Kolumne #20: Dr. Dre spielt Gott

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► Seit 15 Jahren tot, erschien Rap-Legende 2Pac vor einem Publikum in Kalifornien – als digitale Marionette. Der Strippenzieher dahinter ist selbst eine Legende. Doch sein Lebenswerk ist in Gefahr.

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Tupac Shakur, dreifach Sinnbidlich: Ein Wiederauferstandener trägt Jesus um den Hals und öffnet die Arme zum Kreuz

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„What the fuck is up, Coachella“, rief Rapper 2Pac ins Publikum. Zusammen mit seinem Homie Snoop Dogg an seiner Seite performte die West-Coast-Legende vergangenen Sonntag beim Coachella Festival in Kalifornien den gemeinsamen Hit „2 of Amerikaz Most Wanted“. Das kuriose daran: Tupac Amaru Shakur ist seit 1996 tot, das Festival wurde erst 1999 ins Leben gerufen.

2Pac erschien als Hologramm auf der Bühne. Und wie zu Lebzeiten hing ein riesiges Kreuz um seinen Nacken. Zwar gehört ein glitzerndes Riesenkruzifix zur modischen Grundausstattung eines jeden Gangsterrappers, auch und vor allem durch Tupac. Doch hier wirkt es sinnbildlich, fast als wäre er als Hiphops-Heiland auferstanden, um das Rap-Genre von seiner Erbsünde zu befreien; seinem Hang zu Eitelkeit, Banalität und Gier. Klar. Nicht, dass 2Pac nicht auch überaus leidenschaftlich gezeigt hätte, wie viel Kohle er scheffelte – ganz klassisch zu hören auf „Picture Me Rollin“.

Doch was Elvis Presley für Rock’n’Roll war, das ist 2Pac für Hiphop. Der Mann hatte eine dermaßen kraftvolle Erscheinung, Stimme und Aura, dass sie ihm sein früher Tod zum Märtyrer machte, ihm den Status als Legende im Mount Richmond des Hiphop verlieh. Und wie um Elvis Tod rangen auch um seine Ermordung allerlei Verschwörungstheorien. Doch das hier aufzuarbeiten, wäre zu viel des Guten.

Auf die Idee, 2Pac von den Toten zu erwecken, kam jemanden, den man mit Fug und Recht als wahren Schöpfer bezeichnen kann: Dr. Dre. Für Hiphop-Kenner ist er so etwas wie der Liebe Gott. Der inzwischen 47-Jährige Andre Young ein Macher. Ohne ihn gäbe weder Eminem, noch Snoop Dogg. Und auch die Karriere von 2Pac hat der Doktor mit seinen G-Funk Instrumentalen massiv beflügelt. Das bekannteste Resultat ist Party-Klassiker „California Love“

Für die Wiedergeburt von 2Pac, seine Mutter hatte ihn nachträglich nach dem letzten Herrscher der Inka, Túpac Amaru, benannt, holte sich Young James Camerons‘ Effektschmiede Digital Domain an seine Seite. Die Technik dahinter ist zugleich alt und neu.

Auf die Idee, ein Objekt als Hologramm vor einem Publikum zu präsentieren, war John Henry Pepper bereits 1862 gekommen. Die Technik von „Pepper´s Ghost“ ist simpel. Das Objekt wird im Grunde genommen schlicht auf Glasfläche gespiegelt. Zu Beginn vor allem von Magiern und im viktorianischen Theater eingesetzt, erlangte der Hologramm-Effekt zum Beispiel in der Star Wars Berühmtheit. Wobei. Streng genommen, ist es kein Hologramm, also eine dreidimensionale Wiedergabe. Es ist mehr die zweidimensionale Wiedergabe einer dreidimensionalen Aufnahme. Alles klar?

Neu ist allerdings, dass das 2Pac-Hologramm nicht etwa auf die Aufzeichnung eines früheren Auftritts zurückgreift. Pacs Coachella-Auftritt hat es so nie gegeben, er wurde komplett neu animiert. Vier Monate lang ließen die Effekt-Künstler Archivmaterial neu berechnen und animierten daraus Gestik und Mimik, natürlich alles unter der strengen Beobachtung von Alt-Meister DRE.

DRE ist so etwas wie ein Midas des Hiphop. Was er auch angefasst hat, es wurde zu Gold. Und so schoss der Aktienkurs von Digital Domain nach der Renaissance des Makaveli, wie sich Tupac auch nannte, in die Höhe.

Und das Potential ist groß. DRE überlegt das Tupac-Hologramm mit auf Tour zu nehmen. Dass sich mit Kult, Mythos und Musik von verstorbenen Popikonen Millionen verdienen lassen, hat zuletzt der Hype um Michael Jackson gezeigt. Ob das nicht respektlos gegenüber den Toten ist, darüber lässt sich trefflich streiten. DRE hat sich jedenfalls zuvor den Segen bei der Mutter des Verstobenen abgeholt. Die äußerte sich begeistert, so wie bislang bei den meisten Versuchen ihren Sohn kommerziell reanimieren. Und Onkel Young zeigte sich ja auch großzügig. Er überwies ihrer Tupac Amaru Stiftung eine saftige Spende.

Dr. DRE beherrscht das Spiel mit dem Mythos. Einer um seine eigene Person ist ein Hiphop-Evergreen. Seit seinem zweiten Studioalbum „2001“, das wie sein Solo-Debüt „The Chronic“ als Rap-Meilenstein verehrt wird, wartet die Szene auf eine Fortsetzung. Und der Name Detox kursiert bereits seit 2004.

Seit Jahren lässt DRE nennt immer wieder Erscheinungstermine, um sie wieder platzen zu lassen. Nach so vielen Jahren ohne eigenen Output vermuten viele, das Album kann nur noch eine Enttäuschung werden. An der Befürchtung ist etwas dran. Von den Aufnahmen sind bereits drei Songs des unveröffentlichten Detox durchgesickert.

Eines Davon trägt den Titel „I Need a Doctor“. Das zentrale Thema: Wiederauferstehung; in diesem Fall die von DRE selbst, inszeniert in einem Hollywood-artigen Videoclip.

DRE blickt aufs Meer. Er denkt nach, sieht Bilder aus der Vergangenheit vor sich. Aufnahmen aus seiner Zeit als DJ bei der World Class Wrecking Crew. Im Hintergrund rauscht die Brandung. Vor seinem inneren Auge erscheinen Schnipsel aus NWA-Clips, Bilder wie DRE und Eminem im Studio sitzt, kopfnickend produzieren. Noch ein Blick auf den Ozean. Es folgen Bilder aus dem Privatleben von Andre Young, Heirat und Kinder. (Young hat einen von zwei Söhnen verloren). Dann steigt der Hiphop-Multi in einen schwarzen Ferrari, rast die kalifornische Felsküste entlang. Er bringt den 12-Zylinder zum Heulen, der Tacho dreht auf. Doch trotz des Tempos, die Bilder wollen nicht verschwinden, Bilder von Tupac, Snoop, NWA, Eminem, Nate Gogg (ebenfalls im G-Funk-Himmel). Die Bilder überschlagen sich und plötzlich überschlägt sich auch der Sportwagen.

Stille. Man sieht DRE auf einer Liege, angeschlossen an Schläuche und Kabel. Sein Zögling Eminem hält den Altmeister künstlich am Leben. Eminem rappt auf seinen reglosen Mentor ein, dass er ihm sein Leben verdanke, und beschwört ihn zurückzukehren. (Sängerin Skylar Grey, die den Refrain singt, tauch in dem Video interessanter Weise als Hologramm auf). In der zweiten Strophe beginnt der Totgeglaubte zu zucken – natürlich im Finger, als spiele er auf einem Piano. Doch DRE muss wieder bei Null anfangen, laufen lernen und natürlich – trainieren: Situps mit einem Medizinball, Workout an der Hantelbank und Klimmzüge. So bekommt der Zuschauer nebenbei die enormen Muckies des 47-Jährigen zu sehen.

Alles schön und gut. DRE ist ein Stehaufmännchen. So wie einst 2Pac und 50 Cent. Wie Fitty (so seine genuschelte Aussprache) hatte auch 2Pac einen ersten Mordanschlag überlebt. 50 Cent hatte neun Kugeln geschluckt, 2Pac fünf. Beide haben danach offen mit ihrer Image als Märtyrer gespielt. Pac hat mehrfach seine Gegner provoziert, über seinen möglichen zweiten Anschlag gerappt und gedroht, sich zu rächen.

Den zweiten Anschlag hat er nicht überlebt. Erschossen im Hiphop-Krieg zwischen Ost- und Westküste, dem wenige Monate später auch Pac’s ehemaliger Freund und späterer Erzfeind The Notorious B.I.G. zum Opfer fiel. Auch er war eine schillernde Legende.

Während 2Pac mit 25 Jahren den Märtyrer-Tod starb, wechselte Fitty vom Hiphop-Game in die Geschäftswelt – und landete in der musikalischen Versenkungen. Zurecht, mag man sagen. Denn musikalisch und lyrisch hätte der nuschelnde Curtis Jackson es nie mit dem Charisma eines Tupac Shakur aufnehmen können. Fitty scheint’s nicht zu jucken. Er hat sich die Villa von Ex-Boxer Mike Tyson gekauft. Wie er in einem älteren Interview sagte, betrachtet er sich ohnehin eher als „Hustler“, denn als Musiker, ganz nach dem Motto: früher Crack-Dealer, heute Geschäftsmann.

Doch bei DRE ist es anders. Er ist bereits eine lebende Legende. Und er ist ein passionierter Perfektionist. Mit Detox steht sein Lebenswerk auf dem Spiel. Das Album hätte in den Nullerjahren gut erscheinen können. Hits produzierte DRE zu der Zeit am laufenden Band, nicht jedoch für Detox, sondern für junge Künstler wie 50 Cent. Nachdem er ihn entdeckt hatte, so besagt es die Legende, soll er ihn für eine Millionen Dollar in Bar, in einem Koffer überreicht, zu seinem Label Aftermath geholt haben.

Und auch Andre Young ist nicht nur als Komponist, sondern als Geschäftsmann begnadet. Während sich sein Meisterwerk „2001“ 7,2 Millionen Mal verkauft hat, konnte er aus einem mittelklassigen Rapper mit echter Gangstervergangenheit, wie 50 Cent einer ist, ganze 25 Millionen Plattenverkäufe kitzeln. Doch so verpulverte er auch seine letzten musikalischen Glanzstücke für Hits wie „In da Club“. Zwar lassen DRE’s Produktionen ab und an noch etwas von seiner Majestät durchblitzen, so etwa auf Eminems Comeback-Album Relapse. Doch für einen letzten Meilenstein, wie es seien Vorgängeralben waren, scheint ihm die Kraft zu fehlen.

Viel frisches Blut hat sich der „Blackula“, wie er sich in „Keep Their Heads Ringing“ nannte, in seine Katakomben geholt. Massenweise sind sie in die Labore von Aftermath gepilgert, um davon zu berichten, wie beeindruckend es war, den Doktor beim Operieren zu sehen. Doch was immer dann an die Oberfläche tratt, es war mittelklassig bis enttäuschend.

DRE lebt vom Äther junger Künstler. Das war schon immer so, selbst zu NWA-Zeiten. Er ist der Schöpfer. Ein berechnender Meister mit objektivem Blick fürs Ganze. Einer, der alles zusammenbringt. Vielleicht haben die jungen Künstler zu viel Ehrfurcht vor ihm, erstarren vor seiner Gestalt, seiner fast schon mystischen Größe.

Vielleicht ahnt DRE aber auch, dass er seine eigene musikalische Wiederauferstehung nicht mehr erleben wird. Und vielleicht holt er deshalb jenen Rap-Jesus von den Toten zurück. Den schillerndsten aller Gangsterrap-Märtyrer, der kurz vor seinem Tod sicher war: Es gibt ein Paradies für Gangster. Nun. Ob DRE, der sich gottgleich angemaßt hat, einen Toten zum Leben zu erwecken, Eingang in dieses Paradies finden wird? Vielleicht hat der Doktor dafür zu viel herumgedoktert. Wer weiß.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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