Siegt in Europa die Ökonomie über die Politik?

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Europäischer Währungsfond vs. EU-Wirtschaftsregierung

„Der Euro ist in der Krise, Amerika schwächelt, etliche EU-Staaten sind dramatisch überschuldet – nur Deutschland gibt den Musterknaben."


So bewertet Reinhard Mohr in der Januarausgabe des Cicero die Lage der Nation, des Kontinents und der USA. Ich korrigiere:


„Die USA sind maßlos überschuldet, die meisten EU-Staaten stehen – zwar nicht sie tief wie Amerika – aber ebenfalls in der Kreide."


Laut Eurostat liegt die Staatsverschuldung gemessen am BIP in der EU im Durchritt bei 74 Prozent. In den USA liegt dieser Wert bei 83 Prozent. Und trotzdem, durch die Brille der Wirtschaftsexperten steckt weniger der Dollar als der Euro in der Krise – Banker zocken nicht gegen gedruckte "Benjamins", sondern gegen Euroland. Warum? Die Bastion von Goldmann Sachs und Co liegt nicht Main-hattan Frankfurt, sondern in Manhattan.


Darüber kann man sich als Europäer ärgern, mit Fug und Recht gegen die Vereinigten Staaten schimpfen: Ihr lebt auf Pump! Als Privatpersonen frönt der gemeine Deutsche zwar nicht dem "amerikan way of life" und baut seinen Wohlstand auf Krediten. Das übernimmt dafür sein Staat. Und ganz Europa tut es ihm gleich. Seit Ronald Reagan ist Europa dem Dogma des Neoliberalismus gefolgt - mehr oder wenig freiwillig. Das Ergebnis, wir sind genauso verschuldet wie der große Bruder im Westen. Dagegen muss etwas geschehen.


Wolfgang Schaubles Vorschlag lautete vor einem dreiviertel Jahr die Gründung von so etwas wie einem Europäischen Währungsfond, also einem Pendant zum Internationalen Währungsfond, IWF. Staaten mit finanziellen Schwierigkeiten erhielten von einer solchen Institution Kredite zu günstigen Konditionen, müssten dafür aber ihre Auflagen erfüllen. Da zweifellos Handlungsbedarfs besteht, erfährt diese Idee, damals von den europäischen Nachbarn abgewiesen, derzeit neuen Auftrieb. Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung lobt das Konzept einer Europäischen Wirtschaftsunion und erklärt:

„Wer die Hilfen in Anspruch nimmt, der muss auf Souveränität verzichten und sich einem Regelwerk für Stabilität unterwerfen, das den nationalen Parlamenten nicht schmecken wird.“

Ähnliches ist in diesem Jahr Rumänien widerfahren. Der 2007 der EU beigetretene osteuropäische Staat hat sich etwa 20 Milliarden Euro geliehen. Den größten Teil stellte der Internationale Währungsfond, darauf folgten die Europäische Kommission sowie der IWF-Partner Weltbank. Rumäniens Staatverschuldung betrug zu diesem Zeitpunkt 24 Prozent im Verhältnis zum jährlichen BIP, im Vergleich zum europäischen Schnitt und den USA eigentlich vorbildlich. Die rumänische Regierung meinte diesen Kredit aus zwei Gründen zu brauchen. Erstens um seinen maroden Haushalt zu bereinigen. Zweitens wollte die Regierung die rumänische Währung Lei (übersetzt Löwe) im Verhältnis zum Euro stabilisieren, um so schneller der kriselnden Währungsunion beitreten zu können. Die Auflagen des IWF waren knallhart. Eine von zwei Optionen sah vor, die Renten in dem bitterarmen exkommunistischen Land um 15 Prozent zu kürzen, die Gehälter für Staatsbedientete um 25 Prozent. Alternativ schlug der IWF dem Land vor die Mehrweitsteuer von 19 auf 24 Prozent zu heben. Die rumänische Regierung entschied sich für einen Mix. Die Rentner blieben verschont, die Mehrwertsteuer stieg auf 24 Prozent, die Staatsgehälter wurden um 25 Prozent gesenkt. Ein Lehrer an einer staatlichen Schule muss seit Juli 2010 mit umgerechnet etwa 200 € im Monat auskommen. Das bei fast deutschen Lebensmittelpreisen. (Ein Liter Milch kostet in Rumnänien umgerechnet etwa einen Euro. Wir Deutsche Zahlen um die 50 Cent.)


Der rumänische Staat hat seine Souveränität in dieser Sache an den IWF abgegeben und seine ohnehin verarmten Untertanen dafür geknechtet. Damit hat sich Rumänien in Fragen, die über Leid und Wohl er Bevölkerung entscheiden, von einer bankähnlichen internationalen Institution regieren lassen, nur um eine Währung zu bekommen, die den Experten nach dem Untergang geweiht ist. Sollen schlecht wirtschaftende Euroländer nun ebenfalls ihre Souveränität an eine anonyme, durch nichts demokratisch legitimierte Finanzbehörde abgeben? Ist das Schäubles Vision einer demokratischen Währungsunion?
Was es braucht um den Euro zu retten? An wen sollten EU-Staaten ihre Souveränität abgeben. Etwa an eine Bank? Damit würde sich die Politik der Ökonomie in Europa geschlagen geben.

Die französische Wirtschaftsministerin Lagarde schlägt eine europäische Wirtschaftsregierung vor. Vereinheitlichung – oder Harmonisierung wie es im EU-Jargon heißt – ist in der europäischen Wirtschaftspolitik dringend nötig. Die griechische Öffentlichkeit brennt, weil dort die Mehrwertsteuer von 10 auf 13 Prozent angehoben wird. In anderen europäischen Staaten sind 19 Prozent die Norm, Rumänen nehmen zähneknirschend sogar 24 Prozent hin. Der natürliche Menschenverstand schlägt Alarm: Da etwas faul ist im Staate Europa. (Fairer Weise muss hinzugefügt werden, dass der griechische Haushaltsentwurf für 2011 ankündigte, die Gehälter von Staatsbediensteten wie in Rumänien um 25 Prozent zu kürzen).


Ja! Europäische Staaten müssen in ihren ökonomischen Entscheidungen Souveränität abgeben, um den Euro zu retten, aber auch der Gerechtigkeit zuliebe. Die Teilung und Abgabe von Wirtschaftskompetenzen ist erforderlich. Ja! Aber nicht an eine unabhängige Finanzbehörde, deren politisch nicht legitimierte Entscheidungen über die Lebensbedingungen in europäischen Volkswirtschaft bestimmen – mir graut es vor einer Entmündigung durch anonyme Institutionen, wie sie Rumänien erfahren hat. Wir brauchen eine europäische Wirtschaftsregierung. Vielen schwebt da automatisch ein runder Tisch hinter verschlossenen Türen vor, an dem die Wirtschaftsminister von Deutschland, Frankreich und Großbritannien sitzen sitzen. Was wir aber brauchen ist eine europäische Wirtschaftsregierung. Sie muss wie jede freiheitliche Regierung, vom Volk, also dem europäischen, demokratisch gewählt und damit legitimiert werden. Der Primat der Ökonomie hat die Welt an den Rand der wirtschaftlichen Apokalypse geführt. Um die derzeitige Sinnflut zu überstehen, braucht es eine Arche und die kann nur die Politik bauen, eine Politik die hinter den Interessen seiner Bürger steht.



"Kasten"

Souveränität abgeben gehört seit den römischen Verträgen von 1957 zum Prozess der europäischen Integration. Jeder neue Vertrag hat das europäische Parlament gestärkt und damit die Demokratie in der Gemeinschaft. Schließlich werden einzig die Abgeordneten im EU-Parlament von Bürgern der EU direkt gewählt. Die beiden anderen Hauptorgane der EU – Ministerrat und Kommission – werden nur indirekt demokratisch legitimiert. Der Ministerrat heißt Ministerrat, weil er sich aus allen nationalen Ministern eines bestimmten Sachbereichs zusammensetzt – in Wirtschaftsfragen, entscheiden alle europäischen Wirtschaftsminister, bei Umweltthemen die Umweltminister und so weiter. Die Kommissare werden von den nationalen Regierungen entsandt und sollen unabhängig von nationalen Interessen entscheiden. Auf ähnliche Weise wie das Parlament, müsste eine europäische Wirtschaftsregierung gewählt und damit legitimiert werden, damit sie von allen Europäern als demokratisch akzeptiert werden kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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