Kolumne #22: 1:0 für die Demokratie

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Europas Politiker haben sich in der alles umfassenden Krise von den Märkten treiben lassen und dabei völlig aus den Augen verloren, wer ihr Auftraggeber ist. Am veragngegenen Sonntag haben die Bürger sie an ihre Verantwortung erinnert.


Europa hat gewählt. Und sich klar gegen den bisheringen Kurs entschieden. Gegen das Spardikatat von Merkel und Sarkozy. Die Mehrheit des Volkes in Griechenland und Frankreich will sich nicht länger einlullen lassen vom medialen Phrasen-Opiat aus Begriff wie Staatsschuldenkrise, Bonität, Rating, B-, Sparen, alternativlos. Eine marktkonforme Demokratie ist eben nicht im Interesse der Normal-Bürger.

Am deutlischsten fiel die Entscheidung in dem von der Krise am härtesten gebeutelten Land aus. Die Wähler in Griechenland haben die markthörige Regierung der Nationalen Einheit abgestraft und sich für Links- und Rechts-Außen entschieden. „Wenn die Mittelklasse verschwindet, dann müssen auch ihre Volksvertreter ein Schattendasein fristen“, brachte es taz-Korrespondet Jannis Papadimitiou auf den Punkt.

Ein Focus-Online-Autor mit dem Kürzel cfs ist unterdessen noch immer benebelt. „Die Griechen haben sich in der Wahlkabine nicht noch mal besonnen“, schrieb cfs. Oh Wunder: Nachdem die Griechen zweieinhalb Krisenjahre lang, von der politischen Entmündigung gedemütigt, regelmäßig ihrer Wut über das deutsche Spardiktat Luft machten und auf die Straße gingen, entscheiden sie sich gegen die Option sich totzusparen? Nicht nur für cfs völlig unversändlich.

Laut cfs hätten „Beobachter“ erwartet, „dass viele Unentschlossene sich doch noch für eine der zwei Parteien entscheiden, die den auferlegten Sparkurs weiter verfolgen wollten.“ Lieber cfs, wer sind deine ominösen Beobachter? Vielleicht eine Fata Morgana deines Krisenrausches. Wenn es diese „Beobachter“ – sind wir nicht alle irgendwie Beobachter ? – Wenn es sie also wirklich gibt, die so dachten, glaubten und hofften, dann frage ich mich, wie verblendet diese Beobachter sein müssen. Sie müssen wohl das gleiche Zeug wie cfs genommen haben.

Auch nach der Wahl spult cfs das immer gleiche Angst-Szenario ab: Keine neuen Sparmaßnahmen, kein frisches Geld. Und kein frisches Geld bedeutet bekanntlich Pleite, bedeutet Rauswurf auf dem Euro, bedeutet Misstrauen der Märkte, bedeutet den Sturz Spaniens, Italiens und später auch Frankreichs und damit den Untergang Europas.

Doch es gibt Hoffnung: „Es müssen sowohl die europäischen Institutionen als auch die EZB signalisieren, dass sie notfalls eingreifen würden, um zu verhindern, dass aus griechischen Problemen ein großes spanisches, ein großes italienisches oder sogar ein großes französisches Problem an den Märkten werden könnte“, zitiert cfs Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank – neben anderen Bankern – in seinem Artikel. Sprich: Die Lösung sei, dass Europas Bürger noch einmal die Banken füttern. Politiker kommen in dem cfs-Artikel übrigens nicht zu Wort. Das ist ebenso vielsagend, wie das blinde Nachsingen des immer wieder gleichen Liedes.

Natürlich haben Griechenlands Politiker den immensen Schuldenberg des Landes mit zu verantworten. Doch Goldman Sachs hat den Griechen beim Eintritt in die Eurozone voller Mitgefühl dabei unter die Arme gegriffen, ihre Zahlen zu manipulieren. Die Bank hat Kredite als Devisengeschäfte getarnt. Jene Bank also, die sich beim Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes kräftig die Hände gerieben hat. So viel zum Begriff der Staatsschuldenkrise und zur tatsächlichen Rolle der Banken in diesem Spiel. Wem es nicht auffällt: Der Begriff Staatsschuldenkrise lenkt die Schuld an der Krise von der Finanzindustrie komplett auf die Politik von Staaten. Die Politik trägt Schuld, vor allem jedoch daran, dass sie sich von den Banken hat versklaven lassen.

Interessant war auch der Schachzug der Ratinagentur Sandard & Poor’s. S & P hatten am Mittwoch vor der Griechenlandwahl die Bonität des Landes um vier Stufen heraufgesetzt. Was nichts anderes als ein Appell an die Griechen gewesensen dürfte, ihr Kreuzchen ja an die „richtige“ Stelle zu setzen. Die Mehrzahl der Hellenen haben diese Mahnung jedoch ignoriert. Vernünftig. Denn anders als die „Beobachter“ und cfs lassen sie sich nicht mehr von den „Erwartungen der Märkte“ ihr Handeln vorschreiben.

Und auch die Wahl François Hollandes in Frankreich zeigt eine ähnlich Entwicklung. Denn auch der neue französische Präsident will mit Merkels Spardikat über Europa brechen. Und am Sonntag wählt auch Nordrhein-Westfalen. Siegerin dürfte Hannelore Kraft werden. Ebenfalls eine Politikerin, die nichts von kompromisslosem Sparen hält. Sie könnte nicht nur die Ära Merkel, sondern auch die Zeit des dogamtischen Sparens in Europa beenden.

Lange genug haben die Sachzwänge der Märkte das Handeln der Politik bestimmt. Das war möglich, solange keine Wahlen anstanden. Jetzt haben die Wähler ihre Volksvertreter erneut daran erinnert, wer eigentlich der Souverän ist. 1:0 für die Demokratie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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