Wer ist hier der Zigeuner ?

Kolumne #27 - Noch nie wurde ich von Roma beklaut. Dass "den Zigeunern" der schwarze Peter zuschoben wird, erlebte ich hunderte Male. Eine Beobachtung der vergangenen Tage.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

„Wie steht es bei euch in Deutschland um die Zigeunerfrage?“ Hierzu wären mir spontan zwei Dinge eingefallen, hätte ich an Stelle meiner Eltern auf die Frage eines flüchtigen Bekannten aus Siebenbürgen antworten müssen: „Ja weiß du T., in Berlin, da haben wir besonders viele von ihnen. Und es sind nicht irgendwelche, sondern rumänische. Ganz recht. Und es werden immer mehr, dank Leuten wie dir. Sie müssen euch wohl danken. Und wir euch. Denn mit eurem Alltagsrassismus macht ihr es ihnen verdammt leicht, der Heimat den Rücken zu kehren. Das mit der Integration übernehmen wir in Deutschland gerne. Wir haben da eh mehr Erfahrungen als ihr. Außerdem haben sie es hier ohnehin viel besser. Wir können ihnen wenigstens noch die Überbleibsel eines Sozialstaates bieten. Und das Kindergeld ist im Unterschied zum rumänischen mehr als bloß ein Trinkgeld. Also was deine Zigeunerfrage betrifft: Auch hier scheint Deutschland an allen anderen vorbeizuziehen in Europa.“

Oder ich hätte dem Lastwagenfahrer T. einen Vortrag gehalten über das Berliner Holocaust-Mahnmal zum Gedenken an etwa eine halbe Million Roma und Sinti, die in der Zeit des Nationalsozialismus' in Europa ermordet wurden. Dass die Gedenkstätte immer noch nicht fertig ist: eine Schande, hätte ich ihm gesagt. Gerade wo Antiziganismus in Europa zu einem drängenden Problem wird. Und ganz sicher hätte dieser T. mir da zugestimmt.

All das hätte ich diesem T., der sich erst eine Stunde vor Ankunft bei meinen Eltern ankündigte, der zusammen mit seinem Brummi-Kumpel alles an Bier, Wein und Spirituosen im Haushalt meiner Elten vernichtete, der sich drei Tage lang von meiner Mutter wie ein Pascha bekochen ließ, – nun das hätte ich diesem T. wohl antworten wollen, wenn es mir nicht, wie meinen Eltern, die Sprache verschlagen hätte.

Die Worte fehlten meiner Mutter auch, nachdem sie dem unerwarteten Besuch die Tür öffnete. Auf die Frage, ob die Herren denn etwas zu trinken haben wollten oder sonst etwas bräuchten, antwortete dieser politisch versierte T.: „Kaffee, Trank (Damit wird er seinem Trinkverhalten nach zu urteilen wohl keinen grünen Tee gemeint haben) und Weib.“ Die Herren Lastwagenfahrer hatten etwas nach Bielefeld geliefert oder abgeholt. Da müssen die beiden sich spontan überlegt haben, es sei doch sicher nett, bei meinen Eltern einzukehren. Und um unter Beweis zu stellen, dass sie auch richtige Ungarn sind – so müssen sie sich gedacht haben –, sei es fein, sich auch so zu benehmen, wie die Magyaren zu Zeiten der ungarischen Landnahme um Anno 900: alles plündern und weiterziehen.

Meine Eltern hatten diesen T. in einem Urlaub in Siebenbürgen kennengelernt. Dass er sich für Rassenhygiene interessiert, um die Reinheit der ungarischen Volksseele sorgt, aber selbst wie der letzte Vandale aufführt, muss meinem Vater wohl verborgen geblieben sein, als er dem T. per Skype-Chat schrieb, dieser könne doch gerne mal vorbeikommen – wie man so etwas halt mal ebenen schnell schreibt. Dass dieser T. derart spontan und durstig sein würde, ahnte mein Vater da wohl noch nicht. Wenn man es in der Sprache eines Antiziganisten sagen müsste und Vorurteile gegen Roma auch immer den Tatsachen entsprächen, dann müssen sich dieser T. und sein Kumpane wie die letzten Zigeuner aufgeführt haben.

WAS MEIN OPA, SEIN GARTEN UND DAS CHAOS DARIN MIT ROMA ZUTUN HABEN KÖNNTEN

Ein Problem mit „Zigeunern“, wie er sagt, hat auch mein Großvater. Als ich ihn neulich zusammen mit meiner Großmutter im Krankenhaus besuchte, musste ich ihm ein Geständnis machen: „Großpapa, in meinen Artikeln, da verteidige ich die Zigeuner.“ Statt sich darüber aufzuregen, setzte er zu einer seiner Geschichten an, in die er sich bestens hineinzusteigern versteht. Natürlich wollte auch dieses Mal ein „Zigeuner“ ihn beklauen.

Meine Großeltern haben am Stadtrand von Ordorhellen an einem Hang gelegen einen kleinen Streifen Land, darauf einen Bungalow, halb in den Hügel hinein gebaut. Auf diesem Bungalow, fast schon ein Keller, steht wiederum eine kleine Holzhütte, zusammengeschustert aus Schrott, den mein Opa mit seinem Fahrrad Teil für Teil angekarrt hat. Der Garten ist das Rentenidyll meiner Großeltern. Und auch ich genieße es, dort sorglose Stunden im Rasen zu liegen, umgeben von Sommerduft nichts-tunend den Räuberpistolen meines Großvaters zu lauschen, wie dieser: Neulich sei ihm ein Rom über den Gartenzaun gestiegen. Als mein Großvater ihn fragte, was er auf seinem Grundstück verloren habe, soll der Eindringling erklärt haben, er sei auf dem Heimweg und habe eine Abkürzung nehmen wollen. Falls es sich so zugetragen hat: eine zugegeben dürftige Ausrede, vor allem, wenn man bedenkt, dass mein Opa das Gelände abgesichert hat, wie ein paranoider Kriegsveteran (der er zum Glück nicht ist): mit Stacheldraht, Fallen und allem was ihm einfiel.

VORSICHT: ROMA AUF AUSFLUG!

Mein Opa ist ein Kauz. Und bis auf seine mit dem Alter zunehmende Angst vor stehlenden Roma, ist er der beste Opa, den man haben kann. Ihm, so glaube ich zu erkennen, verdanke ich die größte Portion meiner Neugier und Kreativität, sofern solche Dinge denn tatsächlich irgendwie genetisch weitergegeben werden. Doch wollte man böse sein, könnte man ihm auch ein Quantum Messi-Syndrom diagnostizieren. So ist der Bungalow bis in die letzten Winkel voll mit Schrott, überwiegend Stahl. Erst deshalb musste als Ersatz die Holzhütte her. Dort herrscht auf Geheiß meiner Großmutter striktes Verbot jeglichen Krempels, den mein Kauz-Opa so leidenschaftlich sammelt. Doch daran, dass der Bungalow völlig zugemüllt ist, will mein Opa selbst nicht schuld sein. Nein. Seine Erklärung: Er müsse ja alles wegsperren, damit die „Zigeuner“ ihn nicht bestehlten. Im Garten sei sonst genug Platz.

„Ach weißt du, dein Großvater ist ein alter Chauvinist“, hat meine Oma einmal über ihn gesagt. In ihrem Lächeln trug sie dabei eine liebevolle Mischung aus Milde und Spott. Doch über seine Romaphobie kann sie glücklich sein. Denn sonst würde ihr geliebter Garten wohl vor Krempel überlaufen.

Zwei Tage später hat man meinen Opa aus dem Krankenhaus entlassen. Kaum zwei Stunden nachdem er den Duft der Freiheit erschnuppern durfte, stieg ich mit ihm und meiner Großmuttern einen Hügel in Richtung des Gartens hinauf. Dabei überholte uns eine Gruppe: drei dunkelhäutige Männer und eine weiße Frau. Der letzte, der in der Gruppe an uns vorbeizog, grüßte freundlich. Mein Großvater bliebt stumm. Seinen Feind erkannte er sofort. Seine Gedanken lesend musste ich schmunzeln und besänftigte ihn: „Die machen nur einen Ausflug.“ „Ja. Und auf dem Heimweg füllen sie ihre Rucksäcke mit Zwiebeln aus fremden Gärten.“ „So ein Quatsch. Die hatten gar keine Rucksäcke.“

Weder wurde ich je von Roma beklaut, noch erlebte ich, wie das jemand anderem widerfuhr. Dafür musste ich sicherlich etliche hundert Male hören, wie Roma des Diebstahls bezichtigt wurden, einfach auf Verdacht. Auch wenn mein anderer Großvater behauptet, mit den Roma auszukommen, da er gut mit ihnen zusammen gearbeitet habe, früher im Kommunismus – als er auf einem Spaziergang sieht, dass einem Gulli der Deckel fehlt, weiß auch er sofort, wo die Schuld zu suchen ist: „Die Zigeuner klauen überall Metall, um es zu verkaufen.“

Es mag sogar etwas dran sein. Just heute, einem brütend heißen Sonntag, parkte ein Lieferwagen vor dem Haus meiner Großeltern, als ich kam. Vor dem Tor stand ein junger Rom. Lautstark versuchte er meine Großmutter davon zu überzeugen, die Regenrinne des Hauses von ihm und seinen Kollegen erneuern zu lassen. Das allerdings sofort. Denn so billig wie heute würde er die Arbeit nimmer verrichten. Meine Großmutter lehnte dankend ab.

Ob eine neue Regenrinne vielleicht in ihrem vorherigen Leben ein Gullideckel war? Wer weiß. Bei so viel Ablehnung seitens der Mehrheitsgesellschaft kommen die Roma kaum anders an Geld, als über Betteln oder die Illegalität. Arbeit gibt ihnen so gut wie niemand. Zu oft, so erzählt man sich, sollen die Roma die Situation ausnutzen und zum Beispiel auf dem Bau stehlen. Wie auch immer. Es wird sicher auch Nicht-Roma geben, die Metall stehlen oder Ähnliches. Ich für meinen Teil halte es da ganz schlicht bei der Unschuldsvermutung: In dubio pro reo.

WIE EIN UNGAR EINEN ROM BETROG

Zweifelsfrei bezeugen kann ich allerdings, wie heute ein Busfahrer, ein Ungar, ein Roma-Pärchen über's Ohr gehauen hat. Sie trug einen mit Blumen bemusterten langen Rock und ein buntes Kopftuch. Er einen prächtigen blonden Schnäuzer. Die beiden fuhren kaum wenige hundert Meter mit, mussten aber pro Person mehr zahlen, als ein anderer Fahrgast für rund zwanzig Kilometer. Wenn Betrug und Diebstahl Delikte sind, die in den Köpfen der meisten Osteuropäer fast ausschließlich von Roma verübt werden, dann muss man sich oft fragen: Wer ist hier der Zigeuner.

Dieser Artikel erschien als Kolumne vergangenen Sonntag auf www.peterknobloch.net

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden