Die braune Gefahr - Wo bleibt der Aufstand der Anständigen?

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Wo der Staat sich zurückzieht, inszeniert sich die NPD als Kümmerer-Partei. Rechtsextremismus ist häufig Ergbnis sozialer Ungerechtigkeit. Uwe-Karsten Heye fordert Verantwortung von Politik – und Bürgern.

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Freitag-Chefredakteur Philip Grassmann spricht mit Uwe-Karsten Heye im Leipziger Ariowitsch-Haus. (Foto: Peter Knobloch)

Unter dem Motto „Die braune Gefahr – wo bleibt der Aufstand der Anständigen?“sprach Freitag-Chefredakteur Philip Grassmann im Rahmen der Buchmesse „Leipzig liest“ am Donnerstagabend mit Uwe Karsten-Heye im Leipziger Ariowitsch-Haus.

Freitag-Autor Heye war bis September 2010 Chefredakteur der SPD-Parteizeitung Vorwärts. Den meistendürfte er noch als Regierungssprecher unter Gerhard Schröder in Erinnerung sein. Zusammen mit Paul Spiegel und Michel Friedmann gründete er 2000 unter dem Namen „Gesicht zeigen!“ einen Verein gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.

Als es nach 2000 zu Brandanschläge auf Synagogen und Asylbewerberheime kam, erinnerte sich Uwe-Karsten Heye zurück, haben vor dem Brandenburger Tor rund 20 000 Demonstranten ein Zeichen gegen rechte Gewalt gesetzt. „Ich hab so etwas vermisst bei der aktuellen Mordserie. Vielleicht waren wir zu betäubt von der Unfassbarkeit der Taten“, sagte Heye im Gespräch, das im Rahmen der Messe-Serie „Jüdische Lebenswelten“ stattfand.

Die Gegenüberstellung von Anständigen und Unanständigen gefällt Heye allerdings nicht. „Jeder Mensch wird in sich Abwehrhaltungen gegenüber Fremden finden“, gestand der einstige Redenschreiber von Willy Brandt. Es sei nicht leicht, sich an Fremdheit zu gewöhnen. Oft empfindet man die gewonnene Vielfalt aber später als Bereicherung. Was den Widerstand gegen Rechts angeht, könne jeder etwas tun, meinte Heye. Kein Geld, nur eine klare Haltung sei dafür erforderlich. Die Verantwortung liege zwar auch bei der Politik. Aber „ ohne zivilgesellschaftlichen Widerstand werden wir das Problem nicht lösen“, glaubt Heye.

Der aktuelle Aktionismus der Bundesregierung zeigt deutlich: „Die Politik steht unter Handlungsdruck“, konstatierte auch Chefredakteur Grassmann. Nun haben sich selbst die Innenminister der von der Union regierten Bundesländer für einen Abzug der V-Leute aus der NPD ausgesprochen. Man könnte glauben, damit sei die staatliche Blindheit auf dem rechten Auge Vergangenheit.

Extremismus von Rechts ist etwas anderes

Das glaubt Heye nicht. Mit Blick auf das vergangene Jahrzehnt sagte er: „In der gesamten Architektur der inneren Sicherheit“ von Polizei bis Verfassungsschutz sei nicht ein Ermittler auf die Idee gekommen, die Täter in der Mord-Serie des NSU in der Rechten Szene zu suchen. Stattdessen hatte man die Mörder im Umfeld der Opfer vermutet – und die Familien zusätzlich zur Trauer gedemütigt. Aufgeflogen sind die in Zwickau untergetauchten Mörder nur durch Zufall, nicht etwa durch staatliche Ermittlungen.

Heye sieht ein großes Problem darin, dass „man unter Konservativen“ Extremismus von Links und Rechts gleich behandele. Dabei gebe es wesentliche Unterschiede. Bereits vor dem Auffliegen der Zwickauer Zelle war bekannt, das seit der Wende 147 Menschen durch rechte Gewalt zu Tode gekommen waren. Die Zahl war von Journalisten recherchiert worden. Nach dem Schock im November scheinen plötzlich alle die Gefahr von Rechts zu erkennen, dabei waren die Zahlen längst bekannt. Die Bundesregierung allerdings kommt selbst jetzt noch auf nur 58 Todesopfer.

„Wie dieser Unterschied zustande kommt, ist ein Teil dessen, womit wir es zu tun haben,“ gab Heye zu bedenken. „Auch der Polizeiapparat unterschiedet sich nicht von der normalen Gesellschaft“. In Deutschland sei jeder fünfte Bürger gefährdest, sich von autoritären beziehungsweise rechtsextremen Argumenten überzeugen zu lassen, das habe eine Studie belegt. Hinzu kämen zahlreiche Belege für institutionellen Rassismus.

„Wir haben Rassismus in vielen Spielarten zu bewältigen“, glaubt Heye. „Wer ist eigentlich integrationsunwillig oder -unfähig?“ Eine Umfrage habe ergeben, dass 48 Prozent der Menschen in den neue Ländern finden, man könne Ausländer nach Hause schicken, wenn es dem heimischen Arbeitsmarkt schlecht geht. Das entspreche exakt dem Programm der NPD.

Integration könne nicht immer nur auf die Menschen projiziert werden, die zu uns kommen. „Die wirkliche harte Arbeit besteht darin, dass wir uns selber befragen müssen, wo wir die Grenze ziehen, warum wir die Grenze genau dort ziehen und wieso wir so viel Angst vor dem Fremden haben“, sagte Heye.

Letzte Sozialstation NPD

Im Osten Deutschlands sieht Heye das interessante Phänomen einer „Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer.“ Man dürfe zwar nicht so tun, als ob Rechtsextremismus ein reines Ostproblem sei. Denn wie sich bei den Festnahmen in dieser Woche gezeigt hat, ist die Gefahr im Westen nicht kleiner. Aber dennoch müsse man sich fragen, warum die NPD gerade in den neuen Ländern so viel Potential hat, Anhänger zu rekrutieren. Schließlich ist die NPD ist in zwei Landtagen vertreten: In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Philip Grassmann fügte hinzu, in manchen Wahlkreisen Mecklenburg-Vorpommerns habe die Unterstützung für die NPD bei den letzten Wahlen bei 40 Prozent gelegen.

Wo der Staat sich aus seiner Fürsorglichkeit zurückzieht, kommt die NPD, so das Fazit der beiden. Das habe selbst die Kanzlerin konstatiert, erinnert sich Heye: Nach dem Bekanntwerden der NSU-Morde hat sie sich für die Schande entschuldigt. Sie habe aber auch zugegeben, dass es Regionen gibt, wo es an Veranstaltungen nur die Sommerfeste der NPD gebe. Dort sei die letzte Sozialstation die NPD. Mit anderen Worten: Wo soziale Gerechtigkeit fehlt, keimt der Rechtsextremismus. Und genau an der Stelle, meint Heye, müsse die Politik anfangen, die Fehler zu suchen.

Die Neonazis profilieren sich in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, schwacher Infrastruktur und wenig Nachwuchs als Kümmerer. Schulen werden geschlossen, Kultureinrichtungen machen dicht. Wer kann, wandert ab. Das schwächt das Potential für zivilgesellschaftliches Engagement. Zurück bleiben oft diejenigen, die nicht bewegungsfähig sind. Sie sind anfälliger für Rechtsextremismus, weil sie sich oft selbst als Opfer fühlen.

Ein anderer möglicher Grund sei die fehlende Aufarbeitung der Nazivergangenheit im Osten. Man habe die Nazis in der DDR von ihren Posten verjagt, das hat sie aber nicht zu guten Sozialisten gemacht. Zurück blieben gefrustete Altnazis, die ihre hasserfüllte Ideologie an die jüngere Generation weitergegeben haben.

Diese Räume lassen sich nur schwer kulturell zurückgewinnen. Es braucht Sozialarbeiter und Pädagogen. Das kostet Geld, aber nichts zu tun, kostet noch mehr Geld.

Im Gespräch mit Lehrern von Schulen, die besonders viele Rechtsextreme unter ihren Schülern haben, hat Heye die Erfahrung gemacht, dass das Kollegium hier häufig schweigt, weil es fürchtet, dass eine Schule mit einem Rechtsextremismusproblem in einer demografisch schwachen Regionen als erstes geschlossen wird.

Philip Grassmann fragte Uwe-Karsten Heye auch, wie er die Extremismusklausel des Familienministeriums bewertet. Als Staatsminister hat er selbst einen Eid „auf unsere großartige Verfassung“ geschworen. „'Die Würde des Menschen ist unantastbar', besser kann einer Verfassung nicht anfangen“, begeisterte sich Heye. Er lehnt es aber entschieden ab, zur „Gesinnungsschnüffelei“ angehalten zu werden. Außerdem: Wenn er ein Projekt gegen Rechtsextremismus anmeldet, trägt der Bund die Hälfte der Kosten. Projekte gegen Linksextremismus fördere der Bund hingegen zu 90 Prozent. „Wer es ernst meint, mit der Auseinandersetzung gegen den Rechtsextremismus,“ sagte Heye, „der kann das nicht dulden.“ Recht hat er.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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