Schon unmittelbar nach seinem Einzug ins Weiße Haus kümmerte sich George Bush mehr um Wladimir Putin als um Gerhard Schröder. Dieses Ranking wurde in dieser Woche erneut in Szene gesetzt: Zwei Tage für den russischen Präsidenten in Camp David, kaum eine Stunde für den deutschen Kanzler in New York. Aber Russland und die USA haben nun einmal eine gemeinsame Sprache im Kampf gegen den Terror gefunden. Und Russland ist stolz darauf, gibt Dmitri Rogosin, der Vorsitzende des Auswärtigen Duma-Ausschusses, zu Protokoll.
Nicht Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und Außenminister Colin Powell, sondern George Bush sen. und Henry Kissinger hatten sich ab Mitte September der Vorbereitung des amerikanisch-russischen Treffens in Camp David annehmen wollen. Während der ehemalige Präsident in Sotschi mit Wladimir Putin in dessen Sommerresidenz das Gespräch suchte, flog der Elder Statesman der US-Diplomatie und ewige Geostratege nach Moskau, um mit Verteidigungsminister Sergej Ivanow, Außenminister Igor Iwanow sowie dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Duma, Dmitri Rogosin, zu konferieren. Wollte das Weiße Haus mit diesem aufwändigen Aktionismus dem Kreml bedeuten, im bilateralen Miteinander nicht nur neue, sondern auch exklusivere Wege einschlagen zu wollen? Oder sollten lediglich zwei Urgesteine amerikanischer Machtpolitik "unter Gefechtsbedingungen" neue europapolitische Philosophien des US-Präsidenten austesten, die Sicherheitsberaterin Rice im engsten Kreis mit den Worten auf den Punkt gebracht haben soll: Deutschland ignorieren, Russland belohnen, Frankreich bestrafen?
Spätestens seit dem Moskau-Besuch von William Burns, US-Vizeaußenminister für den Nahen und Mittleren Osten, Anfang August 2003 steht außer Frage, dass die aktuelle Russland-Politik des Weißen Hauses vorrangig auf ein Ziel fixiert ist: die Putin-Administration in Sachen Irak mit Zuckerbrot und Peitsche auf Linie zu bringen und begreifen zu lassen, wie sehr gerade jetzt jegliche Kooperation mit Damaskus und Teheran für das russisch-amerikanische Verhältnis von Schaden sein kann. "Gegenwärtig", verkündete gerade erst John Bolton, im State Department der zuständige Unterstaatssekretär für Abrüstung, "gibt es für unser Land keine größere Gefahr als Staaten wie Syrien, die sowohl den Terrorismus unterstützen als auch versuchen, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu gelangen." Und wer "todbringende Wehrgüter" an den Iran liefere, der helfe eine Zitadelle des internationalen Terrorismus hochzurüsten. Noch sehe man von Sanktionen gegen Russland ab, aber sollten seine Waffenschmieden weiter mit dem Teufel paktieren, werde "hart durchgegriffen". Was immer das heißen sollte.
Gleichwohl schien Washington nicht vollends davon überzeugt, der Vorwurf einer Kollaboration mit den "Schurkenstaaten" Syrien und Iran werden reichen, den Kreml in der Irak-Frage mürbe zu klopfen. Man musste auch auf gewisse positive Anreize bedacht sein. So war es kein Zufall, dass parallel zu Boltons Drohgebärden der Präsident der US-Handelskammer Andrew B. Somers nicht müde wurde, über die Moskauer Medien kundzutun, Russland habe das Zeug, für die Vereinigten Staaten nicht nur zu einem bedeutenden Öl- und Gaslieferanten aufzusteigen, sondern auch "ein wichtiger Partner bei der Entwicklung nuklearer Kraftwerkstechnologie" zu werden.
Dass Washington der Auffassung ist, ein solches energiepolitisches Engagement sei Legitimation genug ist, sich in die inneren Angelegenheiten Russlands einzumischen, zeigte sich mit aller Deutlichkeit am 16. September, als die USAID - die US-Regierungsagentur zur Förderung von Projekten im Ausland - in Moskau mit großem Pomp einen langfristigen Kooperationsvertrag mit Michail Chodorkowskis Bildungswerk Offenes Russland abschloss. Genau mit jenem Chodorkowski, dessen Öl-Imperium Jukos-Sibneft nicht nur die Moskauer Staatsanwaltschaft, sondern auch Chevron Texaco und Exxon Mobil fest im Visier haben: Beide Unternehmen bemühen sich derzeit intensiv um eine 25prozentige Beteiligung an Russlands bedeutendster Ölgesellschaft. Juristische Nachforschungen über Privatisierungspraktiken Anfang der neunziger Jahre stören da nur. Dem Kreml über die USAID-Aktivitäten ein angemessenes Signal zu senden, schien dringend geboten.
Überzeugt davon, die eigene Zukunft liege in einer Juniorpartnerschaft mit den Vereinigten Staaten, ist Russland seit Monaten jedem Streit mit der US-Administration systematisch aus dem Weg gegangen. Folglich hätten George Bush sen., Henry Kissinger oder William Burns nicht unbedingt zu kollektiver Reisediplomatie neigen müssen: Wo Selbstverleugnung dominiert, braucht es weder Zuckerbrot noch Peitsche. Schon Mitte Juli hatten hochrangige Regierungsvertreter in Moskau durchblicken lassen, dass Russland prinzipiell bereit sei, Truppen in den Irak zu entsenden, die unter US-Kommando zur Stabilisierung der Verhältnisse vor Ort beitragen.
Wie Gerhard Schröder und Jacques Chirac ist auch Wladimir Putin derzeit vor allem damit beschäftigt, seine einstige Opposition gegen die Irak-Aggression durch eine möglichst störungsfreie Kooperation mit dem Aggressor "aufzuarbeiten". Die Vision eines geopolitisch souveränen Europas wird somit nicht nur in Berlin und Paris, sondern auch in Moskau verabschiedet. Sie besaß eben mehr konjunkturellen Charme als strategischen Sinn für eine ernsthafte Alternative.
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