Fehl-'Start'

DIE DUMA RATIFIZIERT DEN START-2-VERTRAG Die Entscheidung erleichtert den Amerikanern die Revision des ABM-Vertrages und Wladimir Putin künftige Verhandlungen mit dem Westen

Nach jahrelanger Blockade hat die Duma nun endlich den sogenannten START-2-Vertrag ratifiziert. Dieser verpflichtet Russland und die USA, ihre aktiven Nukleararsenale von derzeit 6.000 auf 3.500 Sprengköpfe bis 2007 zu reduzieren. Er verbietet außerdem landgestützte Raketen mit Mehrfachsprengköpfen, die lange Zeit als die strategische Erstschlagwaffe schlechthin galten, und ebnet den Weg für weitere Abrüstungsschritte: Stichwort "START-3".

Noch vor zwei oder drei Jahren wäre die Ratifizierung durchaus ein Schritt nach vorn gewesen - heute jedoch ist sie eher eine problematische Angelegenheit. Zweifellos hat Russland starkes Interesse daran, möglichst schnell in START-3-Verhandlungen einzutreten: Zum einen strebt START-3 eine Reduzierung der nuklearen Potenziale beider Länder auf höchstens 2.500 Sprengköpfe an, was ungefähr dem entsprechen würde, was sich Russland aufgrund seiner wirtschaftlichen Ressourcen auf absehbare Zeit maximal leisten kann. Zum anderen orientiert START-3 erstmals auf die Vernichtung der abgerüsteten Sprengköpfe, erlaubt also keine "passiven Reserven", wie sie von den Amerikanern seit Jahren liebevoll gepflegt werden. Schließlich und endlich bietet START-3 ausreichend Gelegenheit, bestimmte Dinge "nachzuverhandeln", etwa das Problem der Mehrfachsprengköpfe, das für Russland angesichts der immer offener zu Tage tretenden Absichten Washingtons, den ABM-Vertrag von 1972 grundlegend zu revidieren, heute einen anderen Stellenwert hat als noch Mitte der neunziger Jahre.

Allerdings: START-3 kann erst dann ausgehandelt werden, nachdem START-2 wirklich in Kraft getreten ist. Dazu jedoch muss der US-Senat wiederum ein Paket begleitender Dokumente billigen, auf das sich Boris Jelzin und Bill Clinton bereits 1997 in Helsinki geeinigt hatten, darunter ein "Memorandum über die Weiterführung des ABM-Vertrages" sowie eine "Vereinbarung über die Abgrenzung strategischer und nichtstrategischer ABM-Systeme". Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der Senat diese Dokumente jedoch ablehnen und damit verhindern, dass START-2 trotz Ratifizierung jemals in Kraft tritt.

Aber selbst für den Fall, dass es anders kommt - Russland wäre am Ende der Verlierer: START-2 bedeutet für das Land bereits eine reale Reduzierung seiner nuklearen Kapazitäten - durch Überalterung seiner U-Boot- und Bomberkapazitäten - auf zirka 1.500 Einheiten. Unter derartigen Bedingungen besteht für Washington keinerlei Veranlassung, die Zahl der eigenen Offensivwaffen unter die START-2-Obergrenze abzusenken. Vielmehr würden die Amerikaner versuchen, den START-3-Prozess zu nutzen, um Moskau Konzessionen in Sachen ABM nach dem Muster abzupressen: wir kommen euch bei Mehrfachsprengköpfen entgegen - im Gegenzug gebt ihr grünes Licht für Maßnahmen zur Schaffung einer landesweiten Raketenabwehr (NMD), von der Stationierung antiballistischer Raketen in Alaska bis hin zur Erprobung sogenannter Boost-Phase-Raketenabwehrsysteme.

Mit der ursprünglichen Philosophie des ABM-Vertrages hätte dies nicht mehr viel zu tun. Sie ging zu Beginn der siebziger Jahre davon aus, das "Fenster der gegenseitigen Verwundbarkeit" möglichst weit aufzustoßen. Die Verpflichtung der USA und - damals - der UdSSR jeweils nur zwei strategische Abwehrsysteme (später durch Modifizierung des ABM-Vertrages einigte man sich auf nur noch ein System) zu besitzen, sollte die Gefahr eines thermonuklearen Schlagabtauschs vermindern helfen, indem sich beide Seiten auf ein äußerst begrenztes Abwehrpotenzial festlegen ließen - also im Prinzip Offensivwaffen einigermaßen schutzlos ausgesetzt waren.

Mit anderen Worten: Sollte Washington künftig die Reduzierung der amerikanischen und russischen Kernsprengköpfe mit der Revision des ABM-Vertrages verknüpfen, würde es sich gegen das zentrale Anliegen aller bisherigen strategischen Abrüstungsbemühungen wenden: die Schaffung quantitativer Parität bei Sprengköpfen und deren Trägermitteln auf möglichst niedrigem Niveau.

Aus Moskauer Sicht mag es durchaus sinnvoll sein, sich auf ein solches Spiel einzulassen: Die eigenen Möglichkeiten, Washington wirkungsvoll Paroli zu bieten, sind eben beschränkt, also würde es nahe liegen, mit den Wölfen zu heulen und das Beste aus der Situation zu machen. Der Vision einer kernwaffenfreien, friedlichen Welt wäre dies jedoch mehr als abträglich. Andererseits hat Wladimir Putin mit der Start-2-Ratifizierung ein Zeichen gesetzt, zu dem sein Vorgänger nicht in der Lage war, er hat dem Westen damit nicht nur Entscheidungsfähigkeit demonstriert, sondern sich auch als ein Verhandlungspartner angekündigt, der Entscheidungsfreiheiten genießen kann, wie man sie von Jelzin nicht gewohnt war. Bei Tony Blair hat insofern zu Wochenbeginn nicht nur ein Gegenbesucher gastiert, sondern auch ein taktisch versierter, flexibler Politiker, wie ihn das postsowjetische Russland bisher eher nicht zu bieten hatte. Einer allerdings, der einem neuerlichen transatlantischen Geplänkel mit dem USA gegenüber nicht abgeneigt scheint. Die Außen- und Sicherheitspolitik des geschassten Premiers Jewgeni Primakow war in dieser Hinsicht - auch im Interesse des Westens - schon einmal weiter.

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