Allen voran melden sich die Alten zu Wort: die 90jährigen Norberto Bobbio und Piero Ingrao, die fast 80jährigen Rossana Rossanda und Eugenio Scalfari. Ingrao war, solange es eine kommunistische Partei gab, deren kritischer Links außen. Heute bezieht er geradezu Kantsche Positionen der Verteidigung von Verfassung und internationaler Rechtsordnung. Bobbio, bekannt für seine Schriften zu Menschenrechten und Völkerrecht, bekennt plötzlich, die Rechtsfrage sei im Grunde bei diesem Krieg gar nicht wichtig, worauf es ankomme, sei Effizienz. Dazu schreibt Rossanda, die bedeutendste Theoretikerin der Linken, ganz praktisch: »Eine ohnehin zerrissene Region wird durch den Krieg weiter zerrissen, Gewalt und Zerstörung werden weiter potenziert«, also ein Armutszeugnis für Politiker, die effizient human sein wollen. Ob sie das wirklich wollen, fragt sich Eugenio Scalfari, Herausgeber der Repubblica, politisch ein »Liberaler«, und antwortet mit einer eher materialistisch-militärischen Analyse: Die amerikanische Außenpolitik habe sich entschlossen, das schwerfällige Instrument der UNO durch die NATO zu ersetzen, die durch den »Schlag gegen Serbien« unter der Hand reformiert und in ein Instrument verwandelt wurde, um westliche Vorstellungen von Stabilität im Osten durchzusetzen. Der »Schlag« richte sich auch an die Adresse Rußlands und der Ukraine und hat insofern eine Ähnlichkeit mit der Politik Hitlers gegenüber der Tschechoslowakei.
Aber die Generation der 50- und 60jährigen sieht die historische Lektion genau umgekehrt. Nur kein Nachgeben wie damals gegenüber Hitler in München. Barbara Spinelli zitiert Simone Weil, die im April 1939 beklagte, die Verwirrung der Geister sei soweit gediehen, daß auch die intelligentesten die »Verheerungen des Friedens dem Schmerz des Krieges« vorzögen. Reinhold Messner, der durch die Presse geistert, weil er das Geheimnis des Yeti gelüftet hat, bezeichnet diesen Krieg als eine Frage von Glaubwürdigkeit und Moral. Den Pazifismus hingegen hält er für »bloße Philosophie«. Messner wird Spitzenkandidat der Grünen im Norden Italiens auf Kosten eines wissenschaftlich (Biologe) und philosophisch beschlagenen und von der »alten«, grünen Basis getragenen bisherigen Abgeordneten. Es ist auffallend, daß von den in einer »linken Kultur« aufgewachsenen Befürwortern des »Militärschlags« die Argumentation zugespitzt wird auf »Auschwitz und Dachau« und sich das Weltbild reduziert auf die Hitler dieser Welt beziehungsweise auf Ryan und Roosevelt.
Mehr Bewegungsfreiheit erprobt die italienische Regierung mit vorsichtigen Schritten und Gesten. Italien hat seinen Botschafter aus Belgrad nicht abgezogen und italienische Kampfflugzeuge dürfen zum Beispiel keine direkten Angriffe fliegen. Dagegen haben anfänglich einige in ihrer Soldatenehre verletzten Piloten protestiert, und es gab eine Diskussion in der Öffentlichkeit, ob diese Haltung nicht den Mythos von der »Unzuverlässigkeit« Italiens nähre. Die Auseinandersetzung wurde nicht vertieft, weil eine ganz andere Autorität ihr Wort dazu sprach: der Vatikan. Die Präsenz des Vatikans hat die politische Kultur Italiens entscheidend mitgeprägt, in der Vergangenheit im Kampf zwischen Klerikalen und Antiklerikalen, in der Gegenwart durch Bewahrung von Worten wie »Friede«, »Nächstenliebe« und »Humanität«. Religiöser Firnis bietet eine gewisse Garantie gegen Verschluderung und politischen Mißbrauch, denen die laizistischen Begriffe weitgehend erlegen sind. Der Friedensbegriff, den die Mönche von Assisi pflegen und der von ihnen in Verbindung mit anderen Weltreligionen initiierte »Friedenstisch« ist von der NATO schwerlich vereinnahmbar. Natürlich ist der Vatikan nicht immer glücklich über die Initiativen aus Assisi, aber in den Fragen des Friedens und des Dialogs zwischen Religionen und Kulturen besteht in den letzten zwei Jahrzehnten ein grundsätzlicher Einklang. Wenn von hier nun ein Ende der Luftangriffe, die Einschaltung der UNO, die Aktivierung neuer Wege und die Ausschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten gefordert werden, läßt sich das nicht als Werk »weltfremder Ideologen« erledigen. Jedermann in Italien weiß, daß die Kirche durchaus auch von dieser Welt und sich ihrer Macht eher allzu bewußt ist.
Die öffentliche Meinung Italiens lebt also im Widerstreit. Ausdruck davon sind Proteste in Rom und vor den Militärbasen, aber auch Familienausflüge nach Aviano, um beim Picknick den Kindern zu zeigen, was echte Bomber sind. Nähe der Anschauung ist der Einsicht förderlich, sagt der alte Bobbio.
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