41-millionenfache Propaganda

Wahlbild Mit ihrer Sonderausgabe, einen Tag von der Bundestagswahl, versucht die Bild nicht nur mehr Menschen an die Urnen zu rufen, sondern natürlich auch zu manipulieren.

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Saufsprüche und Pathos vom Chef: Propagandaausgabe der Bild, einen Tag vor der Bundestagswahl. (Foto: bildblog.de)

Grauer Vollbart und Hipsterbrille mit dickem, schwarzen Plastikrahmen: Trotz seines Silicon Valley Facelifts bleibt das Grinsen von Kai Diekmann (49) genauso schmierig wie einst seine Frisur, mit Wet Gel nach hinten geklatscht. So grinst der Bild-Chef heute aus 41 Millionen Deutschen Briefkästen. Ungefragt. Einen Tag vor der Bundestagswahl. Natürlich nur, um uns zu zurufen: "Geht wählen!"

Recht hat er zwar. Aber geht es dem Springerblatt wirklich nur darum, die Deutschen an die Urne zu holen? (Das übrigens auf der Titelseite mit Saufsprüchen wie "Prost Wahlzeit! Ab ins Wahllokal!") Natürlich nicht. Die Bild, die sich selbst als unabhängig und überparteilich bezeichnet, ist und bleibt ein reaktionäres Propagandablatt. Wer aufmerksam Diekmanns Leitartikel liest, staunt nicht schlecht. Über die Politik schreibt der Bild-Chef: "Oft fehlt der Glanz, nicht selten de klare Kante." Klare Kante? Es scheint fast, als wolle ausgerechnet Diekmann dem Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten in die Hände spielen. Schließlich ist es Peer Steinbrück, der für sich mit klarer Kante wirbt.

Eine Seite später wird die Sache schon klarer. Prominente stellen Fragen an die beiden Spitzenkandidaten Merkel (CDU) und Steinbrück (SPD). Merkel bekommt 20 Fragen gestellt, Steinbrück nur 16.

Das nur als Klammer: meine Favoriten sind Heino und Christian Ulmen. Ulmen fragt Steinbrück, welcher Planet er gerne wäre. Antwort: "Herr Ulmen, ich bin nicht Captain Kirk, sondern ich will Bundeskanzler werden!" Und Heino, der graue Star der Schlagerwelt, will von SPD-Kandidaten wissen, warum Steinbrück ihm kein Bundesverdienstkreuz geben will. Der Hanseat trocken: "Für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes gibt es Regeln. An die müssen sich alle halten." Warum zum Himmel, will Heino ein Bundesverdienstkreuz? Das wäre, als bekäme Barack Obama den Friedens Nobelpreis. Ach, da war ja was. Klammer zu.

Nach einem erstaunlich ausgewogenen Dreiergespräch mit den Spitzenkandidaten von FDP (Philipp Rösler), Linken (Sahra Wagenknecht) und Grünen (Jürgen Trittin) kommen zwei Altkanzler zu Wort. Auf Seite acht darf Helmut Kohl, darunter Gerhard Schröder. Kohl bleibt grundsätzlich und staatsphilosophisch: "Der Lauf der Geschichte ist keinesfalls vorgegeben [...] Geschichte ist das Ergebnis des Handelns von Menschen". Schröder kritisiert die Regierung, sie habe "versäumt Alternativen deutlich zu machen." Auch hier wirkt es als, sei Kohl mehr Platz eingeräumt worden, als Schröder.

Die Propagandakeule kommt auf den Seiten zehn und elf. Auf der Doppelseite werden 33 Erstwähler zu Wort gebeten. Natürlich wählt die äußerst attraktive Bäckereifachverkäuferin Angela Nikolai (20) auch Angela Merkel. Und natürlich kommt sie als erste zu Wort, oben links auf der Seite. Direkt darunter: Model Justus Eisfeld (21). Dessen Stimme geht wahrscheinlich auch an die CDU. Logisch. Von den 33 Erstwählern auf der Doppelseite tendieren zehn zur Union, acht äußeren sich nur indirekt, sechs wählen SPD, vier die Grünen, zwei FDP und jeweils nur einer AfD, Piraten und Linke. und hier muss man nun genau hinschauen. So vertritt etwa die Linke mit 75 Sitzen im Bundestag gut 12 Prozent des deutschen Parlaments. Das bedeutet: Auf die letzte Bundestagswahl bezogen wären bei 33 Befragten vier Stimmen statt nur einer für die Linkspartei repräsentativ. Der einzige von Bild angeführte linke Erstwähler ist Erbse (21). Und der ist – wie könnte es anders sein – ein arbeitsloser Punk. Das ist bewusste Manipulation. Denn welcher Erstwähler will sich mit einem arbeitslosen Schnorrer identifizieren. Wobei. Die größten Schnorrer in diesem Wahlkampf sind ja eher die subventionsfeindlichen Wirtschaftsliberalen. Stichwort: Zweitstimmenkampa.

Aber zurück zur Linken. Bild könnte natürlich argumentieren, dass laut einer Forsa-Umfrage nur 4 Prozent der Erstwähler die Linke wählen würden. Damit wäre Punker Erbse sogar repräsentativ. Nicht aber die beiden FDP-Wähler. Denn laut Forsa kommen Brüderle und Co bei Erstwählern auf nur zwei Prozent. Bei 33 befragten Erstwähler, wären das 0,66 Personen. Es muss für die Bild wirklich schwer gewesen sein, FDP-Wähler unter 22 Jahren zu finden. Sonst wäre einer von den beiden genannten nicht 39 Jahre alt, der 1993 eingebürgerte Varol Özkara, der nach eigenen Angaben jetzt zum ersten mal Wählen will. Bei der FDP lässt die Bild auch mal fünfe gerade sein. Im Ernst: Wäre die Doppelseite wirklich repräsentativ, würde die FDP auf ihr gar nicht stattfinden. Laut Forsa wollen 19 Prozent der Erstwähler grün wählen. Demnach dürfte Bild ohne Schwierigkeiten auch sechs statt nur vier Erstwähler finden, die sich zur Partei von Jürgen Trittin bekennen. Bei der Bild-Aufstellung wählen übrigens bis auf eine Hipsterstudentin aus Kassel nur Angehörige von Randgruppen die Grünen: ein Knacki, der sich von den Grünen legales Cannabis erhofft – natürlich damit niemand wegen Beschaffungskriminalität sitzen muss (Was hat Beschaffungskriminalität bitte mit Kiffen zu tun, so ein Quatsch. ). Außerdem ein Homosexueller und ein Türke.

So löblich es ist, die Bürger zur Wahl aufzurufen. Erstens ist es nicht Aufgebe der Bild. Zweitens ist das Argument vorgeschoben. Die Wahlausgabe ist ein handwerklich gut gemachtes Unterhaltungsstück. Sie gibt sich überparteilich, versucht jedoch über die Quantität des Gesagten, schwache Parteien kräftiger und starke schwächer erscheinen zu lassen. Das ist einen Tag vor der Wahl und ungefragt an alle deutschen Haushalte zugestellt, Propaganda der übelsten Art. Der Presserat muss reagieren.

Dieser Artikel ist auch auf www.peterknobloch.net erschienen.

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Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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