis zum kommenden Sommer umgerüstet sind. VW könnte nach Verhandlungen mit der Bundesregierung in einen Ökologie- und Gesundheitsfonds einzahlen, um die durch den Abgasbetrug angerichteten Schäden an Mensch und Umwelt zu kompensieren.

Nach Lage der Dinge ist all das noch eine ferne Utopie. Das Unternehmen und die Politik verhindern in einer strukturellen Komplizenschaft die genannten Aktivitäten. VW verfügt selbstherrlich: Untersuchungsergebnisse werden nicht veröffentlicht. Die glücklose Chefaufklärerin, die SPD-Frau und Ex-Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt, wird per goldenem Handschlag von mehr als zwölf Millionen sowie einer monatlichen Rente von 8.000 Euro verabschiedet. Und gegen die vorgesehenen neuen Vergütungsregeln – der Vorstandschef soll „nur noch“ bis zu zehn Millionen Euro pro Jahr verdienen – regte sich im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung an diesem Freitag Widerstand.

Die schwarz-rote Koalition duckt sich weitgehend weg: Angela Merkel, Sigmar Gabriel, Heiko Maas, Alexander Dobrindt, bisher auch der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Grüne und Linke äußern höchstens allgemeine Kritik, agieren fantasielos und zahm, auch im Untersuchungsausschuss des Parlaments. Und die IG Metall ist in diesem Fall nicht mehr als ein Mauschel-Partner.

Ebenso fallen die Verbraucherverbände als Gegenmacht nahezu komplett aus; sie könnten sehr gut von entschlossener und erfolgreicher agierenden Kollegen in den USA und Frankreich lernen. Ökologie- und Verkehrsinitiativen tun zwar, was in ihrer Macht steht, ein kraftvolles Bündnis aber ist nicht in Sicht. Viele Medien schlagen sich in ihrer Aufklärungsarbeit wacker, sie bleiben aber meist auf Personen fixiert, während der Blick auf potenzielle Gegenmacht fehlt.

Ein Mittel des Widerstands

Volkswagen-Fahrer schließlich jammern zwar. Doch aufraffen können sie sich, wenn, dann nur zu einem Besuch beim Anwalt, um die – begrenzten – Möglichkeiten für Schadensersatzklagen auszuloten.

Inmitten dieser Gemengelage hat es das politische Mittel des Boykotts, wie wir ihn mit Bezug auf VW mit einer Initiative vom Zaun zu brechen versuchen, schwer. Zur Wahrheit der stillen Macht von VW gehört auch: Der Abdruck von Werbeanzeigen mit Plädoyers für den Boykott Volkswagens wird aus „geschäftlichen Interessen“ verweigert, selbst von Medien, die noch nicht einmal auf VW-Aufträge hoffen können. Spots im Radio werden von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten abgelehnt – ebenso wie Aufträge zu repräsentativen Befragungen in Sachen VW-Skandal von fast allen Meinungsforschungsinstituten.

Die Kombination von VW-Arroganz und systematischer Unterlassung der Politik, sich gehaltvoll mit VW und den anderen betroffenen Automobilfirmen anzulegen, ist folgenschwer. Die lautlose Macht des Konzerns lähmt wie Smog im Hirn, ihr folgt eine riesige Hinnahmebereitschaft der Bürgerinnen und Bürger. So ist der VW-Skandal bisher erfolgreich ausgesessen worden. Wenn aber ziviler Ungehorsam das Salz in der Suppe der Demokratie ist – dann ist es an der Zeit, den Boykott als ein Mittel des Widerstands zu entwickeln.

Peter Grottian ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft und Mitinitiator der Kampagne „VW-Boykott“

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