„Baldwin ist ein Hofnarr“

Gespräch Autor Joshua Cohen ist Gastprofessor in Berlin am Peter-Szondi-Institut. Wir sprachen mit ihm über Trump, Nazis und Komik
Ausgabe 45/2017

Trotz seiner 38 Jahre wirkt er erstaunlich jung. Das liegt an Joshua Cohens Gesicht: jungenhaft, offen, und ja, irgendwie unschuldig. Auch wenn er redet, spricht er mit der Energie und Neugier eines jungen Mannes. Es passt dazu, dass Cohen gerade vom Granta Magazine zu einem der besten jungen amerikanischen Romanciers gekürt worden ist. Aber kann ein junger Kerl dermaßen viel geschrieben haben? Neun Bücher, etliche Reportagen, Essays, Interviews. Für eine Sammlung seiner journalistischen Texte habe er gerade alle seine Essays und Aufsätze zusammengestellt, erzählt er. 800.000 Wörter, ohne die Romane und Kurzgeschichten. Bei aller Jugendlichkeit, die ihn umgibt, gibt Cohen mir das Gefühl, er habe alle meine Fragen schon tausendmal gehört. Doch obwohl ihm nichts neu zu sein scheint, atwortet er mir gerne. Das hat Stil.

Fast auf den Tag genau ein Jahr danach frage ich Cohen nach seinen Neun Bemerkungen am 9. November, die er zum Wahlsieg Donald Trumps in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht hat. An diesem Tag, den die Amerikaner mit 11/9 abkürzten, schrieb Cohen, an dem sich die „Kristallnacht“, „jenes Ereignis, das meine Großmutter dazu gebracht hat, Deutschland zu verlassen und nach Amerika zu gehen“, jährte, „haben wir ein weiteres 9/11 erlebt“. Wie viele habe er sich geirrt, was die Chancen Trumps angingen. Jetzt wisse man wenigstens, wo man stehe: „Den bei dieser Wahl artikulierten Willen des amerikanischen Volks als legitim anzusehen bedeutet, Hassrede als legitim anzusehen, sexuelle Übergriffe als legitim anzusehen, Massendeportationen als legitim anzusehen, Einwanderungsbeschränkungen aus religiösen Gründen als legitim anzusehen.“ Heute, sagt Cohen, befinden wir uns „in einem Moment, in dem es den Weißen in den USA besonders schwerfällt, mit ihrem Machtverlust fertigzuwerden. Sie brauchen ein Betäubungsmittel“. „Politics anesthetized by shit“, setzt er hinzu, „Politik, von Scheiße betäubt“.

Er wirkt eher traurig als wütend, wenn er sagt, das Bedürfnis nach Identität sitze so tief, dass es praktisch „animalisch“ sei: „Das Gefühl, dass wir irgendwo hingehören, brauchen wir alle, daran war 1939 nicht vorbeizukommen und auch heute nicht“, glaubt Cohen. Vielleicht handeln seine Texte deshalb so oft von Menschen, die dort, wo sie gerade sind, irgendwie fehl am Platz sind. Wie er selbst, irgendwie von Beginn an: Im New Yorker Magazin N+1 schrieb er über seine Kindheit in Atlantic City, New Jersey, wo sein Vater als Rechtsanwalt mit Gerichtsfällen gegen die Glücksspielindustrie sein Geld verdiente, während seine Mutter als Fremdsprachenlehrerin arbeitete, die Immigranten aus Südostasien dabei half, ihren Akzent unter Kontrolle zu bringen.

Wer fragt noch nach Engeln?

Cohen wuchs in einer Stadt auf, die vom Glückspiel lebte, und Glücksspiel hörte in Atlantic City auf den Namen Donald Trump. Über Trump, schreibt Cohen, wurde in seiner Familie andauernd gesprochen, noch bevor er im Bauch seiner Mutter gewesen sei. Atlantic Citys großer Glanz ist wahrscheinlich Vergangenheit, aber so etwas interessiert Cohen. Für das Point Magazine besuchte er den Ringling Brothers and Barnum & BaileyCircus. Ging sechsmal in die Vorstellung, kurz bevor diese amerikanische Kulturinstitution nach 146 Jahren Betrieb endgültig ihre Pforten schloss.

Es sind Geschichten, wie sie Alexander Kluge verfilmen könnte, die Cohen erzählt, obwohl bei Kluge die Bösewichte fehlen. Und auch seine Romane handeln von Menschen, die verloren, deplatziert sind. Gemeinsamkeiten und Missverständnisse zwischen amerikanischen und israelischen Juden sind Thema seines letzten Romans, Moving Kings. Er handelt von David King, dem Besitzer einer Umzugsfirma in New York, und seinem Cousin Yoav, der gerade aus der israelischen Armee entlassen wurde. David hängt sehr an Israel. Kontakt hält er zu den Verwandten dort allerdings kaum, obwohl sie ihm viel bedeuten: „Eine Familie in diesem Land zu haben, das bedeutete, dieses Land in der Familie zu haben, das ganze Land.“ Israel, das heißt für David religiöse Identität, Tradition, Selbstvergewisserung. Dass er dort aber eigentlich gar nicht hingehört, wird überdeutlich, als er mit dem jüngeren Cousin auf den Tempelberg steigt: Da dürften sie eigentlich gar nicht hinauf, weiß Yoavs Mutter. „Aber sie meinte eigentlich nur Yoav, denn bei Amerikanern – wen interessierte das schon? Machte es überhaupt etwas aus, welche Regeln sie verletzten?“ Das Buch erzählt von Verstößen, von Übertretungen. Für Yoav gehören sie zum Alltag, erst an der palästinensischen Grenze, dann bei seiner Arbeit, die darin besteht, Zwangsvollstreckungen in den Jahren der Finanzkrise durchzuführen. Yoav kommt in den USA ebenso wenig zurecht wie sein Onkel in Israel. Unheimlichkeit, Identitätsverlust, die gescheiterte Hoffnung, man hätte endlich verstanden, wer man ist, das sind Cohens Themen.

Passenderweise sitzen wir in einer Bar, in die auch wir eigentlich gar nicht gehören – eine gutbürgerliche Traditionsgaststätte im Rheingauviertel in Berlin-Wilmersdorf. Hinter der Bar: zwei Frauen, ungefähr unser Alter. Bedient werden außer uns nur ältere Männer, Stammkunden, die hierher kommen, um unter Menschen zu sein und dann alleine da sitzen. Das ist gemütlich. Aber wir sind anders. Cohen stört das nicht. Er ist es ja gewöhnt, nicht dahin zu gehören, wo er sich gerade aufhält.

Als ich frage, wie es ist, als Jude in Zeiten von Trump, in Zeiten der AfD zu leben, meine ich zu spüren, dass ihm das jetzt unangenehm ist. Ich bin überrascht, dass die „Judenfrage“, wie er sie dann mit einem verschmitzten Lächeln nennt, bei ihm so schlecht ankommt. Sein Jüdischsein ist schließlich ein Thema, über das er sehr viel schreibt, das ihn begleitet. Man stelle ihm die Frage oft und immer wieder im Zusammenhang mit der Politik, sagt er dann: „Aber wer spricht schon über Politik, wenn er auch über Engel sprechen kann?“ Jüdisch zu sein habe für ihn weniger politische als kulturelle Auswirkungen. Er trage die Traditionen seiner Familie – ausgewandert etwa aus Köln und Sárospatak in Ungarn– in sich. „Ich bin nur zwei, vielleicht nur eine Generation von Menschen entfernt, die glaubten, dass Engel versuchen würden, durch sie zu sprechen. Danach fragt mich aber nie jemand.“ Ich mache mir Sorgen, dass er mir meine Frage übel genommen hat. Aber Cohen spricht weiter: In rasantem Tempo kommt er über Franz Rosenzweig, Walter Benjamin und Gershom Scholem auf die Rolle der Komik in der deutschen Literatur und in den USA von heute zu sprechen. „Auch die Nazis hatten ihre Komiker“, meint er, „um sagen zu können, Kritik sei erlaubt.“ Alec Baldwin der Donald Trump spielt, sei nichts anders als ein Hofnarr; mehr könne er nicht leisten, mehr könne jetzt kein Komiker leisten, weil nichts auf dem Spiel stehe. „Die Symbole sind leer geworden, Zeichen haben ihre Fähigkeit verloren, die Welt zu verändern. Würden Komiker ein Risiko eingehen, würden sie für ihre Jokes verhaftet, gefoltert, ermordet, dann würde das bedeuten, dass sie Macht haben.“ Eigentlich hätte ich ihn hier fragen müssen, ob es mit seiner Arbeit anders ist. Denn Autoren werden in den USA ebenfalls (noch) nicht verhaftet. Bleibt auch ihre Arbeit folgenlos, sind sie nur ein schöner und interessanter Zeitvertreib, ohne politische Bedeutung? Die Frage fällt mir erst ein, nachdem wir uns schon verabschiedet haben. Stattdessen fragte ich, ob er einen Ausweg sieht, eine Hoffnung hat, dass Kultur irgendwann einmal wieder etwas bedeutet. Er denkt lange nach, bevor er antwortet, und jetzt wirkt er für einen Moment lang alt. Nicht auf dieselbe Art alt wie die Männer, die neben uns am Tresen sitzen – alt wie eine Religion, die seit Jahrtausenden identitätsstiftend für ihre Gläubigen ist.

„Es kommt wieder“, sagt er mir. „Die Symbole werden wieder etwas bedeuten, die Zeichen werden wieder aussagefähig.“ Ich will ihn fragen, woher er das weiß, wieso er sich so sicher ist, dass auch dies vorbeigeht, aber die Antwort auf eine solche Frage kommt mir zu schwer vor. Ausnahmsweise traue ich sie ihm nicht zu. Bald danach will er nach Hause. Er müsse noch schreiben. Ich habe den Eindruck, das Ungeschriebene treibt ihn an, als gäbe es da eine wichtige Botschaft, die er unbedingt noch weitergeben muss.

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