Kolumne #23: Generation Bauchgefühl

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Gegen die Unentschlossenheit einer Generation Maybe – Verzeihung für das böse G-Wort – hilft nur ein Schuss Bauchgefühl. Bei mir scheint es zu klappen.

Zuerst erschienen in meiner Sonntagskolumne auf www.peterknobloch.net

Es gibt Entscheidungen, die trifft man mit dem Kopf. Immer wieder schallte es durch meinen Schädel: „Wenn du jetzt zwei Jahre lang in dieser Redaktion arbeitest, dann ist das wie Gold in deinem Lebenslauf. Dann kannst du später alles machen. Mit einem Volontariat bei denen bekommst du jeden Job, den du willst.“

Nein. Ich habe es nicht gemacht. Von außen betrachtet eine dumme Entscheidung. Dumm, weil ich sie nicht mit dem Kopf getroffen habe. Natürlich kann ich rationale Gründe für meine Absage nachschieben – und ich tue es auch. Doch in Wahrheit habe ich meine Entscheidung mit dem Bauch getroffen.

So wichtig und richtig es ist, zu reflektieren und die eigene Lage auch mal von außen zu betrachten, sich selbst in der zweiten Person anzusprechen, „Du“ zu sagen – diese Entscheidung, dieses „Ich will nicht“ kam von innen. Einen Plan B hatte ich nicht. So musste ich entscheiden, ohne etwas in der Rückhand zu halten, und erst einmal gegen mein natürliches Sicherheitsbedürfnis handeln. Vertrauen, dass sich etwas ergibt. Dass der für mich passende Zug noch einfährt. Vertrauen, anstatt von Angst getrieben blind aufzuspringen. Nur um dann später zu merken, dass ich irgendwo angekommen bin, wo ich gar nicht hinwollte.

Dieses Vertrauen wurde umgehend belohnt. Nur einen Tag nachdem ich den festen Entschluss gefasst hatte: dieser Zug fährt ohne mich – da fuhr auch schon der nächste ein. Dass ich mich auch noch auf eine Redakteurs-Stelle in Rumänien beworben hatte, das hatte ich bis dahin eigentlich schon fast vergessen. Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde. Und dazu auch noch erfuhr: Es geht nicht um eine Stelle irgendwo in Rumänien, es geht um einen Job im Herzen von Siebenbürgen: in Neumarkt am Mieresch.

Drei Tage vor dem Gespräch verriet mein Glückskeks mir, dass meine nächste Prüfung positive Ergebnisse bringen würde. Nicht, dass ich all zu viel auf die Weissagungen von Glückskeksen gebe. Aber im Gesamtkontext betrachtet passte auch dieser kleine Spruch genau ins Muster. Ich hab den Job bekommen und werde ab September in Siebenbürgen leben.

Lange gehadert habe ich mit der Entscheidung zuzusagen nicht. Sie kam für mich völlig natürlich. Manche meiner Kollegen klagen, dass sie einer Generation der Unentschlossenen angehören. Für Oliver Jeges drückt sich der aktuelle Zeitgeist der zwischen 20- und 30-Jährigen in dem Slogan einer Zigarettenwerbung aus. Er lautet: Don’t be a maybe! Zu Deutsch: Sei kein Vielleicht! Oder positiv ausgedrückt: Sei entschlossen! (Blenden wir an dieser Stelle die Diskussion um die inflationäre Verwendung des Begriffes Generation aus. Ich finde es auch albern, will mich daran aber nicht aufhängen.) Fakt ist: Akademiker meiner Generation haben die Wahl zwischen einem Wald von Optionen und Jobmöglichkeiten. Natürlich ist da nicht alles so rosig, wie es die Springer-Presse suggeriert.

Viele Stellen werden prekär entlohnt. Und so birgt jede vermeintliche Chance auch immer ein Risiko. Umso wichtiger ist es, gute Entscheidungen zu treffen. Dabei verliert man schnell die Übersicht.

Und es fehlt an Werkzeugen, die es vermögen, Komplexität zu reduzieren. Früher gab es Ideologien und Religionen – gesellschaftliche und spirituelle Visionen. Vieles von dem ist längst entzaubert. Heute glauben die meisten, sie müssten pragmatisch denken, weil die Sachzwänge das eben so erforderten. Das suggeriert schon die Terminologie von Kanzlerin Merkel, die Entscheidungen als alternativlos etikettiert. Meistens tut sie das, wenn sie nicht länger diskutieren will: die merkl’sche, graue Variante von Schröders Basta-Politik.

Und so versuchen wir uns durch die Sachzwänge zu wühlen, zu planen, zu taktieren, abzuwägen. Im Glauben, wir müssten uns nur klug genug anstellen, um unsere Vita zu optimieren, sind wir einer völlig verkopften Lebensplanung verfallen.

Die großen Katastrophen im Öffentlichen, wie die kleinen Katastrophen im Privaten haben in den vergangenen Jahren das ideologische Kartenhaus des Machtbarkeitswahns einstürzen lassen. Wir, die wir uns allem Irrationalem, jedem Glauben und jeder Hoffnung entledigt haben, stehen mit der nackten Ratio nun völlig entblößt da. Die Wirklichkeit hat uns vorgeführt, dass wir eben nicht alles wissen, planen und kontrollieren können. Das macht vielen Angst und lässt sie hadern. Gegen die Schock-Starre einer Generation Maybe kann ein Schuss Bauchgefühl helfen. Bei mir scheint es zu klappen. Wirklich sicher kann ich mir nicht sein. Aber sei‘s drum: Ich bin entschlossen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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