Der Staat als Heilpraktiker

Russland und die Volksmoral Komfortable Geschichtsmythen sollen der sozialen Stabilität auf die Sprünge helfen
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Russlands entfesselter Kapitalismus hat dem Land nicht nur eine Flut von Edelboutiquen und AIDS-Kranken, postmodernem Architekturkitsch und Kinderprostitution, sondern auch zwei vollkommen konträre soziokulturelle Schichten beschert: Rund 20 Prozent der Bevölkerung, die Anschluss an die westliche Konsumgesellschaft gefunden haben, halten die übrigen 80 Prozent im "sozialen Reservat" (so die Soziologin Irina Glebowa), um weiterhin ungestört raffen und völlen zu können. Anteil am Schicksal der Reservatsbewohner nehmen sie nicht. Denen bleibt nichts weiter übrig, als sich mit dem Part des passiven Zuschauers im postsowjetischen Konsumtheater abzufinden. Die gähnende Kluft zwischen florierender Konsumapologetik hier und äußerst eingeschrän