Das also war Putins Abschied von der weltpolitischen Bühne. Recht unspektakulär für einen "Zaren", als der er von vielen im Westen gern beschrieben wurde. In Bukarest folgte auf verhaltene Kritik an der NATO ein versöhnlerisches "Lasst uns freundschaftlich und ehrlich miteinander leben". In Sotschi gab es joviales Schulterklopfen für George Bush. Noch einmal sollte das wohl andeuten, wie wichtig die russisch-amerikanischen Beziehungen für die Welt seien, obwohl Washington doch zuletzt sooft zu verstehen gab, in Russland nicht mehr als eine zweitklassige Macht zu sehen.
Von Anfang an bestand Putins Tragik darin, westlicher Ignoranz in Sachen Russland nicht souverän begegnen zu können. Immer wollten er und seinesgleichen zum "Club der Auserwählten" gehören, ohne zu begreifen, dass dies für russisches Spitzenpersonal nicht nur kaum möglich, sondern eigentlich auch wenig erstrebenswert ist.
Den Westen, zu dem sich der Präsident hingezogen fühlte - omnipotent, stabil und im Wesentlichen friedfertig - einen solchen Westen hat es nie gegeben. Was es gibt, ist ein seit mehr als einem halben Jahrhundert mit seinem weltpolitischen Ranking eher haderndes Europa, das seit dem Verschwinden der Sowjetunion mehr schlecht als recht versucht, mit der globalen Dominanz einer einsam agierenden "Supermacht" USA zurechtzukommen, die ihrerseits meint, angesichts erheblicher ökonomischer Defizite Weltherrschaft dank militärischer Macht erzwingen zu können.
Einsatzfähige Nuklearmunition und offensive Raketenabwehrkapazitäten gehören dazu ebenso wie Antisatellitenwaffen und die modernsten Mittel des Informationskrieges. Einsetzbar, um Russland als postsowjetische Restkonkurrenz ebenso in Schach zu halten wie einen aufsteigenden Hauptwidersacher China. Weltpolitik verlagert sich damit erneut weg von Europa in Richtung Osten.
In Bukarest haben sich die europäischen NATO-Alliierten einmal mehr vor den Karren einer in diesem Sinne transeurasisch dimensionierten Containment-Politik Washingtons spannen lassen, wobei ihnen Russland nach Kräften geholfen hat. Was für schale Gesten: Berlin und Paris blockieren auf Zeit die Aufnahme der Ukraine und Georgiens in das NATO-Beitrittsprogramm und erhalten dafür von Moskau grünes Licht, Wehrgüter fortan auch auf dem Landweg nach Afghanistan bringen zu können. Der Erhalt der westlichen Infrastruktur am Hindukusch dient freilich weder den Interessen der europäischen NATO-Mitglieder noch denen Russlands, müsste doch inzwischen auch der letzte Scharfmacher begriffen haben - die afghanische Frage lässt sich mit kriegerischen Mitteln nicht lösen. Der einzige Nutznießer einer derartigen Infrastruktur sind die USA, denen auf diesem Weg ermöglicht wird, Afghanistan mit Zentralasien zu verklammern und nicht nur auf den einstigen Süden der Sowjetunion, sondern auch und vorrangig in Chinas Westprovinzen - etwa in Tibet - massiv Einfluss zu nehmen.
Besser als Europa wäre Russland in der Lage, den USA in dieser Hinsicht sicherheitspolitisch Paroli zu bieten, ein realistischeres Bild vom Westen vorausgesetzt. In Sotschi war davon leider nichts zu spüren.
2009 läuft START I, drei Jahre später der Moskauer Vertrag über den Abbau strategischer Offensivpotentiale (SORT) aus. Höchste Zeit also, über neue, weitreichende Abrüstungsschritte nachzudenken, die nach Meinung russischer Experten nur multilateraler Natur sein können. Die USA zu bewegen, dabei mitzumachen, wird Russland jedoch nur gelingen, wenn es über ein nukleares Abschreckungspotenzial verfügt, das Washington wirklich beeindruckt.
"Gemeinsame Raketenabwehrkapazitäten", wie von Bush und Putin in Sotschi beschworen, wären eine Katastrophe für die Welt, würden sie doch ein Kriegsrisiko dramatisch erhöhen. Statt weiter über derart Abartiges zu fabulieren, sollte der Kreml asymmetrische Maßnahmen ergreifen, etwa einen "Schurkenstaat" wie den Iran, gegen den derartige Kapazitäten angeblich gerichtet sind, nicht länger unter Druck setzen, sondern diesem reale Sicherheitsgarantien anbieten, zum Beispiel durch eine Vollmitgliedschaft in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Überhaupt wäre dieser Verbund, dem bereits heute neben Russland und China vier weitere zentralasiatische Vollmitglieder sowie vier Beobachter, darunter Indien und Pakistan, angehören, eine ideale Plattform für eine so offene wie umfassende transeurasische Sicherheitsarchitektur als Antwort auf Washingtons regionales Containment. Dabei mit von der Partie zu sein, würde dem alten Kontinent gut zu Gesicht stehen.
s. auch Seite 9
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