Kolumne #12: Die Mär vom Dominoeffekt

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Was zwei Jahre lang als großes Horror-Szenario galt, ist plötzlich kein Problem mehr: Der berühmte Dominoeffet im Euroraum. Plötzlich können wir die Griechen zum Teufel jagen, ohne uns die Finger schmutzig zu machen. Warum? Wir haben uns an den Gedanken gewöhnt. Natürlich!http://www.peterknobloch.net/images/bilder/domino_bernhard_rose.jpg

(Foto: Bernhard Rose)

Die Mär vom Dominoeffekt ist gefallen. Man musste sie so lange am Leben halten, bis die Finanzindustrie vor dem großen Knall in Deckung gehen konnte. Nachdem sich Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) bereits vor mehr als zwei Wochen für einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone aussprach, folgte ihm am Samstag Innenminister Hans-Peter Friedrich. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung haben auch Finanzminister Wolfang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) den Glauben an die Griechenlandrettung verloren.

Dabei soll der Bundestag Montag über das zweite „Rettungspaket“ für Griechenland abstimmen. Die Kanzlerin, SPD und Grüne stehen immer noch voll hinter dem Kredit von 130 Milliarden Euro. Unterdessen steuern Friedrich & Co gegen die Kanzlerin auf Schäffler-Kurs. (Falls Sie es vergessen haben: Frank Schäffler, das war der FDP-Rowdy mit der dicken Nerd-Brille, der den Griechen von Anfang an nicht helfen wollte und über den FDP-Hoffnungsträger Christian Linder stolperte und stürzte.) Jetzt soll es also auf einmal Okay sein, wenn die Griechen aus dem Euro fliegen. Aber was ist mit dem befürchteten Dominoeffekt auf Länder wie Portugal, Irland, Spanien und Italien?

Davon soll keine Rede mehr sein. „Auch mit diesem Gedanken haben sich die Finanzmärkte lange auseinandergesetzt“, sagte Friedrichs bayrische Vorhut Markus Söder auf Cicero Online. Es bestehe ein großer Unterschied zwischen Griechenland und anderen Euro-Staaten, die genügend Sparanstrengungen unternähmen und diese auch umsetzten, so Söder. Jetzt auf einmal merken es alle: Griechenland ist ein Sonderfall. Irland, Spanien und Portugal hatten bis zur Finanzkrise 2008 ihren Haushalt einwandfrei gefühlt. Erst die Bankenkrise stürzte diese Staaten in die Krise. Der Begriff der Staatsschuldenkrise ist für diese Länder eine glatte Lüge.

Söder erklärt das natürlich anders: „In Italien werden Reformen beschlossen, Portugal spart und bemüht sich, Irland hält seine Pläne ein.“ Davon, was diese Länder wirklich an den Abgrund gedrängt hat, ist natürlich keine Rede.

„Das einzige Land, das de Facto keinen Zentimeter voran kommt, ist Griechenland“, sagte Söder. „Die Finanzmärkte sehen es, der IWF sieht es. Auch Jean-Claude Juncker, der nun wirklich unverdächtig ist, ein Feind Europas und auch kleinerer Länder in Europa zu sein, teilt diese Ansicht.“ Wegen des Gewöhnungseffekts gebe es keine Panik an den Börsen, „wenn über eine Insolvenz Griechenlands geredet wird“, so Söder.

Aha. Ein Gewöhnungseffekt reicht also und all die Ängste vor dem bösen Dominoeffekt sind wie von Zauberhand verschwunden? „Ich glaube im Gegenteil, dass es die Finanzmärkte auf Dauer honorieren würden, gäbe es eine klare Trennung“ Daran besteht kein Zweifel. Natürlich würden die Finanzmärkte den Rausschmiss Griechenlands feiern. Denn wenn Söder von Gewöhnungseffekt spricht, meint er in Wahrheit, dass die ominösen Märkte genug Zeit hatten, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Griechenlands wertlose Staatsanleihen liegen zum Großteil längst bei der Europäischen Zentralbank. Die Party kann weiter gehen. Friedrich hat den Schampus kalt gestellt.

„Wir haben mit den Rettungsschirmen auf jeden Fall Zeit gewonnen,“ sagt Söder. So so. Die Frage ist: Wer ist wir? Und Zeit wofür? Man kann es sich denken.

Der dauernde Krisenzustand und seine Argumentationsgrundlage erinnert schon längst an Georg Orwells Dystopie 1984. Darin befindet sich Ozeanien im Krieg mit Eurasien. Der Verbündete ist Ostasien. Der dauernde Krieg rechtfertigt jedes Mittel. (Heute würde man sagen: Politische Entscheidungen sind alternativlos.) Und plötzlich, von einem Tag auf den anderen, wird Freund zu Fein und Feind zu Freund. Ozeanien ist nicht mehr im Krieg mit Eurasien, sondern mit Ostasien – und es ist natürlich immer schon so gewesen. Bald werden wir immer lauter hören: Griechenland ist ein Sonderfall – immer schon gewesen. Den einst so angsteinflößenden Dominoeffekt wird man auch vergessen. Kann man auch, er hat seinen Dienst getan. Aber bis dahin sind vielleicht schon die Regierung Merkel, Griechenland und der Euro an den vielen Widersprüchen zerbrochen. Die Wirklichkeit ist eben doch keine Dystopie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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