Ein alter Traum

Leuchtturm Der ehemalige Aufbau-Chef Elmar Faber leistet sich in Leipzig einen Edelverlag

Nein, er glaubt nicht, dass "diese wundervolle Erfindung des Menschengeschlechts abdriftet zum puren Informationsträger, zum Show-Element, zum schlichten Papierpaket mit Unterhaltungswert". Gemeint ist das Buch als solches, "eine Kulturleistung und kein Gefäß, aus dem der Mensch belabert wird".
Elmar Faber, Kleinverleger mit großem Namen, thront in einem alten Leipziger Bürgerhaus im Musikantenviertel zwischen deckenhohen Bücherwänden mit bibliophilen Kostbarkeiten aus drei Jahrhunderten und aus eigener Produktion. Als sei er der Urenkel von Friedrich Arnold Brockhaus oder Anton Philipp Reclam persönlich. Einen Hang zu Selbststilisierung und Kokettieren mit dem Größenwahn haben Neider ihm schon immer nachgesagt; Freunden liefert er damit nicht ganz ungern Stoff für gesellschaftlichen Klatsch.
Faber Faber. Ein Edelverlag an historischem Ort, wo man sich auf die glanzvolle Vergangenheit als Hochburg des Gutenbergschen Gewerbes soviel zu Gute hält. Ein kleiner Leuchtturm in der fast erloschenen Buchlandschaft Leipzig. Sie sind nur fünf Leute: Vater Elmar, Sohn Michael, die Frau des Seniorchefs und zwei Angestellte. Im vergangenen Jahr waren sie bei umgerechnet 0,8 Millionen Euro Umsatz angelangt. 1,5 Millionen wollen sie im nächsten Jahr erreichen. Soviel Selbstlob gestattet sich der 67-jährige Prinzipal nach zehn Newcomer-Jahren allemal: "Kurioserweise sind wir damit der größte Literaturverlag in der Buchstadt Leipzig."
Ein Anspruch, den die Statistik schnell relativiert. Von etwa 80.000 Titeln, die der deutschsprachige Raum pro Jahr hervorbringt, macht Faber Faber nur 25 bis 30. Jenseits des jährlichen Leipziger Buchmesseglanzes herrscht verlegerische Tristesse. Heute steht die Stadt, deren Branchenbuch vor dem Zweiten Weltkrieg 405 Verlage auswies, auf Platz 49 in der deutschen Rangliste. Die vielen großen Leipziger Namen von einst - von Reclam über Seemann bis C. F. Peters - haben sich in der Nachkriegszeit in Frankfurt am Main, Stuttgart oder München niedergelassen und nach der Wende eine Rückkehr nie ernsthaft erwogen. Ihre Abwesenheit hebt die Verlagsgründung Faber Faber in den Rang eines Pionierunternehmens.
Niemand sonst, jedenfalls nicht im Osten, wagte sich wie Elmar Faber in die Nische des schönen bibliophilen Buches, "auf die Spielwiese der Schnurrpfeifereien". Es war für ihn wie die rettende Flucht in einen alten Traum. In Leipzig studierte er einst bei Hans Mayer und leitete dann das exportorientierte volkseigene Edelbuchunternehmen Edition Leipzig. Das brachte ihm Kontakte zu gutbetuchter Kundschaft im Westen, die ihm heute zu Gute kommen. In den Achtzigern wechselte er zu Aufbau nach Berlin und brachte es zur Galionsfigur der Ostverleger. Als es an die Privatisierung des Aufbau-Verlages ging, tauchte er in ein Wechselbad. Die Treuhand schlug sich mit ihm wegen der einstigen sogenannten Plusauflagen, für die er jede Verantwortung von sich wies, und mochte ihn nicht auf dem Posten des Geschäftsführers belassen. Verlagskäufer Bernd Lunkewitz, Immobilienhändler und marxistischer Nostalgiker aus Frankfurt am Main, stellte ihn postwendend wieder ein. Was aber nicht gut ging. Der Kommerz drückte auf zwei Temperamente, die sich unter einen Buchdeckel pressen ließen. Als Faber der Edition Rütten Loening einen neuen noblen Zuschnitt zumessen wollte, fragte Lunkewitz schlicht: Wer soll das bezahlen? Faber, mit kapitalistischen Rechenkünsten noch wenig vertraut, aber mit dem Anspruch versehen, "Bücher sind Lebenskunst", erzürnt sich noch heute: "Der wollte lieber Strandkorbliteratur zum wegschmeißen."
Aber das Prinzip Hoffnung hat Elmar Faber, der einst als Germanistikstudent in Leipzig dem Philosophen Ernst Bloch zuhörte, nie aufgegeben. Er prophezeit die Revitalisierung mittlerer und kleinerer Verlage in der Informationsgesellschaft: "Sie können die gesplitteten Interessen der Gesellschaft viel besser bedienen als die Konzerne mit ihrem Einheitsbrei." Die Globalisierungsstrategien der Großen werden laut Faber nicht aufgehen, weil die Kosten, die der Konkurrenzkampf verursacht, sich nicht mehr amortisierten. "Die Großen werden die vereinnahmten Verlage früher oder später zum Verkauf anbieten." Das klingt freilich ein wenig wie Pfeifen im dunklen Keller.
Was ihm selbst blieb, war die Sisyphus-Presse. Zusammen mit Franz Fühmann hatte er das Label 1983 unter dem Dach von Edition Leipzig in die Welt gesetzt: deutsche Erstausgaben bedeutender Autoren im großformatigen Pressendruck, von hervorragenden Buchkünstlern gestaltet, im Bleisatz hergestellt und handgebunden. Auf dem großen Treck in die Marktwirtschaft barg er die Sisyphus-Presse wie ein Flüchtlingskind an seiner Verlegerbrust und päppelte den Pflegling in seiner Berliner Plattenbauwohnung. Sohn Michael, Germanist mit Managerausbildung in Stuttgart, damals 31, richtete das zweite Standbein in einer Leipziger Altbauwohnung ein. Den Vertrieb besorgen sie selbst, packen mussten sie anfangs im Hinterzimmer.
Es war der Abstieg in einen neuen, diskreteren Ruhm. Fabers Bücher sollen, so Juniorchef Michael, "nicht als Wühltischware enden, sondern eine Art Haute Couture der Verlegerkunst in Deutschland abgeben". Nach Kundschaft suchte man von Anfang an eher im betuchten Westen. Zu den Glanzstücken zählen inzwischen die Graphischen Bücher, Erstlingswerke deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts, gedruckt von den Originalstöcken, ausgestattet mit Originalillustrationen, in mehrfach geprägte Leinen gebunden, limitiert auf 999 Exemplare. Christoph Hein (Einladung zum Lever Bourgeois), Günter Grass (Die Vorzüge der Wildhühner), Franz Kafka (Betrachtung), Walter Jens (Das weiße Taschentuch) und andere reihen sich auf einem gemeinsamen Raritätenbord. Daneben die schwergewichtigen Großen Illustrierten Ausgaben wie Max Slevogts 150 Kreidezeichnungen (gedruckt 1927 nur in einer winzigen Auflage) oder Bernhard Heisigs Illustrationen zu Faust I und Faust II. Liebhaberstücke eher für die betuchte Buchkundschaft im Westen. Dantes Göttliche Komödie, illustriert von Juergen Seuß, zum Preis von 298 Mark wurde 6000mal verkauft. Nichts schmeichelt den Neugründern mehr als die Verleihung des "Antiqua"-Preises des Jahres 2000 in Stuttgart. Die Börsenzeitung des Buchhändlervereins sieht das Familienunternehmen in die erste Phalanx der deutschen Kunstbuchverleger aufgestiegen.
Das Gediegene als Plaisir, der Kommerz als Überlebenshilfe, die Erinnerung - nach Jean Paul - indessen als so etwas wie das einzige Paradies, aus dem keiner vertrieben werden kann. Ende der neunziger Jahre wagten Faber Faber den Einstieg in eine retrospektive DDR-Bibliothek: Texte aus den Jahren von 1949 bis 1990, die Lebensgefühle und innere Konfliktlagen im Spannungsfeld eines utopischen Gesellschaftsmusters und der europäischen Entwicklungen dokumentieren, so die Verlagswerbung. Literarische Top-Qualität gilt da nicht als erstes Kriterium. Christa Wolfs Der geteilte Himmel steht neben Altbackenem wie Johannes R. Bechers Aufstand im Menschen, einst Spektakuläres wie Heiner Müllers Der Lohndrücker neben Stillem wie Wolfgang Hilbigs Die Weiber, Feingestricktes wie Christoph Heins Horns Ende neben Unausgereiftem wie Werner Heiduczeks Tod am Meer. Ein abgeschlossenes Literaturgebiet jedenfalls, was auch auf Sammlerinteressen hoffen lässt. 40 Bände wollen Faber Faber durchhalten. Am Ende soll eine neuverfasste "Geschichte der Literatur in der DDR" stehen.
Bei soviel Engagement für das Kulturgut Buch in Zeiten, da der Reißwolf oft das letzte Wort über die Produkte der Konkurrenz spricht, nimmt Elmar Faber gern etwas kultische Verehrung entgegen. Zu seinem 65. Geburtstag vor drei Jahren kamen namhafte Verleger ins Leipziger Rathaus - dabei Siegfried Unseld, Klaus Wagenbach und Gerhard Wolf - und lasen aus Fabers Verlagsprogramm Texte von Lieblingsautoren. Besucht ein namhafter Autor das Verlagsbüro in der Mozartstraße, wird handverlesenes Publikum eingeladen. Dann verwandeln sich die Arbeitsräume in einen literarischen Leipziger Salon. Kaum mehr als einen Steinwurf entfernt plätschert die von ihren Phenolgerüchen genesene Pleiße, die schon klassischen literarischen Spott ertragen musste. "Flach ist mein Ufer und seicht mein Bächlein", skandierten einst Goethe und Schiller in den Xenien, "es schöpften zu durstig / Meine Poeten mich, meine Prosaiker aus". Faber Faber befinden indessen, dass Leipzig noch immer ein geeigneter Ort ist, wo sich aus Dichterworten Verleger-Erfolg schöpfen lässt.

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