Der islamische Faktor

Abwehrszenarien Irans Armee könnte einer US-Intervention so gut wie nichts entgegen setzen

Präsident Mahmud Achmadinejad hat zu verstehen gegeben, ein möglicher Militärschlag der USA und Israels gegen sein Land werde eine islamische Revolution anfachen und die gesamte Menschheit auf den richtigen Pfad führen. Wie sich diese Prophezeiung erfüllen soll, bleibt ungewiss, auch wenn die Protest-Lawine gegen die Mohammed-Karikaturen ahnen lässt, was gemeint ist.

Dass Israel bereit sei, in Kürze Nuklearanlagen Irans unter Beschuss zu nehmen, hatte ein hochrangiger Vertreter des israelischen Militärgeheimdienstes AMAN bereits Ende 2005 verkündet. Eine gewagte, abenteuerliche Absicht, die mit der nicht minder abenteuerlichen Überzeugung gerechtfertigt wird, Teheran könne in spätestens zwei Jahren seine erste Atombombe gebaut haben. Dabei gilt für Tel Aviv im Fall eines Angriffs auf den Iran die Militärallianz mit den USA als unverzichtbar, was von der Bush-Regierung nie in Frage gestellt worden ist.

Notfallpläne zur kurzfristigen Unterstützung Israels in einer mittelschweren Konfliktsituation ("CONPLAN 4305") sowie zur gegebenenfalls auch nuklear unterfütterten Abwendung "unmittelbar bevorstehender Bedrohungen ("CONPLAN 8022" ) durch "Schurkenstaaten" (gemeint sind Nordkorea, Iran und Syrien) hat das Pentagon bereits vor Jahren entworfen. Allerdings scheint bei allen erwogenen Szenarien eines festzustehen, angesichts der enormen Schwierigkeiten, mit denen die US-Armee in Afghanistan und im Irak konfrontiert ist, dürfte Präsident Bush kaum Bodentruppen gegen den Iran in Marsch setzen. Damit verbundene Risiken sind extrem hoch. Ein realistisches Urteil über die Abwehrkraft der iranischen Streitkräfte zu fällen, wird allein durch den Umstand erschwert, dass hier militärische und paramilitärische Kapazitäten verschränkt sind Neben dem etwa 150.000 Mann starken "Korps der islamischen Revolutionswächter" (Sepah-e Pasdaran) verfügt das Land über die mehrere Millionen Kämpfer zählende "Organisation der Unterdrückten" (Bassidj), eine tief in der Gesellschaft verankerte, in wenigen Stunden mobilisierbare Volksmiliz.

Achillesferse Luftverteidigung

Es ist absehbar, dass die US-Armee im Fall des Falls ihre kolossale Luftüberlegenheit ausspielen und versuchen wird, Irans Nuklearanlagen, vorhandene Militärbasen, Kasernen und Munitionsdepots aus sicherer Höhe mit Marschflugkörpern anzugreifen. Was könnte der Verteidiger dem entgegensetzen? Außer dem Willen zum Widerstand nicht sonderlich viel.

Zwar verfügt die iranische Armee mit der noch auf der sowjetischen Scud-Technologie fußenden Shahab-3 seit Ende der neunziger Jahre über eine 1.500 Kilometer weit fliegende ballistische Rakete, von der inzwischen pro Jahr etwa 20 Stück in Dienst gestellt werden. Jedoch handelt es sich um eine Flüssigstoff-Rakete, deren Zielgenauigkeit nicht unbedingt höchsten Ansprüchen genügt. Mit anderen Worten: dieses Arsenal stellt keine wirkliche Gefahr für die in der Region stationierten US-Truppen dar. Ohnehin haben die Kriege um Kuwait 1991 und im Irak 2003 deutlich gemacht, dass taktische Raketen dieses Typs von den modernen Luftverteidigungssystemen der US-Air Force mühelos abgefangen werden. Von der Erprobung effektiverer Trägermittel - zum Beispiel tief fliegender Boden-Boden-Marschflugkörper größerer Reichweite - ist der Iran noch Jahre entfernt. Auch verfügt die persische Armee über keinerlei nennenswerte Sprengmittel, die Washington wirklich beeindrucken könnten: Angenommen, die Mullahs träumen wirklich von der Atombombe - deren Entwicklung würde nach westlicher Experten-Meinung beim derzeitigen Stand der iranischen Technik mindestens ein Jahrzehnt brauchen.

Chemische und biologischen Waffen werden nicht zuletzt aus religiösen Gründen abgelehnt: Der Iran ist sowohl der B-Waffen-Konvention von 1972 als auch der C-Waffen-Konvention von 1993 beigetreten und hat 1999 - unter internationaler Aufsicht - seine beiden aus dem Krieg mit dem Irak (1980-1988) stammenden C-Waffen-Produktionsstätten zerstört. Teherans Achillesferse bleibt der desolate Zustand seiner Luftverteidigung: Die noch unter dem Schah erworbenen amerikanischen Flugabwehrraketen des Typs Hawk sind längst ausgemustert, Chinas S-75-Komplexe hoffnungslos veraltet und nicht in Lage, moderne Kampfflugzeuge zu attackieren. Die augenblicklich den Teheraner Luftraum sichernden russischen S-200-Komplexe gelten zwar als voll einsatzfähig, doch gegen hochbewegliche taktische Flugkörper sind sie weitgehend machtlos.

Um für Abhilfe zu sorgen, bemüht sich das iranische Oberkommando seit Jahren um den Ankauf modernen russischen Equipments. Ende November 2005 einigten sich Teheran und Moskau auf die Lieferung von 29 Tor-M1-Flugabwehr-Komplexen. Die allerdings wären im Zusammenspiel mit neuen russischen S-300-Komplexen frühestens 2009 voll wirksam, um den gesamten iranischen Luftraum zu schützen. Ein entsprechender Vertrag sollte im März unterschrieben werden. Wegen des zugespitzten Atomstreits hielt es der Kreml Ende Januar für geboten, die laufenden Verhandlungen auf unbestimmte Zeit auszusetzen.

Schiitischer Aufstand im Irak

Die Kampfkraft und die taktischen Qualitäten der iranischen Armee verbieten es, mit einer Bodenoffensive Richtung Irak einer eventuellen Aggression wirkungsvoll zu begegnen: das 325.000 Mann starke reguläre Heer würde von einer den iranischen Luftraum vollständig kontrollierenden US-Luftwaffe aufgerieben, ehe es auch nur in die Nähe von amerikanischen Truppen käme.

Blieben als einziger Ausweg eine asymmetrische Kriegführung und das Schüren eines schiitischen Aufstandes im Irak. Mögen die persischen und irakischen Schiiten noch so verschieden, Perser und Araber traditionell auf Abstand bedacht sein - der Islam verbindet sie. Den "islamischen Faktor" nutzend, könnte Teheran gar eine "Revolte von unten" - ohne den Segen des Hohen Klerus und der Stammesführer - provozieren und damit den Irak endgültig in einen Zustand versetzen, den die Besatzungsmächte nicht mehr beherrschen können.


Militärische und paramilitärische Kräfte im Iran

FormationStärke

Reguläres Heer325.000

Revolutionswächter
(Sepah-e Pasdaran)150.000

Volksmilizen "Organisation der
Unterdrückten" (Bassidj)3.5 - 4,0 Mill.


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