Kolumne #15: Wir sind Präsident – und auf dem rechten Auge blind

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Joachim Gauck ist Präsident. Er ist der falsche. Nicht nur wegen Occupy, Sarrazin, Hartz IV etc. Es ist sein Umgang mit dem Holocaust.

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Bundespräsident Gauck ist sicher kein Pirat, aber auf dem rechten Auge blind.
(Foto: Das blaue Sofa; nachbearbeitet)

Joachim Gauck ist aus vielerlei Gründen der falsche Präsident für Deutschland. Die Liste ist lang: Occupy, Sarrazin, Hartz IV, Vorratsdatenspeicherung, Afghanistan, Islam – so lauten die Schlagworte, zu denen der ehemalige evangelische Pastor und Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde für viele die falsche Position bezieht. Zwar waren die Angriffe auf Gauck in der Argumentation – genauso wie meine Liste – oft stark verkürzt, doch in der Sache richtig.

Bestes Beispiel ist Gaucks Haltung zu Thilo Sarrazin: Einerseits attestierte er Sarrazin Mut, andererseits distanzierte er sich von dessen biologistischen Thesen. Mutig sei Sarrazin, so Gauck, weil er im Unterschied zu vielen Politikern nicht aus Angst und übertriebener politischer Korrektheit – ein typischer Begriff der Rechtspopulisten von PI – davor abschrecke, über real existierende Probleme zu sprechen. Mut ist ja eine feine Sache. Und ja, man muss über das Zusammenleben zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in Deutschland sprechen dürfen. Doch bitte konstruktiv. Denn Mut allein ist noch keine Tugend. Mit seinem Mut, sich zu als Rassist zu outen, hat der SPD-Mann keinen gesellschaftlichen Mehrwert geschaffen, zum Beispiel eine Debatte oder einen Dialog an zustoßen. Vielmehr hat er Hass und Hetze beflügelt, die bis heute wirken und zum Beispiel den Kurs des Innenministers und seinen Umgang mit Muslimen bestimmen.

„Wir sind Präsident“ titelte nach Gaucks Nominierung durch die große Koalition gegen die Linke nicht etwa Springers Welt oder Bild, sondern die Junge Freiheit (JF) – Sprachrohr der neuen Rechten, die gerne darüber lamentiert, dass NPD-Mitglieder vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden. Das Gauck-Titelblatt der JF verwendeten auch die Herausgeber des Buches „Ein Super-GAUck“, das am 14. März bei Edition Critic erschienen ist. Um mit Sarrazin zu sprechen: Nein, ich habe das Buch nicht gelesen. Dafür aber einen bis zwei Artikel aus dem Buch: einen von Wolfgang Wippermann und einen von Efraim Zuroff. (Bei letzterem kann ich nur vermuten, dass es der Artikel aus dem Buch ist. Gelesen habe ich ihn auf taz.de.)

Also, wie kommt ausgerechnet ein rechtspopulistisches Blatt wie die Junge Freiheit dazu, Gauck, den Kandidaten von SPD und Grünen, als den ihren zu verehren? Wippermann und Zuroff kommen auf unterschiedlichen Wegen zum selben Schluss: Der passionierte Anti-Kommunist Gauck rückt die Verbrechen des Kommunismus in erstaunliche Nähe zu denen des Nationalsozialismus.

Nach Wippermann zeigt das Gauck vor allem in seiner Wortwahl. Gauck will „Aufarbeitung“, „keinen Schlussstrich“ ziehen, einen „therapeutischen Prozess“ und aus der Geschichte „lernen“. Diese Rhetorik sei exakt „der Sprache entnommen, die bei der Aufarbeitung der Geschichte des Dritten Reiches verwandt worden ist“, schreibt Wippermann.

Efraim Zuroff, Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, sieht dieses Problem vor allem in Joachim Gaucks Unterzeichnung der sogenannten Prager Erklärung. Zuroff referiert: „Die Prager Erklärung wurde am 3. Juni 2008 veröffentlicht und von 27 – hauptsächlich osteuropäischen – Politikern, Intellektuellen und antikommunistischen Aktivisten unterzeichnet.“

In der Erklärung, die Zuroff nicht ganz korrekt zitiert, heißt es, dass „Europa erst dann vereint sein wird, wenn es imstande ist, zu einer gemeinsamen Sicht seiner Geschichte zu gelangen, Nazismus, Stalinismus und faschistische sowie kommunistische Regime als gemeinsames Erbe anerkennt und eine ehrliche und tiefgreifende Debatte über deren Verbrechen im vergangenen Jahrhundert führt.“ Zuroff sieht in der Erklärung einen Versuch, Kommunismus und Nationalsozialismus in ihrer Grausamkeit gleichzusetzen. Sie übersehe den präzedenzlosen Charakter des Holocausts, ignoriere den Unterschied zwischen den Nazis, die Menschen wegen ihrer Herkunft vernichtet haben, und dem „kommunistischen Gegenstück, dessen Opfer primär auf Grundlage ökonomischer und politischer Faktoren identifiziert wurden.“

Zuroff sieht die Gefahr, dass eine solche Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus die Aufarbeitung der Verbrechen gegen Juden in Osteuropa verhindert. Die KPs dieser Länder haben, wie ich glaube, mit ihrem plakativen Antifaschismus den Umgang mit faschistischen Verbrechen in Osteuropa erdrückt und für vier Jahrzehnte unter den Mantel des Schweigens gehüllt. Ähnliches geschah in der DDR. Nazi-Funktionäre wurden von ihren Posten geworfen und fertig. Mehr Aufarbeitung als das Bekenntnis zum Antifaschismus gab es nicht. Zurück blieben frustrierte Altnazis, die ihre hasserfüllte Ideologie im unpolitischen Raum an die nächsten Generationen weitergeben konnten. Was Osteuropa betrifft, sehe ich wenig Hoffnung dafür, dass etwa in Ungarn oder Rumänien noch etwas an der Schoah (dem Völkermord an den Juden) aufgearbeitet wird. In beiden Ländern haben auch Teile der Bevölkerung aktiv mit gemordet. Aber mit Blick auf die fehlende demokratische Kultur – in der Bevölkerung wie bei den Institutionen – und stark ausgeprägtem Antisemitismus, oft von Kapitalismus-Frust genährt, und der voranschreitenden Zeit, glaube ich nicht, dass da noch etwas kommt.

Natürlich, der Holocaust war zweifellos das grausamste Verbrechen, dass jemals an einem Volk begangen wurde. Es ist allerdings ein Verbrechen, das die Menschheit als ganzes begangen hat, nicht eine einzelne Nation.

Zuroff schreibt: „Mit der Erhöhung kommunistischer Verbrechen zum Genozid (..) erhoffen sich die Unterzeichner der Prager Erklärung, den Blick vom Massenmord an den Juden auf das Leid der Osteuropäer während des Jochs des Kommunismus zu lenken, und wandeln dabei Täternationen zu Opfervölkern um.“

Gibt es reine Täternationen beziehungsweise Opfervölker? Kann es nicht sein, dass man gleichzeitig Opfer und Täter ist? Da kommt mir ein einfaches, aber wie ich finde wahres „vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldiger“ in den Sinn. Eine einfache Kategorisierung in Gut und Böse, kann nur zu kurz greifen.

Wie Zuroff ja selbst referiert, haben nicht alleine Deutsche mit gemordet, sondern auch Mitglieder anderer Nationen. Natürlich trägt Deutschland im Bewusstsein seiner Geschichte als Nation die größte Verantwortung – auch bis in meine Generation hinein. Nicht aber die Schuld. Schuld kann nur derjenige haben, der mordet, den Mord zulässt oder ihn später verleugnet oder verschweigt. Eine ganze Nation kann nicht bis in die letzte Generation an etwas Schuld sein. Es gibt keine deutsche Erbsünde, nur eine deutsche Verantwortung, die vererbt wird. Die Verantwortung, dass ein solches Verbrechen nie wiederholt wird. Eine deutsche Erbsünde am Holocaust würde etwas rassistisches impizieren. Hans Magnus Enzensberger schrieb in einem Essay sinngemäß, man tue so, als liege den Deutschen das Böse im Blut. Um es einmal weiter zu spinnen: Wer das tut, argumentiert auf Grundlage von Rasse und Vererbung, wie jemand der sagt, den Juden liege die Gier im Blut oder den Roma das Stehlen. Nein. Richtig ist: Allen Menschen liegt das Böse und die Habgierige genauso im Blut, wie das Gute und die Großzügigkeit.

Die Schoah – ich wiederhole – war der größte Völkermord in der Geschichte der Menschheit. Juden waren das Hauptangriffsziel der Nazis und ihrer Kollaborateure. Aber im Holocaust starben neben Juden auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte, Kommunisten und andere Regimegegner. Der Tod in der Gaskammer machte sie gleich – unabhängig von ihrer Herkunft. Diese Opfer des Holocaust werden häufig unter den Tisch gekehrt. Wolfgang Wippermann hat über den Umgang der Bundesrepublik mit Sinti und Roma einen hervorragenden Artikel geschrieben. Diese in Europa immer noch extrem ausgegrenzte und von der Mehrheit verhasste Minderheit hat anders als jüdische Holocaustopfer so gut wie keine Entschädigung durch die Bundesrepublik erfahren. „Zigeuner“ galten auch nach dem Krieg einfach als Asoziale. Ihre menschliche Würde schien weniger unantastbar, als die anderer Genozid-Opfer.

Und auch der Stalinismus hat zweifelslos Millionen Menschen das Leben gekostet. Aber der Holocaust bleibt ein unvergleichbarer Fall. Dass ein ranghohes NSDAP-Mitglied wie Kurt Georg Kiesinger es zum Kanzler in der Bundesrepublik schaffen konnte und die Stasi-Unterlagenbehörde über zehnmal so viele Mitarbeiter verfügte, wie die „Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen“ in Ludwigsburg, macht eines wieder deutlich: Deutschland ist auf dem rechten Auge blind. Noch immer werden vom Bund Projekte gegen Linksextremismus mit 90 Prozent gefördert, Projekte gegen rechts hingegen nur mit 50 Prozent. Dass so etwas in Deutschland möglich ist, ist mir unbegreiflich. Es ist ein deutliches Syndrom der rechten Blindheit. Und diese Blindheit verkörpert kein geringerer als der neue Bundespräsident, Joachim Gauck. Bleibt zu hoffen, dass der Kommunistenjäger Gauck auch deutliche Worte zum braunen Terror der NSU findet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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