"Ich halte es für geboten, Ihnen noch einmal nahe zu legen, über das Materielle und Geistige im Weltenverständnis nachzudenken. Die edlen und universellen Werte des Islam können allen Völkern Ruhe und Erlösung bringen. Die Islamische Republik Iran als großes und mächtiges Bollwerk der moslemischen Welt kann die Klüfte des Unglaubens in Ihrer Gesellschaft schließen..." Als sich Imam Khomeini mit diesen Worten am 1. Januar 1989 an den damaligen KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow wendet, liegt hinter beiden Ländern ein turbulentes Jahrzehnt ihrer Beziehungen.
Die von Khomeini angeführte islamische Revolution im Februar 1979 hat das unter Schah Reza Pahlevi auf ein relativ stabiles Fundament gestellte Verhältnis erschüttert. Hoffnungen des Kreml auf intensivere Beziehungen, die der Überzeugung folgen, beim Umbruch im Iran handele es sich um eine "demokratisch-kleinbürgerliche Revolution", die gerade den Kommunisten von der Iranischen Volkspartei (Tudeh) neue Spielräume eröffne, wollen und können Teherans neue Machthaber nicht erfüllen. Sie kündigen umgehend Artikel V und VI des sowjetisch-iranischen Vertrages von 1921, die es Moskau bis dahin gestattet haben, unter bestimmten Umständen Truppen auf iranisches Territorium zu verlegen, und erhöhen den Gaspreis für den Großabnehmer UdSSR. Mit dem Einmarsch in Afghanistan Ende 1979 wird Moskau für das islamische Regime endgültig zum zweiten "Satan" neben den USA. Es folgen Übergriffe auf sowjetische Missionen in Teheran und Isfahan sowie die Zerschlagung der Tudeh-Partei, deren Führer gerade erst aus sowjetischem Exil zurückgekehrt sind.
Waffen für die Mullahs
Gleichwohl achtet man in Teheran darauf, die Beziehungen nicht gänzlich abreißen zu lassen: Angesichts eines totalen US-Embargos - eine Konsequenz der "Teheraner Geisel-Krise" zwischen 1979 und 1981 - ist die Islamische Republik mehr als zuvor auf sowjetische Industrie- und Wehrgüter angewiesen. Zudem hat Moskau - nach anfänglichem Zaudern - im iranisch-irakischen Krieg (1980-1988) die Partei Teherans ergriffen, Waffen geliefert und Militärberater entsandt, während im Gegenzug der damalige Präsident Ali Chamenei in einer Botschaft für gutnachbarliche Beziehungen plädiert. Kurz darauf kommt es zu Khomeinis berühmter Gorbatschow-Depesche. Nur Tage nach dem Tode des Imams Anfang Juni 1989 unterzeichnet Parlamentspräsident Rafsanjani in Moskau ein Programm über wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Kooperation bis 2000, das auch die Lieferung hochmodernen Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29 und Su-24 vorsieht.
Angesichts dieses Aufschwungs im pragmatischen Miteinander wird in Teheran der 1990 einsetzende Zerfall der Sowjetunion mit einer gewissen Sorge wahrgenommen. Im Unterschied zur Türkei akzeptiert die Regierung Chamenei die bereits im November 1991 proklamierte Unabhängigkeit Aserbaidschans erst nach der Selbstauflösung der UdSSR. Wegen der starken aserbaidschanischen Minderheit im eigenen Land erscheint es kaum ratsam, Baku politisch aufzuwerten. Bald zeigt sich auch, an dem als neue Moskauer Führungsautorität auftrumpfenden Boris Jelzin soll die Kontinuität in den bilateralen Beziehungen nicht scheitern: Neben dem forcierten Ankauf militärischen Geräts beginnen Gespräche über die Hilfe beim Bau von Kernreaktoren, die 1995 in einen 800 Millionen Dollar schweren Vertrag über den Bau eines Atomkraftwerks (AKW) in Busheer münden. Gleichzeitig beginnt Russlands Energiekonzern Gasprom (die französische Total und die malaysische Petronas an seiner Seite), das strategische Gasfeldes von Süd-Pars zu erschließen.
Für derart umfassende Wirtschaftshilfe will (und muss sich wohl auch) Teheran politisch erkenntlich zeigen: So hilft man Russland, mit Tadschikistan einen Kompromiss auszuhandeln, hält sich weitgehend aus dem ersten Tschetschenien-Krieg heraus, hält zusammen Aserbaidschan in Schach und empfiehlt sich als Partner, um die regionalen Machtambitionen der Türkei zu zügeln.
Mitte der Neunziger freilich gibt es Irritationen beim konzilianten Geben und Nehmen: Auf massiven Druck Washingtons verpflichtet sich der Kreml mit der so genannten Gore-Tschernomyrdin-Vereinbarung (1995), nach Ablauf der geltenden Verträge in den Jahren 1999 und 2000 den Mullahs keine Waffen mehr zu liefern. Die Führung in Teheran beginnt umgehend und laut, über alternative Pipelinesysteme nachzudenken, mit deren Hilfe die Öl- und Gasexporte Aserbaidschans, Usbekistans, Turkmenistans und Kasachstans nicht länger über Russland, sondern den Iran gelenkt werden sollen. Auch kritisiert der Iran als turnusmäßiger Vorsitzender der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) Ende 1999 nun offen und unnachgiebig Moskaus erneuten Tschetschenien-Feldzug.
Zweites Kernkraftwerk
Bald darauf sind es allerdings von den USA angepeilte alternative Pipelinesysteme, durch die aserbaidschanisches Öl über Georgien und die Türkei (Baku-Tiblissi-Ceyhan) sowie turkmenisches Gas über Aserbaidschan, Georgien und die Türkei (Transkaspische Gastrasse) in den Westen fließen sollen, sowie die hohe Abhängigkeit von russischer Militärtechnik, die Teheran und Moskau wieder einander näher bringen: Während der Kreml den Mullahs nach Kräften beisteht, um die Pipeline-Projekte Washingtons zu torpedieren, verkünden Teherans Führer, "nach Abwägung aller Faktoren" sei der Tschetschenien-Konflikt als "innere Angelegenheit" Russlands zu betrachten.
Im März 2001 setzen die Präsident Mohammad Chatami und Wladimir Putin ihre Unterschriften unter einen "Vertrag über die Grundlagen der gegenseitigen Beziehungen und die Prinzipien der Zusammenarbeit" - er dokumentiert eine neue Qualität der Beziehungen, denn man verständigt sich auf die Lieferung hochmoderner Tor-M1-Flugabwehrkomplexe, mehrerer Küstenschutzboote sowie auf die Modernisierung der in der Vergangenheit gelieferten MiG-29 und Su-24 (Volumen: 1,4 Milliarden Dollar). Erst Anfang 2006 werden die Gespräche über den Erwerb russischer S-300-Flugabwehr-Raketen wegen des eskalierenden Atomstreits vorübergehend ausgesetzt. Seither kursieren Gerüchte, Moskau beabsichtige, Teheran über Minsk zu bedienen.
Bereits 2004 erkunden überdies russische Firmen Möglichkeiten für den Bau eines zweiten iranischen AKW. Parallel dazu bemühen sich das iranische Staatsunternehmen TAVANIR und der Strommonopolist Vereinigte Energiesysteme Russlands, die eigenen Energiekreisläufe mit denen Aserbaidschans, Armeniens und Tadschikistans zu synchronisieren. Auch die Luft- und Raumfahrt bleibt nicht ausgeklammert - derzeit sekundieren russische Spezialisten bei der Erprobung des iranischen Sochre-Nachrichtensatelliten, nachdem im Herbst 2005 bereits der iranisch-russische Forschungssatellit Sina-1 ins All geflogen ist.
Schließlich der Gas- und Ölsektor: Neben der weiteren Erschließung des Gasfeldes von Süd-Pars arbeitet Gasprom an einem weiteren Jahrhundertprojekt: der von höchster Stelle abgesegneten Gastrasse Iran-Pakistan-Indien, während die russische Öl-Gesellschaft Tatneft auf der Golf-Insel Kish in die Zukunft investiert - und zwar erheblich.
Ungeachtet aller ökonomischen Interessen bleibt der Iran für Russland schon wegen der instabilen zentralasiatischen Region vorrangig als politischer Partner interessant. So gehört denn auch Präsident Mahmud Ahmadinejad Mitte Juni zu den geladenen Gästen des Jubiläumsgipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Mit sechs regulären Mitgliedern (China, Russland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan) und vier Beobachtern (Iran, Indien, Pakistan, Mongolei) verfolgt dieser potente Regionalverbund eine Agenda, die weit über den "Kampf gegen den Terrorismus" und ähnliche Ideologismen hinausreicht. Von daher verwundert es nicht, als Ahmadinejad in seiner Rede einen wesentlichen Aspekt der Abschlusserklärung vorwegnimmt und verkündet, die Shanghaier Organisation könne zum wichtigsten Hindernis für eine amerikanische Expansion in Asien werden. Um dies zu bewirken, müsse unter russischer und chinesischer Führung ein militärpolitischer Block entstehen.
Früher oder später
"Ungeachtet verschiedener Sichten auf die Geheimnisse des Weltengebäudes" - so Michail Gorbatschow am 16. Februar 1989 in seiner Erwiderung auf die eingangs zitierte Botschaft Ayatollahs Khomeinis - "hat man sich in der UdSSR zur Aufgabe gestellt, die Hoheit allgemeinmenschlicher Werte gegenüber allen anderen Interessen und Zielen zu gewährleisten."
Keine zwei Jahrzehnte später - am 4. April 2006 - referiert der "Außenminister" der Russisch-Orthodoxen Kirche und Metropolit von Smolensk und Kaliningrad, Alexej Kirill, im Besein höchster Staatsvertreter in Moskau über fundamentale Unterschiede zwischen einem westlich-liberalen und einem östlich-orthodoxen Werteverständnis: "Früher oder später", so Kirill, "wird uns der Prozess der Globalisierung vor die Notwendigkeit stellen, eine einheitliche Meinung über fundamentale Werte zu formulieren, da sich auf andere Weise das Leben in einem einheitlichen zivilisatorischen Raum kaum gestalten lassen wird. Gleichwohl meine ich, verdient die Frage Beachtung, inwieweit die säkularen liberalen Werte, wie sie heute existieren, den Status universeller Werte in Anspruch nehmen beziehungsweise ob diese Werte ohne Korrekturen die Grundlage für die Herausbildung neuer Beziehungen zwischen den Menschen, Ländern und Völkern im Zeitalter der Globalisierung bilden können?" - Russland auf der Suche nach einer Neudefinition "universeller Werte" jenseits westlicher Diskurstraditionen. Khomeinis Depesche scheint nicht ungehört verhallt zu sein.
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