Mit der Vorhersage eines tiefgreifenden, vor allem durch den Menschen selbst hervorgerufenen Klimawandels trat die Klimaforschung aus dem berühmten Elfenbeinturm heraus. In Deutschland wurde das zum Beispiel durch die Denkschrift Warnung vor drohenden weltweiten Klimaänderungen durch den Menschen der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (1987) nachdrücklich dokumentiert. Diese Ergebnisse der modernen Klimaforschung begannen die Kreise der mächtigen Energieindustrie und anderer Wirtschaftszweige, die für die vorhergesagte Entwicklung mit verantwortlich zeichnen und auf fossile Energieträger möglichst nicht verzichten wollen, empfindlich zu stören. Bis heute treten immer wieder Apologeten auf den Plan, die nichts unversucht lassen, das Klimaproblem klein zu reden, die Existenz des Treibhauseffekts zu leugnen und andere Einflüsse auf das Klimasystem der Erde hochzuspielen.
Eine Studie schürt Ängste
Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Sensationshascherei, durch die die wissenschaftlichen Ergebnisse verzerrt und oft maßlos übertrieben in den Medien dargestellt werden. Die der Ölindustrie nahestehende Bush-Administration verweigert nach wie vor ihre Unterschrift unter das Kyoto-Protokoll und unterstützt damit die hemmungslose CO2-Emission in den USA mit Begründungen, die - ungeachtet der Ergebnisse auch der amerikanischen Klimaforschung - dem Arsenal der Klimawandel-Leugner entstammen.
Nun ist in der zweiten Februarhälfte eine Studie des Pentagon bekannt geworden, in der der drohende Klimawandel als unmittelbar bevorstehend und mit apokalyptisch anmutenden Folgen für Natur und Gesellschaft dargestellt wird. Die Bedrohung wird sogar als höher eingeschätzt als die durch den internationalen Terrorismus. Ein Widerspruch? Nur bedingt, wie wir sehen werden. Das einzige Tau, an das sich der besorgte Bürger halten kann, sind die objektiven Ergebnisse der internationalen Klimaforschung.
Im Jahre 1988 trat die von der UNO eingerichtete Zwischenstaatliche Gruppe zum Problem der Klimaschwankungen (IPCC) zusammen. An ihrer Arbeit beteiligen sich seither zahlreiche Fachwissenschaftler aus aller Welt, die regelmäßig die Ergebnisse der modernen Klimaforschung einschließlich der Folgen erwarteter Änderungen und möglicher Gegenmaßnahmen zusammenfassen und publizieren (zuletzt drei Bände 2002). Diese Veröffentlichungen sind der komprimierte Fundus des jeweiligen globalen Wissensstandes über das Klima und seine Veränderungen.
Wie die beigefügte Grafik der Entwicklung der jährlichen Lufttemperaturabweichungen vom Mittelwert 1961-1990 zeigt, liegt die Weltmitteltemperatur seit Ende der siebziger Jahre ständig über dem Durchschnitt und ist unübersehbar angestiegen. Bei der Mittelung über die ganze Erde sind die Veränderungen allerdings gering, regional aber recht unterschiedlich ausgeprägt. Nach kritischer Abwägung aller möglichen Ursachen kam IPCC schon 1996 zu dem Schluss, dass der globale Temperaturanstieg in erster Linie auf die Nutzung der Atmosphäre als Deponie für Treibhausgase aus der Verbrennung fossiler Energieträger herrührt. Begleitend dazu haben sich im letzten Jahrhundert regional und zeitlich alle Klimagrößen wie der Niederschlag, die Zirkulationsverhältnisse, die Häufigkeit extremer Witterungsabschnitte und vieles mehr verändert. Folgen verschiedenster Art werden bereits beobachtet: Die meisten Gletscher schmelzen ab, das Meereseis geht zurück, während der Meeresspiegel ansteigt, die Gewässer erwärmen und die Vegetationszyklen verändern sich, verschiedene Schaderreger breiten sich aus ... Das häufigere Vorkommen milder Winter und warmer Sommer bei uns gehört auch dazu. Man kann also sagen, dass der Klimawandel in aller Welt begonnen hat. Wie wird es weitergehen?
Blick in die Klimazukunft
Prognosen der allgemeinen Klimaentwicklung kann man heute mit den entwickelten, jeweils die neuesten Rechnergenerationen beanspruchenden Klimamodellen vornehmen, vorausgesetzt, man gibt den Modellen vor, wie sich in Zukunft die Emission von Treibhausgasen (hauptsächlich CO2) sowie anderer Beimengungen der Luft, die Veränderungen der Landnutzung, der solare Einfluss auf das Klima und auch die Häufigkeiten starker Vulkaneruptionen gestalten werden. Darin liegt eine der Unsicherheiten, eine andere besteht darin, dass die Modelle selbst noch unvollkommen sind. Sie sind Abbild unseres Wissensstandes über das Klimasystem, und dieser ist bei weitem noch nicht vollständig.
Kleine Ursachen können große Wirkungen ausüben, viele Wechselwirkungen und Rückkoppelungen sind noch nicht genügend erforscht. Parallel wird die Klimageschichte der Erde erforscht, um insbesondere festzustellen, wie schnell und unter welchen Umständen das Klima von einem Zustand in den anderen übergehen kann. Nach heutigen Erkenntnissen kann im Laufe des 21. Jahrhunderts im globalen Durchschnitt bei anhaltender CO2-Emission in der bisherigen Größenordnung mit einer Erwärmung zwischen 1,5 und knapp 6 Grad Celsius (je nach Modellvariante) gerechnet werden (vgl. Grafik), aber auch mit einem Meeresspiegelanstieg unter einem Meter (im 20. Jahrhundert waren es 20-25 Zentimeter). Es könnte zu einer Beschleunigung des Wasserkreislaufes und einer Verschiebung der Trocken- und Feuchtgebiete kommen, möglich sind auch Zirkulationsveränderungen in Atmosphäre und Ozean und die Zunahme der el niño-Ereignisse.
Die in der Pentagon-Studie herausgestellte Vergletscherung Skandinaviens hat einen realen Hintergrund. Das gesamte nördliche Europa hat klimatisch begünstigte Verhältnisse im Vergleich mit anderen Gebieten gleicher Breitenlage. Ursache ist die berühmte Warmwasserheizung durch den Golfstrom. Heute wird genauer erforscht, wie die Golfstromausläufer warmes Wasser bis in die Gewässer bei Island und Grönland transportieren, wobei sie ihre Wärme an die Atmosphäre abgeben. Das abgekühlte Wasser sinkt ab, macht Platz für nachströmendes warmes Wasser. In den tieferen Schichten wird das Wasser zurückgeführt und gelangt in anderen Teilen des Weltmeeres wieder an die Oberfläche. Man hat diesen Kreislauf als "ozeanisches Fließband" bezeichnet. In vergangenen geologischen Zeitabschnitten lief das Fließband mal langsamer, mal schneller, es gab auch Zeiten des Stillstands. Lässt der Warmwassernachschub nach oder hört er ganz auf, so ist mit einer Abkühlung der bisher klimatisch begünstigten Gebiete zu rechnen. Das kann der Fall sein, wenn mehr Eis in die Gewässer kommt und dort schmilzt. Ein "Mini-Vorgang" dieser Art hat wahrscheinlich mit dazu beigetragen, dass die Weltmitteltemperatur zwischen dem Ende der vierziger und den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts häufig eine abnehmende Tendenz zeigte und die allgemeine Erwärmung unterbrochen war. Der bisher in den Ozean-Atmosphäre-Klimamodellen nicht simulierte Prozess ist ernst zu nehmen, auch wenn die Temperaturen im Norden gegenwärtig erheblich ansteigen. Von einer raschen "Vergletscherung Skandinaviens" kann nicht gesprochen werden.
Klima-Kriege
Der eingeleitete Klimawandel wird die Regionen der Erde unterschiedlich treffen. An einer Abschätzung der Folgen für die Natur und im sozio-ökonomischen Bereich wird intensiv gearbeitet. Wir müssen damit rechnen, dass in manchen Gebieten die Lebensgrundlagen zerstört, in anderen dagegen verbessert werden. Stelle man sich nur einmal vor, wenn solche heißen und trockenen Sommer wie 2003 im Berlin-Brandenburger Raum in einem Jahrzehnt vielleicht achtmal vorkommen würden! Wenn Wassermangel herrscht und auf den Äckern nicht mehr genug wächst, wird es nicht ausbleiben, dass eine weltweite Migration von Millionen von Menschen einsetzt. Selbstverständlich erhöht sich dann die Gefahr von kriegerischen Auseinandersetzungen.
Der Ausweg kann nur in einem solidarischen Zueinanderstehen der Weltgemeinschaft liegen, um der globalen Herausforderung zu begegnen. Dazu gehört, dass sich alle Staaten am Kyoto-Prozess beteiligen und beginnen, ihre Treibhausgasemissionen effektiv zu senken. Weitere Maßnahmen müssen folgen. Den Klimawandel wird man damit jedoch nicht aufhalten, nur mildern. Daher ist es unbedingt erforderlich, auf der Grundlage der Ergebnisse der Klimaforschung bereits jetzt entsprechende Szenarien zu entwerfen und ein "generalstabsmäßiges" Training durchzuführen, damit bei Eintreten gefährlicher, klimabedingter Situationen sofort die erforderlichen Schritte zur friedlichen und menschenwürdigen Hilfe eingeleitet werden können.
Die von Nichtfachleuten verfasste Pentagon-Studie verfolgt solche Ziele nicht. Sie hält sich vielmehr an das Prinzip "Jeder rette sich, wie er kann" und entwirft das infernalische Bild eines kurz bevorstehenden Zerfalls der zivilisierten Welt in Folge des Klimawandels. Objektiv gesehen gehört die Studie in einen anderen Zusammenhang: Sie begründet die Vorbereitung und Fortsetzung der neo-imperialistischen Politik, wenn der Krieg gegen den Terrorismus nichts mehr hergeben sollte. Dass ungerechte Reaktionen auf die negativen Folgen des Klimawandels umgekehrt wieder terroristische Akte hervorrufen dürften, steht heute noch nicht zur Debatte. Die Studie widerspricht auch nicht Bushs rigoroser Ablehnung, Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen, da den Verfassern zufolge die "Klimakatastrophe" so nahe bevorsteht, dass eine Prävention ohnehin keinen Sinn mehr macht. Das Klimaproblem unserer Zeit darf weder klein geredet noch maßlos übertrieben werden, sondern ihm muss sich die Welt mit den zu Gebote stehenden Möglichkeiten und Kenntnissen stellen.
Die Pentagon-Studie An Abrupt Climate Change Scenario and its Implications for Unite States National Security ist abrufbar unter: www.greenpeace.org/deutschland
Klimaänderung 2001. Synthesebericht. Hg. vom zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderung (IPCC), Bonn 2002
Prof. Dr. Peter Hupfer war bis 1998 Professor für Meteorologie mit dem Schwerpunkt Klimaforschung an der Humboldt-Univerität zu Berlin. In den neunziger Jahren war er u.a. Mitglied des Klimabeirates der Bundesregierung und bearbeitete Themen zur Diagnostik und den Folgen von Klimaschwankungen. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher zum Klimaproblem.
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