Die Biennale von Venedig hat den Filmemachern Jean Marie Straub und Danièle Huillet den Goldenen Löwen für die Karriere verliehen. Kurz darauf, am 9. Oktober, ist Danièle gestorben. Ihr ganzes Leben hat das "schreckliche Paar" (Handke, den Chor aus Antigone zitierend: "Schrecklich? Sonderbar? Ungeheuer? Erstaunlich? Wunderbar? Unfaßbar? Unerschöpflich?") um Anerkennung gekämpft, nicht um Ruhm, sondern für die Sichtbarkeit einer Filmarbeit, die frei sein will von den ökonomischen und ästhetischen Zwängen der Filmindustrie.
Um es gleich zu sagen: Straub/Huillet gehen keinen Kompromiss ein und wollen alles. Sie lehnen den Deal ab, der die Moderne geradezu konstituiert, die den technischen Fortschritt mit Blut erkauft und das Erkennen der E
as Erkennen der Erde mit ihrer Verwüstung. Sie sind nicht bereit, den "kollateralen" Preis zu bezahlen, den der Fortschritt fordert. Sie bleiben Handwerker des Kinos und mit der Halsstarrigkeit einer Antigone ästhetischen und moralischen Gesetzen verpflichtet, die in der Polis ein Ärgernis sind und deren Beachtung in den teuren, industriellen Produktionen nicht zu bezahlen, also "objektiv" unmöglich ist. Gesetz gegen Gesetz. "Im Bereich des Geistes zählt nicht die Menge, sondern die Wahrheit und die schöpferische Leistung", schrieb Karlheinz Stockhausen zum ersten der Straub/Huillet Filme, Machorka-Muff (1962 nach Heinrich Böll). Es folgten Nicht versöhnt oder es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht (1964/1965), die Chronik der Anna Magdalena Bach (1967) und Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter (1968, mit Fassbinder, Schygulla u.A.). Das genügte für eine Einladung auf die Biennale und einen kleinen Weltruhm. Es sind deutsche Filme, gedreht von einem Franzosen, der als Gegner und Deserteur des Algerienkriegs am Ende der Adenauer-Globke-Ära nach Deutschland geflohen war und von einer Französin, die durch die Kantaten von Bach die deutsche Sprache gelernt hat.In der Chronik bringen Straub/Huillet Musik auf die Leinwand, nicht als Begleitung oder Kommentar, sondern als "ästhetisches Material". Genauso wie sie später immer entschiedener Literatur auf die Leinwand bringen und die Malerei von Cézanne. Ihre besondere Konzeption dabei, die Ablehnung von "Verfilmungen", erfordern höchste technische Leistungen, die - immer wieder dieses Paradox der Verarmung! - unter heutigen technischen Bedingungen gar nicht mehr machbar sind. Man denke nur an Schönbergs Oper Moses und Aron (1974, musikalische Leitung: Michael Gielen) mit dem Zusammenklang von Orignalton (unverzichtbar!) im römischen Theater von Alba Fucense und den Aufnahmen im Tonstudio in Wien. Er erforderte ein ebenso komplexes wie rigoroses technisch-ästhetisches Kalkül, in das die Autoren die Sprengkraft des Zufalls einbauten, die Tonspur der Zikaden, der blökenden Schafe und der auf dem harten Stein auftretenden Füße. Antigone (1991) wäre nicht gedreht worden, nicht im Theater von Segesta, ohne einen zähen, halb verkrüppelten Baum zwischen den antiken Steinen. Mystiker sind Materialisten. Cézanne und Hölderlin. Wie Hyperion sich nicht satt hören konnte am Klang der Namen aus der griechischen Heroenwelt, als würde diese von der Sprache zum Leben erweckt, bringen Straub/Huillet in Bild und Ton immer wieder Brecht, Mallarmé, Fortini, Vittorini, Corneille, Kafka, Hölderlin, Pavese und deren aller Fragmente eines kommunistischen Traums. Er bedeutet Bewahrung der Vergangenheit, ihre Entbindung in der Gegenwart, statt ihrer Verheizung als Treibstoff in die Zukunft. Diese Vision teilen die Straubs mit Pasolini, Müller, Beuys und mit den von ihnen geliebten Autoren. Die letzten Filme (Pavese!), in Buti gedreht (dem einzigen Ort, der dem französisch-deutschen-italienischen, empirisch-universalen Regisseurpaar Heimatrecht angeboten hat), bilden eine Trilogie, ein riesiges Werk (2001/2003/2006), das auf uns wartet. Nun ist Danièle tot. In ihren Filmen, sagte sie, gehe es darum, versunkene, verdrängte, verarmte Gefühle wieder möglich zu machen, aus dem Kurs gekommene Tugenden wie Mitleid und die Freundschaft zu allen Lebewesen wieder zu wecken. Wer Danièle kannte, liebte ihr entschieden Unzeitgemäßes und wer sie nicht kannte, mag sie in dieser Schilderung Hyperions entdecken: "Der heilige Friede ihres Herzens, ihre Red und Miene, ihre fromme Scheue, nichts zu entweihen durch übermütigen Scherz oder Ernst, wenn es nur ferne verwandt war mit Schönem und Gutem, ihre anspruchslose Gefälligkeit, ihr Geist mit seinen königlichen Idealen, woran ihre stille Liebe so einzig hing, daß sie nichts suchte und nichts fürchtete in der Welt, jeder Reiz ihrer Bewegung, wo sie stand und ging ...".
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